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Online-Redaktion: Hallo Andree! In der Diskussion um die zukünftige Energieversorgung sehen die einen spätestens im Jahr 2020 eine Versorgungslücke auf uns zukommen. Andere kritisieren diese Aussage als unhaltbar. Ist diese Debatte eigentlich neu?
Andree Böhling: Überhaupt nicht. Allerdings hat die Diskussion jetzt einen neuen Charakter angenommen. Es ist klar geworden, dass wir am Scheideweg stehen. Weg von Atomenergie, weg von Kohlekraftwerken. Hin zu Erneuerbaren Energien, Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und Energieeinsparung. Dagegen wehren sich die Energiekonzerne.
Sie schüren Ängste in der Bevölkerung und versuchen so, den Atomvertrag aufzukündigen und den Druck auf die Politik zu erhöhen. Die Konzerne wollen business as usual: Die Atomkraftwerke sollen weiterlaufen, neue Kohlekraftwerke trotz Klimaerwärmung gebaut werden. Die Stromlückendebatte ist also von Interessen geleitet. Der Skandal ist, dass die Deutsche Energieagentur (dena) zum Sprachrohr der großen Energiekonzerne geworden ist.
Online-Redaktion: Wer oder was ist die dena? Wer steckt dahinter?
Andree Böhling: Die dena hat den Auftrag, sich insbesondere im Bereich Erneuerbare Energien und Energieeinsparungen zu engagieren. Sie arbeitet im Prinzip der Bundesregierung zu und wird zur Hälfte von ihr finanziert. Aber gleichzeitig wird sie von der Privatwirtschaft mitfinanziert. Die Abhängigkeit von der Wirtschaft hat dazu geführt, dass sie Studien veröffentlicht, die fast eins zu eins den Positionen der vier großen Energiekonzernen entsprechen. Das ist völlig inakzeptabel, weil die Agentur einen öffentlichen Auftrag hat und als deutsche Bundesbehörde wahrgenommen wird.
Online-Redaktion: Und was ist wirklich dran an der Studie der dena zur Energieversorgung? Müssen wir uns auf einen Engpass einstellen?
Andree Böhling: Die Studie soll zeigen, dass eine Stromlücke nur dann entsteht, wenn Atomkraftwerke abgeschaltet werden und keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Das ist natürlich Quatsch!
Wer sich die Studie genauer anschaut, stellt fest, dass wichtige Parameter interessengeleitet definiert wurden: Der Energiebedarf wird höher angesetzt, die Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke kürzer veranschlagt. Die Leistungen der Erneuerbaren Energien werden als sehr gering berechnet und das Energiesystem als ein statisches und nicht entwicklungsfähiges System behandelt. Außerdem wird ausgeblendet, dass wir seit Jahren Stromüberschüsse verzeichnen und Deutschland sehr viel Strom exportiert. Auf diese Weise kann man leicht eine Versorgungslücke konstruieren.
Andere Studien wie unser Plan B oder die des Umweltbundesamtes kommen zu deutlich anderen Ergebnissen. In unserem Energiekonzept mussten wir in 2020 sogar Überkapazitäten im fossilen Kraftwerkssektor feststellen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es bei der Debatte im Kern um eine Richtungsentscheidung geht und weniger um fehlende Kraftwerkskapazitäten.
Online-Redaktion: Was genau wird im Moment getan, um einer Stromlücke entgegenzuwirken?
Andree Böhling: Die Bundesregierung hat in einigen Bereichen richtige Weichenstellungen vorgenommen - zum Beispiel den Strombedarf deutlich zu senken, den KWK-Anteil auf 25 Prozent und den der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2020 auf 30 Prozent zu erhöhen. Das reicht aber noch nicht. Vor allem müssen wir schneller vorankommen. Zum Teil liegen wir weit hinter den Plänen zurück. Wir brauchen klare politische Signale gegen neue Kohlekraftwerke. Ansonsten werden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen.
Online-Redaktion: Als Fazit kann man also sagen: Es ensteht keine Stromlücke, auch wenn Atomkraftwerke abgestellt und keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Vorausgesetzt natürlich, dass die von dir genannten Voraussetzungen geschaffen werden.
Andree Böhling: Wenn die Politik die Investitionen in die richtige Richtung lenkt, dann werden wir keine Versorgungslücke bekommen. Das ist kein technisches Problem. Die Frage ist, ob wir es schaffen, die Klimaschutzziele gegen die Interessen von einzelnen Energiekonzernen durchzusetzen.
Kommt es allerdings zu einem Patt zwischen Energiewirtschaft und Umweltschützern und es wird überhaupt nicht investiert, dann droht durchaus so etwas wie eine Versorgungslücke. Parallel werden wir dann allerdings auch große Probleme mit dem Klimawandel bekommen. Und hier verschärft sich dann das Problem. Durch den Klimawandel gefährden wir schließlich unsere gesamten Lebensgrundlagen.
Online-Redaktion: Danke für das Gespräch, Andree!