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Teufel Aktion gegen WTO 2005
© Santiago Engelhardt / Greenpeace

10 Jahre WTO: 10 kapitale Fehler im System

Das Jubiläum der Welthandelsorganisation ist kein Grund zum Feiern.

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Zum 1. Januar 1995 löste die neu gegründete Welthandelsorganisation (WTO) das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommens (GATT) mit Sitz in Genf ab. In der Präambel zu ihrem Gründungsstatut erwähnt die WTO das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Auch verspricht sie den Schutz und die Erhaltung der Umwelt.

Doch nach 10 Jahren WTO-Existenz zeigt sich: Die WTO verhindert eine nachhaltige Entwicklung wie auch den Umweltschutz.

Mehrere tausend Seiten Vertragstexte, 324 Streitfälle, 148 Mitglieder, fünf Ministerkonferenzen - viel kann die WTO zum zehnjährigen Jubiläum in die Waagschale legen. Doch Quantität wiegt fehlende Qualität nicht auf. Die Missachtung von Menschenrechten, Kernarbeitsnormen und Umweltschutzmaßnahmen und die leere Versprechung, dass der Handel zum Wohlstand für alle führe, bilden die Schattenseite der Medaille. So ist es kein Wunder, dass Zehntausende 1999 in Seattle und 2003 in Cancún gegen ungerechte Handelsstrukturen und die WTO demonstrierten.

Was trieb die Menschen auf die Straße? Und wie müsste ein besseres Handelsystem gestaltet werden?

Die 10 kapitalen Fehler der WTO

1) Die Vorherrschaft der Wenigen:

Auf den ersten Blick wirkt die WTO sehr demokratisch: Ihre Entscheidungen werden prinzipiell im Konsens (einstimmig) gefasst. In der Praxis läuft es aber häufig darauf hinaus, dass die Beschlüsse der vier mächtigsten Mitglieder USA, EU, Japan und Kanada übernommen werden. Diese vier bedeutsamsten Handelsmächte haben Möglichkeiten gefunden, die Inhalte des Konsenses weitgehend vorher zu bestimmen - vorausgesetzt sie können ihre handelspolitischen Differenzen untereinander beilegen. Zum Erzwingen des Konsenses benutzen sie undemokratische Verfahren wie das inoffizielle Verhandeln im kleinen, von ihnen ausgewählten Kreis (sogenannte Green Room Meetings) oder notfalls auch den direkten Druck durch Daumenschraubenbei widerspenstigen Ländern. Obwohl die Entwicklungsländer eindeutig die Mehrzahl in der WTO stellen, dominieren einige Industrieländer mit ihren Interessen.

2) Undemokratische Strukturen:

Die unklaren Entscheidungsstrukturen in der WTO begünstigen undemokratische Entscheidungen während der Ministerkonferenzen wie auch während der informellen und in den Statuten nicht vorgesehenen "Mini-Ministerkonferenzen" sowie bei den Sitzungen der WTO-Gremien. Selbst Pascal Lamy (bis November 2004 der Handelskommissar der EU) sah sich genötigt, der WTO 1999 wie 2003 mittelalterliche Strukturen vorzuwerfen

3) Intransparenz:

Die Organisationen der Zivilgesellschaft (NGOs) wie auch die MEDIEN sind vom Alltagsgeschäft der WTO wie auch von ihren Ministerkonferenzen nahezu vollständig ausgeschlossen. Beteiligungsmöglichkeiten für Nichtregierungsorganisationen, so wie sie bei den Vereinten Nationen üblich sind, kennt die WTO nicht.

4) Dominanz durch eigene Gerichtsbarkeit:

Das im Vergleich mit anderen internationalen Strukturen einzigartige Streitfallverfahren der WTO gibt der Welthandelshandelsorganisation Macht. So verfügt die WTO über Durchsetzungskraft gegenüber unwilligen Mitgliedern wie auch gegenüber anderen Rechtsregimen wie den Menschenrechten, den Kernarbeitsnormen oder multilateralen Umweltabkommen. Handelskonflikte zwischen Mitgliedern der WTO werden von der Schlichtungsstelle nach einem strikten Prozedere bearbeitet. Dem WTO-Richterspruch muss das unterlegene Land folgen oder ansonsten Strafmaßnahmen (in der Regel Strafzölle) erdulden.
Doch auch das Streitschlichtungsverfahren dient vor allem den mächtigen Handelsnationen. Entwicklungsländer können selbst dann, wenn sie einen Streitfall gewinnen, ihre Interessen nicht durchsetzen. Auch werden soziale und Umweltanliegen in den Streitfällen nicht ausreichend berücksichtigt. Auch aus diesem Grunde ist das Streitschlichtungsverfahren eine Schieflage mit System.

5) Kuhhandel in Handelsrunden - "single undertaking":

Die derzeitigen WTO-Abkommen sind in der letzten großen Handelsrunde des GATT, der Uruguay-Runde (1986-1994), ausgehandelt worden. Sie sind im Rahmen einer so genannten Gesamtverpflichtung (single undertaking) verabschiedet worden. Gesamtverpflichtung heißt: In der Handelsrunde werden parallel verschiedene Themen verhandelt, alle Verhandlungen werden jedoch an einem gemeinsamen Stichtag beendet. Dieses führt nach dem Prinzip "Gibst du mir, so geb ich dir" zu einem Kuhhandel bei dem Vorteile in einem Bereich gegen Nachteile in einem anderen davon unabhängigen Bereich getauscht werden.

6) Blinde Flecken Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz:

Die WTO ist blind gegenüber der Umwelt, den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und den Menschenrechten. Aus Umweltsicht sind vor allem vier blinde Flecken zu nennen:

  • Die Nichtberücksichtigung der Herstellungsverfahren im WTO-Regelwerk: Ohne eine nachhaltige Konsum- und Produktionspolitik fördert der Freihandel zahlreiche unnötige, billige Produkte. Dies erfordert die so genannte GLEICHBEHANDLUNG von Produkten: Umweltfreundliche Produkte dürfen nicht besser gestellt werden als umweltschädliche. Label und Siegel können sogar als Handelshemmnisse eingestuft werden. So schwächen Freihandelsregeln die Möglichkeit, nachhaltige Produktionsweisen und Produkte durch eine entsprechende Kennzeichnung zu fördern.
  • Kernprinzipien des Umweltschutzes fehlen: Handelsabkommen ignorieren die Kernprinzipien, die seit Rio 1992 die Grundlage einer nachhaltigen Umweltpolitik bilden. Dazu zählen unter anderem die Haftung und Entschädigung für nachteilige Auswirkungen von Umweltschäden, das Vorsorgeprinzip, die Internationalisierung von Umweltkosten und die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen.
  • Umweltschädliche Subventionen bestehen fort: Obwohl Subventionen dem Geist des Freihandels widersprechen, gehen internationale Handelsregeln nicht oder nicht konsequent genug gegen umweltschädliche Subventionen zum Beispiel in der Landwirtschaft oder Fischerei vor.
  • Handelsrecht vor Umweltrecht: Das Handelsrecht bildet ein eigenes Rechtsregime, das mit dem internationalen Umweltabkommen nicht abgeglichen ist. Aufgrund der Tatsache, dass die WTO ihr Handelsrecht mittels des Streitfallverfahrens durchsetzen kann, dominiert das Handelsregime vor internationalem Umweltrecht, somit kann die WTO multilaterale Umweltabkommen aushebeln.

7) Überschreiten der Kompetenz:

Selbst einige Befürworter der WTO räumen ein, dass es nicht ersichtlich ist, warum die WTO über den reinen Handel hinaus versucht, Bereiche wie etwa Investitionen in ihr Regelwerk zu integrieren. Ein anderes Beispiel: Die Handelsregeln zwingen die WTO-Mitglieder dazu, ein Patentsystem einzuführen, das PATENTE auf Pflanzen, Tiere, Menschen und deren Gene einschließt. Mikroorganismen müssen gar laut WTO patentiert werden. Die WTO liefert damit die Grundlage zur Biopiraterie, der Patentierung fremder genetischer Ressourcen, denn rechtlich verbindliche internationale Regeln zu Zugang und Verteilung der Nutzung genetischer Ressourcen fehlen.

8) Veraltete Prinzipien:

Die vom Vorgänger GATT übernommenen und seit 1947 gültigen Handelsprinzipien, wie etwa das Prinzip der Gleichbehandlung der Handelspartner (Meistbegünstigung) und das Prinzip der Gleichbehandlung der Waren (Inländerbehandlung), sind veraltet und verhindern dringend notwendige Entwicklungs- und Umweltmaßnahmen. So steht etwa die Förderung umweltfreundlicher Produkte durch den Handel im Widerspruch zu dem Grundsatz, als gleich erklärte Waren auch gleich zu behandeln. Für die WTO ist Holz gleich Holz, unabhängig davon, ob es aus einem Kahlschlag oder aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt.

9) Das WTO-System dient nicht allen, sondern v.a. den Konzernen: 

Der jüngst im Oktober 2004 vor der WTO begonnene Streitfall um die Zulässigkeit von Subventionen für den Flugzeugbau verdeutlichen einmal mehr, für welche Interessen die WTO geschaffen wurde. Airbus (EU) wie Boing (USA) versuchen vor der WTO, dem Konkurrenten Wettbewerbsnachteile zuzufügen. Die EU wie auch die USA geben ihren Konzernen das verbriefte Recht, das Streitschlichtungsverfahren der WTO zur Durchsetzung von Konzerninteressen zu nutzen.

10) Mogelpackung - Sonderbehandlung von Entwicklungsländern ("special and differential treatment): 

Den Entwicklungsländern wurden in den WTO-Abkommen eine ihren Entwicklungsmöglichkeiten entsprechende Sonderbehandlung garantiert. Im Jahre 2003 legten die Entwicklungsländer 88 Vorschläge vor, damit diese Sonderbehandlung endlich Realität würde. Die Industrieländer wollten davon nur 28 akzeptieren. Auch für diese kam keine endgültige Einigung zustande. Somit bleibt die spezielle und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer im Handelssystem weiterhin ein Mythos.

Greenpeace fordert eine soziale und ökologische Welthandelsordnung

Wie können die vorgenannten zehn kapitalen Fehler beseitigt werden, wie kann ein Handelssystem geschaffen werden, dass tatsächlich dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet ist?

Klar ist, wie die WTO derzeit arbeitet, dient sie ausschließlich Liberalisierungsmaßnahmen und der Stärkung des freien Handels. Dies führt zur Verschärfung der Umwelt- und sozialen Probleme. Deshalb muss eine neue soziale und ökologische Welthandelsordnung nach folgenden Kriterien aufgestellt werden:

  1. Die Handelsregeln müssen sich tatsächlich dem Prinzip der Nachhaltigkeit unterordnen.
  2. Sie müssen zu Frieden und Armutsbekämpfung führen.
  3. Sie müssen multilateral gestaltet, in dem System der Vereinten Nationen (UN) eingebettet und durch die UN kontrolliert werden.
  4. Sie müssen demokratisch, kooperativ und gerecht sein.
  5. Sie müssen auf gleichberechtigten Verhandlungen zwischen allen Handelspartnern basieren, bei denen kein Druck auf schwächere Handelspartner ausgeübt wird.
  6. Eine soziale und ökologische Welthandelsordnung würde Handelskonflikte weitgehend vermeiden und im Falle von entstehenden Konflikten zu einer gerechten Streitschlichtung führen: Transparent und im System der Vereinten Nationen eingebettet. Im Streitfall müssen Umwelt, Menschenrechte und Kernarbeitsnormen respektiert und nicht ökonomischen Erwägungen unterordnet werden.
  7. Sie muss die wirtschaftliche, soziale, biologische und kulturelle Vielfalt der einzelnen Handelsnationen, die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Entwicklungsländer sowie armer und schwacher Teile der Gesellschaft berücksichtigen und Maßnahmen zu deren Schutz erlauben.
  8. Sie muss Umweltschutzmaßnahmen unterstützen und auch langfristig eine lebenswerte Umwelt erhalten. Insbesondere muss das neue Handelssystem sicherstellen, dass umweltfreundliche Produktions- und Konsummuster gefördert werden, dass die Kernprinzipien des Umweltschutzes eingehalten werden, dass die Ziele und die Umsetzung von Multilateralen Umweltschutzabkommen gefördert werden.

 

 

Lesetipps:

  • F. Jawara & A. Kwa: Behind the scenes at the WTO: the real world of international trade negotiations. London, New York: Zed Books, 2004 (2nd edition).
  • Third World Network et al.: Memorandum on the need to improve internal transparency and participation in the WTO.
Zehn Jahre WTO

Zehn Jahre WTO

Seit zehn Jahren besteht die Welthandelsorganisation (WTO). Ins Leben gerufen wurde sie, um den globalen, freien Handel zu fördern. Was hat die WTO bewirkt? Wem hat sie geholfen? Welche Methoden verwendet sie zur Durchsetzung ihrer Ziele? Greenpeace unterzieht die Welthandelsorganisation einer kritischen Umweltbilanz.

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