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Alberta, Kanada, 2009: Absetzbecken auf einem Teersand-Fördergelände
Jiri Rezac/Greenpeace

Raubbau an einer jahrtausendealten Natur

Ölsand ist eine Vorstufe des Erdöls, eine Mischung aus unterschiedlich zusammengesetzten Stoffen wie Sand, Öl, und Schwefel. Das bedeutendste Vorkommen befindet sich in Venezuela und in Alberta, Kanada. In den sogenannten Athabasca-Ölsanden sind etwa ein Drittel der weltweiten Ölvorräte im Sandgemisch verborgen. Die konventionellen Ölressourcen neigen sich dem Ende zu. Der technische Fortschritt macht die Gewinnung des Ölsands immer rentabler. Die Regierung Kanadas setzt daher auf seine Förderung. Sie sieht darin einen wichtigen Wirtschaftsfaktor.

Wie wird Ölsand gefördert und warum ist der Abbau so gefährlich? Und - eine unvermeidliche Frage -, wie konnte gerade Kanada, das als ethisches und umweltbewusstes Land galt, sich auf dieses Geschäft einlassen? Trotz der Zerstörung jahrhundertealter Natur. Welche Folgeschäden müssen Natur und Bewohner ertragen? Der Raubbau an der Natur soll weitergeführt und sogar ausgebaut werden. Eine Protestwelle zieht durchs Land. Was kann Europa tun, um den Protest zu unterstützen?

Die Förderung von Ölsand

Die Gewinnung von Öl aus dem Ton- und Sandgemisch unterscheidet sich massiv von der herkömmlichen Förderung des Erdöls. Öl aus konventionellen Ölquellen fließt in unterirdischen Kavernen und wird nach dem Anbohren der Ölquelle durch den Druck an die Erdoberfläche gepresst. Das Erdöl aus Ölsand hingegen ist zunächst nicht flüssig. Es ist in einer teerartigen Masse gebunden, aus der es für die Weiterverarbeitung gelöst werden muss. Der Abbau ist wegen seiner vielen Produktionsschritte sehr aufwendig. Der benötigte Energieaufwand sowie die freiwerdenden Schadstoffe sind extrem umweltschädlich. Die Ölkonzerne schrecken davor nicht zurück. Sie dringen mit den weltgrößten Baggern in die unberührte Natur vor, um nach dem ölhaltigen Sand zu graben.

Die Ölsandschicht befindet sich in ca. 30 Metern Tiefe. Um daran zu gelangen, werden Kanadas Urwälder gerodet und der Mutterboden abgetragen. Erst dann kann das Gemisch aus Sand, Lehm und vor allem dem teerähnlichen Öl "Bitumen" aus dem Boden gehoben werden. Die Bitumen sind eine zähe Masse, weshalb der Teersand mit Hilfe von Dampf in seine Bestandteile zerlegt werden muss. Sand, Ton und andere im Öl unerwünschte Stoffe werden abgetrennt und das Bitumen kann abgepumpt werden. Dieses Öl wird nun in Raffinerien, welche sich größtenteils in den USA befinden, weiter veredelt.

Eine andere Methode ist das immer häufiger angewandte In-Situ-Verfahren. Dabei wird heißer Wasserdampf in die unter der Erdoberfläche liegende ölsandführende Schicht eingebracht. Der heiße Dampf verflüssigt das gebundene Öl, das dann ohne zu graben abgesaugt werden kann.Das In-Situ-Verfahren braucht noch weit mehr Energie als das sogenannte Open Pit Mining, hinterlässt an der Oberfläche aber andere Spuren. Die Natur wird von Röhrensystemen durchzogen, es gibt immer wieder plötzlich auftretende Senken. Ein großer Teil der im Boden verbleibenden bisher gebundenen Stoffe sowie das Produktionswasser sind toxisch und tragen zur Vergiftung des Grund- und Oberflächenwassers beispielsweise im Athabasca River bei.

Die Schäden und Folgen für die Umwelt sind massiv. Täglich werden derzeit in Alberta 1,2 Millionen Barrel Öl (ein Barrel entspricht 159 Litern) auf diese Weise gewonnen. Bis zum Jahr 2020 soll sogar doppelt so viel, etwa drei Millionen Barrel pro Tag, gefördert werden.

Kanada wird zum Ölstaat

Im Jahr 2004 unterzeichnete Kanada das Kyoto-Protokoll und verpflichtete sich darin, seine CO2-Emissionen zu reduzieren. 2006 aber wurde Stephen Harper zum Chef der konservativen Partei gewählt, die damals eine Minderheitenregierung mit 36 Prozent Stimmenanteil bildete. Unter Harper wurden die Umweltbestimmungen verworfen, US-Kriege im Mittleren Osten unterstützt und Kanada zum Ölstaat gemacht. 2011 trat Kanada endgültig aus dem weltweiten Klimaabkommen aus, das die Vorgänger-Regierung 1997 noch selbst mit verantwortet hatte. Statt die C02-Emissionen im Vergleich zu 1990 zu senken, erhöhten sich diese um 30 Prozent.

Auswirkungen auf die Umwelt in Kanada

Ohne Rücksicht auf Verluste wird nach dem schwarzen Gold gebuddelt. Die Liste der Schäden ist lang, doch wieder einmal lockt einzig der Profit.

1. Waldrodung: Albertas grüne Landschaft ist bereits jetzt durchzogen von riesigen Lücken auf der Landkarte - eine Kraterlandschaft aus Schlamm in der einst dicht bewaldeten Natur. Die Wälder müssen als erstes weichen, das Ökosystem wird auf den Kopf gestellt. Doch das Roden nimmt kein Ende. Das Abbaugebiet erstreckt sich über 149.000 Quadratkilometer, eine Fläche so groß wie England.

2. Energie- und Wasserverbrauch: Das Öl vom Sand zu trennen, erfordert eine erhebliche Menge Energie, das Erzeugen des notwendigen Dampfes ist sehr aufwendig. Um ein Barrel Rohöl zu erzeugen, werden ca. fünf Barrel Wasser verbraucht. Diese Menge würde reichen, um eine Großstadt mit Wasser zu versorgen. Ein Drittel der Energie, die das Öl am Ende liefert, wird bereits bei der Gewinnung verbraucht.

3. Treibhausgase: Da eine erhebliche Menge CO2 freigesetzt wird, trägt die Teersandförderung zum Treibhauseffekt bei. Die Internationale Energieagentur (IEA) berechnete, dass Kanada bis 2015 den höchsten Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 haben wird. Mehr als 40 Prozent der kanadischen CO2-Emissionen werden also zusätzlich verursacht, wenn die Ölindustrie weitermacht. Nach einem Bericht der Stanford Universität für die EU-Kommission werden durch Teersand 23 Prozent mehr Emissionen im Vergleich zum konventionellen Öl produziert.

4. Schwefelgehalt: Ölsand enthält ca. fünf Prozent Schwefel. Dieser muss entfernt werden, bevor der Ölsand zum Kraftstoff umgewandelt werden kann. Jährlich entstehen dadurch etwa 3,3 Millionen Tonnen Schwefelpulver. Die bei der Entschwefelung entstehende Abluft führt zur Versauerung der Böden und Wälder.

5.Giftstoffproduktion: Eine enorme Menge giftiger Flüssigkeiten wird freigesetzt. Giftstoffe wie Cadmium, Arsen, Quecksilber und krebserregende Kohlenwasserstoffe sind enthalten. Auf ein Barrel Öl entfallen etwa 650 Liter toxische Brühe. Täglich werden etwa 500 Millionen Liter dieser Giftbrühe in künstlich angelegte Seen, in sogenannte "Tallings Ponds" (Abwasserseen), geleitet. Gemeint sind damit natürliche Senken ohne jegliche Absicherung. Für Vögel und andere Tiere, die nicht zwischen den künstlichen Giftsenken und natürlichen Seen unterscheiden können, sind sie eine riesige Todesfalle.

Allein bis zum Jahr 2009 sind diese Giftseen mit 130 Quadratkilometern fast auf die doppelte Größe des Chiemsees gewachsen. Nach Schätzungen des kanadischen Pembina Instituts sickern etwa 11 Millionen Liter des hochgiftigen Cocktails täglich ins Grundwasser und in die umliegenden Flüsse.

6. Erkrankungen von Mensch und Tier: Die Umweltschäden gehen noch weiter. Im Athabasca River wurden Fische mit Tumoren und Mutationen erfasst. Wissenschaftler stellten hohe Konzentrationen der Giftstoffe im Fischfleisch fest. Die Krebs- und Autoimmunerkrankungen rund um das Gebiet stiegen an. Schon jetzt liegt die Krebsrate der Region um etwa 20 Prozent höher als im Rest des Landes.

Besonders betroffen sind die indianischen Ureinwohner Kanadas, die First Nations. Der Fischfang und die Jagd auf Wild, traditionell wichtig für ihren Lebensunterhalt, sind nur noch eingeschränkt möglich. Tausende Arbeiter, die von den Ölkonzernen nach Alberta geschickt wurden, sind mit einer Immobilienkrise konfrontiert. Drogenmissbrauch, Selbstmord, Spielsucht und Gewalt in Familien stiegen in den Gebieten des Ölsandabbaus an.

Proteste gegen die Ölsandförderung: Europa muss ein Zeichen setzen

Hauptabsatzmarkt für das dreckige Öl aus Kanada sind die USA. Um den Absatz zu steigern will Kanada den Markt auf China und Europa ausweiten. In den USA und Großbritannien gibt es massive Proteste gegen den Abbau von Ölsand. Um noch größere Mengen des Teersands in den USA weiterzuverarbeiten, soll eine gigantische Pipeline (Keystone XXL) bis an den Golf von Mexiko gebaut werden. Zehntausende Demonstranten umzingelten im November 2011 aus Protest das Weiße Haus und setzten damit ein Zeichen. Präsident Obama vertagte die Entscheidung über den Bau auf die Zeit nach seiner Wiederwahl.

Trotz der negativen Folgen - in den USA sind bereits Umweltschäden durch Pipelinebrüche bekannt geworden - sind große Teile der Keystone XXL-Pipeline inzwischen gebaut, es fehlen nur noch einige Verbindungsstücke.

In Kanada selbst ist eine weitere Pipeline nach British Columbia an den Vancouver Sound geplant. Diese soll durch die unberührte Natur der Rocky Mountains führen. Um das gewonnene Öl schnell und einfach nach Asien exportieren zu können, sollen in Vancouver Terminals errichtet werden. Das Land gehört seit Jahrtausenden den Ureinwohnern Kanadas. Sie sind es, die mit den direkten Auswirkungen der massiven Umweltverschmutzung leben müssen. Brüche in der Pipeline können nicht verhindert werden und verschmutzen die Umwelt massiv.

Im Dezember 2012 wollte die EU-Kommission die europäische Kraftstoff-Qualitätsrichtlinie (englisch FQD) von der EU-Kommission beschließen. Darin sollte entschieden werden, ob Öl aus Teersand weiterhin nach Europa importiert werden darf. Der ursprüngliche Vorschlag beinhaltete, dass Kraftstoffe, bei deren Herstellung mindestens 15 Prozent mehr Energie und damit Treibhausgase als durchschnittlich freigesetzt werden, nicht (oder nur in eng begrenzten Mengen) in Europa zugelassen werden sollen. Das wäre das Aus für den Import von Ölsandprodukten nach Europa.

Die kanadische Regierung versucht seit Jahren, diesen Vorschlag durch ihre Botschaften und Lobbyisten in europäischen Hauptstädten zu untergraben. Auch vor Drohungen mit Verfahren der WTO schrecken die Vertreter Kanadas nicht zurück. Diese Taktik hat zumindest so weit Wirkung gezeigt, dass die FQD bis Anfang 2014 nicht beschlossen, an Klima- und Umweltaspekten orientierte Kriterien für Kraftstoffe nicht festgelegt wurden.

Die EU-Kommission muss dringend überzeugt werden, dass die Berücksichtigung der Umweltschäden bei der Bewertung die einzig richtige Lösung darstellt. EU-Umweltkommissarin Connie Heedegard befürwortet dies. Der deutsche EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, will hingegen das schmutzige Öl durchwinken. Greenpeace setzt sich dafür ein, den Import zu stoppen und so den Profitausbau der Konzerne zu unterbinden.

James Hansen von der NASA bestätigt, dass der Ausbau von Ölsandförderung das Aus für das Klima bedeutet. Auch andere Umweltorganisationen unterstreichen, dass Öl aus Teersand sogar noch mehr Klimaschäden anrichtet als das herkömmliche Öl. Deshalb muss es dringend aus Europa herausgehalten werden. Europa sollte sich von der Nutzung fossiler Kraftstoffe wie Öl verabschieden und endlich konsequent auf die sauberen Erneuerbaren Energien umsteigen. Europa muss jetzt ein Zeichen setzen.

(Stand:14. Februar 2014)

  • Aktivisten entnehmen Proben von Seen neben der Ölsandindustrie in Alberta/Kanada, Juli 2009

    Aktivisten nehmen Proben

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  • Luftaufnahme der Syncrude Aurora Teersandmine im borealen Wald nördlich von Fort McMurray.

    Teersand wird abgebaut

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  • In den Wald geschnitten: Teersandabbau in Alberta/Kanada, 2009

    In den Wald geschnitten

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  • Greenpeace-Aktivist protestiert auf einem Shell-Fördergelände in Alberta/Kanada gegen Ölsandförderung, Oktober 2009

    Protest auf dem Shell-Fördergelände

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Kurzinfo: Abschied vom Öl [PDF 3,7 MB]

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