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Staudamm und Wasserkraftwerk "Xingo" am "Rio San Francisco" bei Sergepe, Brasilien, im Juni 1997
Werner Rudhart / Greenpeace

Regenwald unter Wasser

Brasilien ist reich an Rohstoffen: Eisen, Bauxit, Blei, Kupfer, Mangan, Nickel, Quecksilber, Zinn, Silber, Gold, Platin, Uran – kaum ein Mineral oder Metall, das sich nicht aus den Böden des Landes graben ließe. Angeblich stammen 60 Prozent der Edelsteine auf dem Weltmarkt (mit Ausnahme von Diamanten) aus Brasilien. Verhältnismäßig klein sind jedoch die Vorkommen an fossilen Brennstoffen. 

Steinkohle besitzt das Land so gut wie nicht, die Braunkohlereserven sind nur ein Achtel so groß wie die Deutschlands. Die Erdgasreserven sind nur doppelt so groß wie die Deutschlands, auch wenn möglicherweise noch weit größere Lagerstätten unerschlossen sind. Lediglich bei den Erdölreserven spielt Brasilien unter den Top 20 der Welt – viel davon allerdings offshore und daher schwer und unter hohem Aufwand zu fördern.

Das Land hat daher früh auf alternative Brennstoffe gesetzt. Brasilien ist nicht umsonst weltweit führend bei so genannten Flex-Fuel Fahrzeugen, also Autos, die mit jeder beliebigen Mischung von Benzin und Alkohol betrieben werden können: jedes dritte Auto in Brasilien hat einen solchen Motor. Der Alkohol wird aus Zuckerrohr gewonnen, das im Land auf über 8 Millionen Hektar wächst und je zur Hälfte zu Zucker und Alkohol verarbeitet wird.

Auch im Bereich der Elektrizätserzeugung ging Brasilien schon früh eigene Wege. In Ermangelung fossiler Rohstoffe und angesichts einer Vielzahl von großen Flüssen wurden im Land riesige Wasserkraftwerke gebaut, die heute rund 80 Prozent des Stroms im Land liefern. Itaipú, im Süden an der Grenze zu Paraguay errichtet, war bis zur Fertigstellung des chinesischen Drei-Schluchten-Damms das größte Wasserkraftwerk der Erde mit einer Nennleistung von 14.000 MW. Das bislang zweitgrößte Kraftwerk des Landes, Tucuruí mit knapp 8000 MW, entstand in den Achtzigerjahren im Urwald von Pará – in erster Linie, um dort eine Aluminiumhütte bauen zu können, deren Betrieb enorme Mengen Strom frisst. Fast 2.900 Quadratkilometer misst der dazugehörige Stausee. Die Bäume wurden vor der Überflutung nicht gerodet und faulten jahrelang im Wasser vor sich hin. Ureinwohner, die in den Wäldern lebten, wurden vertrieben. Der Fluss Tocantins, der ihnen bis dahin über die Fischerei wichtige Eiweiße geliefert hatte, verwandelte sich in einen stinkenden Faulsee.

Belo Monte – der ineffizienteste Staudamm Brasiliens

Ähnliches spielt sich derzeit wieder ab. Die brasilianische Regierung ist wild entschlossen, die Energieknappheit im Land durch neue Wasserkraftwerke zu beseitigen. Mehr als sechzig – große und kleine – sind derzeit in Bau oder Planung und sollen binnen 20 Jahren verwirklicht werden. Das größte Projekt, Belo Monte am Rio Xingú mit über 11.000 MW Nennleistung und einem knapp 700 Quadratkilometer großen Stausee, löst den größten Widerstand aus. Denn während der drei bis fünf Monate langen Trockenperiode kann das Kraftwerk nur rund 10 Prozent seiner Nennleistung liefern. Über ein Jahr gemittelt ergibt sich daraus eine Effizienz von nur 39 Prozent – der ineffizienteste Damm Brasiliens. Hinzu kommt: Die Umweltverträglichkeitsprüfungen enthielten unvollständige Daten. Und: Die über 20.000 Ureinwohner, die unter anderem davon betroffen sind, wurden nicht wie gesetzlich vorgeschrieben in den Planungsprozess einbezogen. Ein brasilianisches Gericht hat daher die Bauarbeiten im August 2012 vorerst stoppen lassen – ein Urteil, das der oberste Gerichtshof nur eine Woche später wieder aufhob.

Doch selbst wenn nicht, wäre das nur ein Teilsieg, denn am Rio Xingú gibt es mindestens drei weitere Möglichkeiten, Dämme zu bauen. Dennoch gilt: Wenn die Regierung Belo Monte durchsetzt, kommt das einem Freiticket für den Bau aller weiteren Dammprojekte gleich. Statt großer Flusssysteme voller Leben wäre das Amazonasbecken eine Serie von leblosen Seen, eingepfercht zwischen Betonwänden. Wegen seiner Symbolkraft haben sich bereits eine Vielzahl auch ausländischer Prominenter gegen das Vorhaben ausgesprochen – darunter Bill Clinton, James Cameron, Sigourney Weaver. Allerdings muss man sich fragen, ob mit der Kritik aus dem Ausland nicht genau das Gegenteil dessen erreicht wird, was beabsichtigt ist. Nationalistische Abgeordnete im brasilianischen Kongress nutzen die Kritik für Getöse, die Ausländer wollten Brasilien seine Entwicklung verwehren.

Dammbau ohne Straßen

Um der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, versprach die Regierung für einige geplante Dämme am Tapajós schon, sie als „Plattform-Dämme“ zu errichten. Das soll bedeuten, dass keine Straßen zu den Baustellen angelegt, keine Wohnhäuser für die Bauarbeiter in den Dschungel gebaut werden, sondern alles, Material und Menschen, per Hubschrauber eingeflogen wird. Diese Idee wird von Kritikern allerdings als hochgradig unrealistisch eingeschätzt und als Versuch gewertet, die Projekte grün zu färben.

Aber auch in anderen Regionen wird bereits an Dämmen gebaut, so am Oberlauf des Rio Madeira in Rondônia. Dort sollen gleich vier Dämme in Serie entstehen, einer davon komplett auf bolivianischem Gebiet. In der Region leben noch Indigene, die so gut wie keinen Kontakt mit der „zivilisierten“ Welt haben. Die massive Zuwanderung, die mit dem Bau der Dämme verbunden ist, sorgt bereits für einen Anstieg der Abholzungen und bedroht die Ureinwohner durch Krankheiten, gegen die sie keine Antikörper besitzen.

An allen Baustellen ist außerdem zu beobachten, dass die Basisinfrastruktur in den abgelegenen Regionen nicht ausreicht, um die hunderte oder tausende Arbeiter und ihre Familien angemessen unterzubringen, zur Schule zu schicken, medizinisch zu versorgen. Und was wird aus ihnen, sobald der Damm steht? Von den 40.000 Bauarbeitern und Ingenieuren werden dann nur noch 2.000 dauerhaft gebraucht.

Alternativen gibt es reichlich: Sonne und Wind

Brasilien hätte auch Alternativen. Das Windkraft-Potenzial des Landes wird auf insgesamt gut 300.000 MW geschätzt, das Solarpotenzial gar auf 1 Million MW. Von möglichen Effizienzsteigerungen des bestehenden Maschinenparks gar nicht zu sprechen. Hinzu kommt, dass diese Energieträger mehr dauerhafte Jobs schaffen als die riesigen Wasserkraftwerke, deren Beschäftigungspotenzial nach Fertigstellung massiv zurückgeht. „Wir sind hier, weil die Welt nach Veränderungen verlangt“, sagte Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff beim Weltgipfel Rio+20. Zeit, ihren Worten Taten folgen zu lassen.

(Autor: Helge Holler / Stand: August 2012)

Zum Weiterlesen:Das Volk der Munduruku und Greenpeace kämpfen gemeinsam gegen den Tapajós-Staudamm - und gewinnen

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Illegal Logging in the Făgăraș Mountains in Romania

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