Jetzt spenden
Ein Schlachthaus in Deutschland, März 2011
Mauricio Bustamante / Greenpeace

Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Redaktion: Deutschland produziert mehr Fleisch als die Deutschen konsumieren. Warum ist die Produktion von billigem Export-Fleisch hierzulande so lukrativ?

Martin Hofstetter: Tatsächlich ist insbesondere die Erzeugung von Schweine- und Geflügelfleisch bei uns in den letzten 10 Jahren sehr stark angestiegen. Der Grund ist einfach: Im Vergleich zu unseren Nachbarländern haben wir viel laxere Bestimmungen, so dass bei uns sowohl die Landwirte als auch die Schlachthöfe billiger produzieren können. Landwirte in den Niederlanden oder Dänemark müssen beispielsweise ihren Mastschweinen mehr Platz verschaffen als Landwirte bei uns. Außerdem sind die Anforderungen an die Ausbringung von Gülle viel schärfer und auch der Einsatz von Medikamenten und Antibiotika wird stärker kontrolliert. Das macht dort die Erzeugung im Vergleich zu Deutschland teurer, und deutsche Fleischwaren im internationalen Handel konkurrenzfähiger. Diese Entwicklung war von der alten Regierung politisch so gewollt, um Deutschland zu einem Exportweltmeister von Billigfleischwaren für den asiatischen Raum zu machen. Leidtragende der Entwicklung sind in Deutschland sowohl die Nutztiere als auch wir Menschen. Unser Grundwasser verschlechtert sich in den Regionen mit Intensivtierhaltung, Der Ammoniakgestank schädigt Umwelt und Natur und lässt Anwohner auf die Barrikaden gehen. Auf den Schlachthöfen findet ein Lohndumping der übelsten Sorte mit Werkvertragsarbeitern aus Osteuropa statt.

Redaktion: Im Juni 2013 hat Greenpeace eine Studie über Subventionen für Billigfleisch veröffentlicht. Zu welchen Ergebnissen ist die Untersuchung gekommen und was empfiehlt Greenpeace?

Martin Hofstetter:Vereinfacht gesagt: Fleisch muss teurer werden und wieder einen angemessen Preis bekommen. Ein Kilogramm Schnitzel ist häufig billiger als eine Kinokarte, Gehacktes günstiger als ein Päckchen Zigaretten. Vor 50 Jahren musste man rund zweieinhalb Stunden arbeiten, um sich ein Brathähnchen leisten zu können, heute ist es keine Viertelstunde mehr. Der niedrige Preis liegt vor allem an der industriellen Tierhaltung und den nicht eingepreisten Umweltkosten. Genau betrachtet ist Fleisch kein billiges, sondern ein sehr aufwendig erzeugtes Nahrungsmittel. Das muss sich im Preis auch widerspiegeln. Dazu schlägt die Studie verschiedene Maßnahmen vor. Vor allem sollte der verbilligte Mehrwertsteuersatz für Fleisch auf den Normalsatz angehoben werden. Außerdem sollten die Tierhaltungsbetriebe dazu gebracht werden, umweltfreundlicher zu wirtschaften. Zum Beispiel könnten sie ihren Stickstoffdünger bedarfsgerecht ausbringen, etwa durch eine Stickstoffabgabe und schärfere Gesetze. Billiges Sojaschrot, das häufig von gerodeten Urwaldgebieten in Lateinamerika stammt, sollte durch heimische Futtermittel ersetzt werden. Dies könnte durch einen Zoll auf Eiweißimportfuttermittel erreicht werden.

Redaktion: Die Umweltorganisation BUND veröffentlicht am Donnerstag, den 9. Januar, zusammen mit der Heinrich Böll Stiftung den Fleischatlas 2014. Kritisiert wird, dass das Freihandelsabkommen mit den USA aufgeweicht werden soll, um den Export von mit Wachstumshormonen behandeltem Fleisch in die EU zuzulassen. Wie würde sich diese Entscheidung in Deutschland auswirken?

Martin Hofstetter: In den USA werden in der Mast und bei der Milcherzeugung Hormone und andere Wachstumsförderer wie Ractopamin zur Leistungssteigerung systematisch eingesetzt. Bei uns sind diese Substanzen seit langem verboten. Bisher darf kein mit diesen Leistungssteigerern produziertes Fleisch aus den USA nach Europa importiert werden. Das könnte sich mit dem Abschluss des Freihandelsabkommens ändern, auch wenn Kommissionsvertreter das Gegenteil behaupten. Denn auffällig ist doch, wie stark die Lobby der amerikanischen Geflügelzüchter und Fleischproduzenten auf das Freihandelsabkommen setzt und ihre Regierung auffordert, die EU-Standards zu schleifen. Während die Verhandlungen zwischen den USA und der EU seit Monaten geheim unter sehr starkem direktem Einfluss von Konzern-Lobbyisten vonstattengehen, müssen Öffentlichkeit und demokratisch gewählte Parlamente außen vor bleiben. Das Abkommen selber hat das Ziel, sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse abzubauen. Dazu zählen Gesetze und Vorschriften, die zwar die Interessen der Verbraucher zum Ziel haben, den Freihandel aber behindern. Das lässt nichts Gutes erwarten.

Redaktion: Was können Verbraucher tun?

Martin Hofstetter: Aus gesundheitlicher Sicht essen wir in Deutschland im Durchschnitt viel zu viel Fleisch. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt daher, 50-70 Prozent weniger Fleisch zu essen. Beim Einkauf selber sollten wir mehr auf die Herkunft des Fleisches achten. Regionale aus artgerechter und ökologischer Tierhaltung stammende Produkte sind besser für die Umwelt. Das ist nicht billig zu haben. Es gibt aber laut UN Konvention kein Recht auf billiges Fleisch aus Massentierhaltung, wohl aber ein Recht auf Nahrung und ein Recht auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen. Durch unseren immensen Fleischkonsum aber stellen wir ja gerade dieses Grundrecht für viele Menschen in ärmeren Regionen immer mehr in Frage. 40 Prozent der Weltgetreide werden an Tiere verfüttert und stehen damit der direkten Versorgung von Menschen nicht mehr zur Verfügung. Das ist auch sozial nicht zu rechtfertigen.

Das Interview führte Hanno Groth

Zum Weiterlesen:

Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft sägt an EU-Standards

  • Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace, Juni 2006

    Martin Hofstetter

    Überspringe die Bildergalerie
Ende der Gallerie
Studie: Ökonomische Instrumente für eine Senkung des Fleischkonsums

Studie: Ökonomische Instrumente für eine Senkung des Fleischkonsums

69 | DIN A4

1.39 MB

Herunterladen
Datum

Mehr zum Thema

Menschen bilden eine Blume, davor ein großes Banner "Stop Glyphosate"
  • 16.11.2023

Glyphosat nimmt Insekten die Lebensgrundlage und steht im Verdacht, für Menschen gesundheitsschädigend zu sein. Nun kann die EU-Kommission das Mittel für weitere zehn Jahre zulassen.

mehr erfahren
Protest vor dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung in Berlin für eine weitere EU-Regulierung von Gentechnik-Pflanzen
  • 06.07.2023

Die EU-Kommission schlägt vor, mit neuen Gentechnikverfahren erzeugte Pflanzen aus der bisherigen Regulierung zu nehmen. Aktive fordern Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, das zu verhindern.

mehr erfahren
Tisch gedeckt mit vegetarischem Essen
  • 28.06.2023

Weniger Fleisch- und Milchkonsum würde den Flächenverbrauch in der Landwirtschaft reduzieren. Wie sich eine gerechte und ökologische Grundversorgung aller umsetzen ließe, haben Verbände skizziert.

mehr erfahren
Gemüsestand mit Obst und Gemüse.
  • 15.06.2023

Bienen sind nicht nur für die biologische Vielfalt und ein funktionierendes Ökosystem essentiell, sie leisten auch einen wichtigen Beitrag für die Ernährung.

mehr erfahren
Traktor versprüht Pestizide auf einer Apfelplantage in Deutschland
  • 14.12.2022

Pestizide sind überall – auf Feldern, in Wäldern und in privaten Gärten. Sie stecken sogar in konventionellem Obst und Gemüse. Gift für Ökosysteme, Artenvielfalt und Menschen.

mehr erfahren
Baking Bread with Animal-Feed Wheat in Germany
  • 11.10.2022

Aus Futtergetreide lässt sich kein Brot backen? Mit fünf Tonnen Weizen und der Hilfe eines Müllers und eines Bäckermeisters hat Greenpeace den Gegenbeweis angetreten.

mehr erfahren