Prof. Dr. Reinhard Loske: „Der Marktfundamentalismus gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“
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COVID-19 hat einiges in Bewegung gebracht. Die Krise hat in vielen Bereichen schwerwiegende Schwachpunkte aufgezeigt. So ist sichtbarer geworden, dass die systematische Verletzung von Naturgrenzen zerstörerische Konsequenzen hat, die systematische Nichtbeachtung wissenschaftlicher Fakten und Empfehlungen Großrisiken verschärft und eine systematische Vertiefung und Beschleunigung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung Gesellschaften abhängiger und verletzbarer machen. Klar ist: Die gegenwärtige COVID-19-Pandemie erzeugt zunächst einmal ein unmittelbares menschliches Leid. Darüber hinaus macht sie schmerzhaft offenbar, welche nicht-nachhaltigen und nicht-resilienten Strukturen bestehen. Sie zeigt, wie verletzbar menschliche Gesellschaften auf der ganzen Welt sind. Prof. Dr. Reinhard Loske hat im Auftrag von Greenpeace daher sieben Thesen entwickelt, die aufzeigen, wie die Wirtschaft zukünftig wieder verträglicher in Natur und Gesellschaft eingebettet werden kann.
Zurück in die Region
Unsere Wirtschaft sollte zukünftig weniger globalisiert laufen und zurück zum Regionalen gehen – und so eine Entschleunigung erfahren. Wenn die internationale Arbeitsteilung auf ein vernünftiges Maß beschränkt ist, findet mehr Wertschöpfung in den Regionen statt und stärkt diese. Indem entsprechende Instrumente dafür geschaffen werden, müssen Flug- und Containerverkehr realistisch für ökologische Kosten aufkommen. Wird Energie intelligent eingespart und Erneuerbare Energie weiter ausgebaut, kann die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten abgelegt werden. Wenn weniger Futtermittel importiert werden, Land standortgerecht genutzt wird und Nutztiere artgerecht gehalten werden, kommt das der bäuerlichen Landwirtschaft zugute. Eine Landwirtschaft, die gesunde Nahrungsmittel produziert und dem Gemeinwohl dient, hat Anspruch auf gesellschaftliche und politische Unterstützung.
Die Alternative zur ökonomischen Globalisierung heißt dabei nicht Re-Nationalisierung, sondern eine weltoffene Glokalisierung. Der Begriff setzt sich zusammen aus Globalisierung und Lokalisierung und bedeutet, dass es natürlich eine verstärkte internationale Kooperation zur Verbesserung der Welt bedarf. Gleichzeitig sind aber lokale, beziehungsweise dezentrale Prozesse in der Wirtschaft ein Teil der Antwort auf die Herausforderungen, die eine nachhaltige Entwicklung ausmachen. „Global denken, lokal handeln“ ist noch immer das Gebot der Stunde. Da, wo auch in Zukunft internationaler Austausch von Gütern und Dienstleistungen stattfindet, sollten Lieferkettengesetze und faire Handelsabkommen sicherstellen, dass Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllt werden.
Von einer übertriebenen Globalisierung zur Glokalisierung
In den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Wirtschaft Themen wie Wettbewerb und Effizienz immer weiter bis ins Extreme vorangetrieben – mit dem Ergebnis, dass es neben vielen Gewinnern auch sehr viele Verlierer gab. Für die Umwelt und die weltweite Gerechtigkeit waren die Folgen in vielerlei Hinsicht negativ. Deshalb sind eine mutige Politik, ein handlungsfähiger Staat zur Veränderung bereite Unternehmen und eine wache Gesellschaft jetzt um so wichtiger, ohne dabei in eine blinde Staatsgläubigkeit zu verfallen
Dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen bereit ist, zum Schutz des Klimas ihre Lebensgewohnheiten umzustellen, zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag von Greenpeace: 72 Prozent der Befragten würden für das Abwenden der Klimakrise ähnlich konsequente Maßnahmen hinnehmen wie derzeit zur Bewältigung der Coronakrise. Unter den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar 89 Prozent.
Mutige Entscheidungen in der Politik sind auch nötig, um das bei der Pariser Klimakonferenz festgelegte 1,5-Grad-Ziel zu unterschreiten: Um diese Größe darf sich die durchschnittliche Temperatur weltweit im Vergleich zum vorindustriellen Niveau maximal erhöhen. Andernfalls drohen unumkehrbare, schwerwiegende Klimafolgen, zumeist für die schutzlosesten Länder der Erde – die mitunter am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben. Darum muss Deutschland jetzt seine Verantwortung wahrnehmen und seine Wirtschaftshilfen in der Coronakrise zwingend nach klimafreundlichen Kriterien verteilen. Im Klartext: Kein Geld für gestern. Nicht für Kohle, nicht für Verbrennungsmotoren, nicht für eine Landwirtschaft, die der Umwelt schadet.
>>> Lesen Sie auch das heute veröffentlichte Interview mit Reinhard Loske auf Zeit.de.
Reinhard Loske ist Professor für Nachhaltigkeit an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Bernkastel-Kues und deren Präsident. Zugleich ist er Senior Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.
Autorin: Mirja Schneemann