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Greenpeace Geschäftsführer Martin Kaiser
Lucas Wahl / Greenpeace

Interview zu Internationalem Klimaschutz nach der Wahl in den USA

Trump ist weg, der nächste US-Präsident Biden will Klimaneutralität bis 2050 und den Wiederbeitritt zum Paris-Abkommen. Interview mit dem geschäftsführenden Vorstand Martin Kaiser.

Es fühlt sich an, wie eine zweite Chance: Amerika hat gewählt, und der neue Präsident der Vereinigten Staaten ist nicht noch einmal Donald Trump, sondern Joe Biden. Damit steht dem Land, das nach China die zweitgrößte Menge an Treibhausgasen jedes Jahr in die Luft bläst, bald nicht mehr ein Klimawandelleugner vor, sondern ein Mann, der die Klimawissenschaft kennt und ernst nimmt.

Was heißt das für den Klimaschutz? Was steckt im Klimaprogramm, das Joe Biden für sein Land angekündigt hat? Und wo steht die Welt fünf Jahre nach Verabschiedung des Klimaschutzabkommens von Paris? Fragen an den geschäftsführenden Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser.

Greenpeace: Lieber Martin – Mitte November ist eigentlich eine Zeit, in der die jährlichen Klimakonferenzen stattfinden. Dieses Jahr fallen sie aus, wegen Corona. Da nutzen wir doch gleich mal deine Zeit und fragen dich: Donald Trump hat die Wahl in Amerika verloren, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten heißt Joe Biden – wie findest du das?

Martin Kaiser: Zuerst einmal bin ich – wie wohl die meisten Menschen in Deutschland – wahnsinnig erleichtert, dass uns vier weitere Jahre Trump erspart bleiben. Trump hat den Klimawandel geleugnet, er hat multinationale Verträge aufgekündigt, er hat Gesetze zum Schutz der Umwelt gelockert, die Öl-, Gas- und Kohleindustrie hofiert, den Rassismus in der Gesellschaft angeheizt, Menschenrechte mit Füßen getreten, den Weltfrieden gefährdet – die Liste ist lang. Aber wenn ich mal nur auf das Klima schaue: Seine Amtszeit war eine Katastrophe. Hätten die USA den nationalen und internationalen Klimaschutz mit dem gleichen Schwung weiter vorangetrieben wie in der Zeit von Barack Obama, dann hätte die Welt wahrscheinlich dieses Jahr die Trendwende beim Treibhausgasausstoß geschafft.

Die vier Jahre, die der internationale Klimaschutz so verloren hat, sind verheerend, denn wir befinden uns in einer entscheidenden Phase. Noch haben wir ein – kleines! – Zeitfenster, um gewisse Kipppunkte der Erderhitzung wie das vollständige Abschmelzen der Polkappen, das Aussetzen des Golfstroms oder das komplette Auftauen der Permafrostböden zu verhindern. Und damit katastrophalste Folgen für die Menschheit abzuwenden.

Die Wahl von Joe Biden zum amerikanischen Präsidenten ist die beste Nachricht für den Internationalen Klimaschutz seit langem. Ich bin sehr froh, dass wir keine weiteren vier Jahre beim Klimaschutz verlieren.

Was erhoffst du dir von Joe Biden?

Dass wieder Vernunft einkehrt in die Politik Amerikas: Mit Joe Biden bekommt das Land einen Präsidenten, der die Wissenschaft respektiert und ernst nimmt. Der weiß, dass die Erderhitzung real ist, dass sie im Zusammenhang mit den verheerenden Waldbränden in Kalifornien, den Überflutungen und Dürren in seinem Land und den immer heftiger werdenden Hurrikans steht. Und er weiß auch, was dagegen getan werden muss.

Er hat bereits zugesagt, gleich am ersten Tag als neuer Präsident ins Pariser Klima-Abkommen zurückkehren zu wollen. Außerdem hat er ein umfangreiches Klimaschutzprogramm angekündigt. Er will Billionen Dollar in den Klimaschutz investieren. Mit dem Ziel, dass die USA bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral sind, also unterm Strich keine Klimagase mehr ausstoßen. Der Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe im Stromsektor soll bis 2035 passiert sein, also schneller als derzeit in Deutschland geplant.

Klingt ja gut. Was sieht Bidens Plan denn genau vor?

Biden hat einen ziemlich detaillierten Plan vorgelegt, wie er zwei Billionen Dollar – bei Barack Obama waren es damals 90 Milliarden – in die Hand nehmen will, um die amerikanische Wirtschaft klimagerecht umzubauen. Es soll massiv in die Forschung und Entwicklung sauberer Energien und klimagerechter Infrastruktur investiert werden. Vier Millionen Häuser sollen energetisch saniert und 1,5 Millionen energieeffiziente Sozialwohnungen gebaut werden. Öffentlicher Nah- und Fernverkehr soll emissionsfrei werden, die staatliche Autoflotte auf E-Autos umgerüstet werden und und und…

Weil ihm das Klima und die Umwelt so am Herzen liegen?

Weil er klug ist. Er hat sowohl erkannt, wie sehr der Klimawandel seinem Land und den Amerikaner*innen heute schon schadet, als auch, welche Chance im Umbau liegt. Die USA stecken in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte, die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau – er will mit dem billionenschweren Umbauprogramm vor allem auch die Wirtschaft ankurbeln und Millionen neue Jobs schaffen, indem er überall auf klimafreundliche Technologien umsteigt. Das gibt Arbeitsplätze entlang der gesamten Produktionskette, von der Stahlarbeiter*in über die Ingenieur*in bis hin zur universitären Forschung.

Kritisch sehe ich allerdings, dass für Biden wohl auch Atomkraft und CCS – also die Abscheidung von Kohlendioxid beispielweise aus der Abgasluft von Kohlekraftwerken und anschließende Verpressung des Gases unter der Erde – als „klimafreundliche Technologien“ gelten – zwei Technologien, die wir für höchst gefährlich und fragwürdig halten. Aber ich hoffe, dass man darüber noch mit ihm reden kann.

Nun ist ja vor der Wahl vor der Wahl und nach der Wahl nach der Wahl….

Das ist natürlich richtig, und auch ein amerikanischer Präsident kann nicht im Alleingang regieren. Zumal es im Moment ja so aussieht, als ob die Demokrat*innen zwar im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben, aber im Senat wohl knapp nicht. Falls sich das bis Anfang Januar nicht ändert, schränkt das den Handlungsspielraum von Biden natürlich ein. Ich hoffe sehr, dass trotz der verbissenen Grabenkriege der letzten vier Jahre zukünftig ein wenig Vernunft regiert und die Republikaner*innen sich angesichts der Not im Land kompromissfähig geben. Biden ist ja auch ein Politikveteran, er kennt das Geschäft seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Am 12. Dezember jährt sich das Pariser Klimaschutzabkommen zum fünften Mal. Damals haben sich die Länder der Welt dazu verpflichtet, ihre Treibhausgase so drastisch zu senken, dass die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad, am besten auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Fünf Jahre später – wo steht die Welt heute? Wie sieht es aus im Kampf gegen die Erderhitzung?

Gar nicht gut! Ich war ja damals in Paris dabei und wir hatten große Hoffnungen, dass sich eine neue, positive Dynamik entfaltet. Stattdessen steigt der Ausstoß an Klimagasen weltweit immer noch weiter, wir haben die Trendwende noch nicht erreicht. Die Erde hat sich bereits um mehr als ein Grad Celsius erhitzt – wir müssen jetzt wirklich allerschnellstens und entschlossen handeln.

Allerdings sind faktisch die Bemühungen in allen großen Wirtschaftsnationen dieser Welt nicht da, wo sie sein sollten. Zum Beispiel haben Deutschland und Europa zwar den Ausstoß ihrer Klimagase etwas reduziert und zahlreiche kleine Klimaschutzpäckchen auf den Weg gebracht. Aber sie sind nicht auf einem Pfad, der mir Hoffnung gibt, dass die in Paris gesetzten Temperaturanstiegsgrenzen eingehalten werden.

Es macht mich wirklich wütend, dass gerade Bundeskanzlerin Merkel in den 15 Jahren auch die Automobilindustrie viel zu lange geschützt und für das Klima viel zu wenig bewegt hat. Eigentlich ist es zum Verzweifeln. Aber da wir noch eine kleine Chance haben – auch wenn das Zeitfenster um weitere vier Jahre geschrumpft ist – aber da wir noch etwas tun können, dürfen wir nicht verzweifeln, sondern müssen jetzt gemeinsam aktiv werden. Noch kann die Menschheit die schlimmsten Folgen der Erderhitzung vermeiden. Und darauf müssen wir uns konzentrieren.

Deshalb schaue ich nach China und sehe: Der größte Verursacher an Treibhausgasen will bis 2060 klimaneutral sein. Japan hat das für 2050 angekündigt. All das muss beschleunigt und noch in ein Klimaschutz-Sofortprogramm übersetzt werden. Dann sehen wir, wie ernst sie das meinen.

In der EU, dem drittgrößten Erzeuger von Treibhausgasen werden derzeit die Konjunkturpakete und das Klimaziel für 2030 diskutiert – ein Schlüsselmoment! Wenn Politik endlich auf die Klimawissenschaft hört, die soziale Ausgestaltung der neuen Richtung ernst genommen wird und das alles am Ende ehrgeizig genug würde – und es gibt erhebliche Kräfte, die das versuchen  –, wenn Biden in den USA den Schalter umlegt, dann können wir es schaffen.

Zumal ja – und das ist vielleicht eine der grandiosesten Veränderungen der neuesten Zeit, die Klimabewegung so stark ist, wie noch nie. Was die jungen Menschen da an Druck erzeugen, ist phänomenal. Und sehr wirkungsvoll auf allen Ebenen. Auch der Wille in der Bevölkerung zur Klimawende ist heute so groß wie nie und bestimmt die öffentlichen Debatten.

Wenn die Zeit so knapp ist, um das Ruder noch rumzureißen – was bedeutet denn die Verschiebung der Klimakonferenz in Glasgow wegen Corona um ein Jahr?

Das ist natürlich Corona geschuldet, aber es muss angesichts des Timings mit der US-Wahl kein verlorenes Jahr für den internationalen Klimaschutz bedeuten. Denn nach wie vor müssen alle Länder ihre nationalen Aktionspläne bis Ende des Jahres einreichen. Wer will, kann sein Programm auch beim Online-Festakt zum 5. Geburtstag des Pariser Abkommens beim kleinen UN-Sondergipfel am 12. Dezember auf Einladung des UN-Generalsekretärs Guterres präsentieren. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, ob Joe Biden dort zusammen mit Angela Merkel den internationalen Klimaschutz wiederbeleben wird.

Das größere Problem ist: Corona hat die Prioritäten in vielen Ländern komplett verschoben. Diese akute Krise zu bekämpfen bindet unglaublich viele Kapazitäten. Aber die Konjunkturpläne der EU, Deutschlands und auch der USA unter Biden offerieren auch enorme Chancen für den Klimaschutz: Mit den immensen Geldsummen, die jetzt zur Wiederbelebung der Wirtschaft in die Hand genommen werden, kann ja genau der notwendige ökologische Umschwung finanziert werden, so dass Modernisierung, Stärkung der Wirtschaft und Klimaschutz an Dynamik endlich gewinnen. Merkel und die EU sind hierbei aber viel zu zögerlich.

Nun hat ja Covid 19 und das Runterfahren des öffentlichen Lebens dazu geführt, dass weniger Treibhausgase in die Luft gepustet worden sind…

Das stimmt schon. Aber nicht genug und auch nicht nachhaltig – wenn die Wirtschaft wieder hochfährt, ist der Corona-Effekt schnell verpufft. Nein, wir brauchen die konsequente Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens, ehrgeizige nationale Klimaschutzmaßnahmen vor allem für Energie, Verkehr und Landwirtschaft und konsequente Neuausrichtung in den entscheidenden Volkswirtschaften dieser Erde. Und das ist zu schaffen, wenn wir den Lobby-Druck der Öl-, Gas- und Kohleindustrie brechen und eine gemeinwohl-orientierte Politik einfordern. Die Wahl Bidens war in dieser Hinsicht ein hoffnungsvoller Anfang im Westen. 

 

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