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nuclear waste Iraq
(c)2003 Greenpeace/P. Reynaers

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Seid Ihr mit Euren Aktivitäten im Irak nicht ein großes persönliches Risiko eingegangen?

Wir haben natürlich ein höheres Risiko getragen. Erstens weil wir in ein Kriegsgebiet gegangen sind, und zweitens weil wir sehr nah an unbekannte radioaktive Quellen herangegangen sind. Diese Risiken haben wir aber möglichst genau einzuschätzen versucht.

Ich bin vorher in den Irak eingereist und habe die Situation geprüft. Erst dann haben wir das Team nachgeholt. Und wir haben uns strikte Regeln gesetzt, ohne die geht es gar nicht. Es ist extrem gefährlich dort. Sobald es dunkel wird, beginnen die Schießereien und Überfälle. Deshalb ist niemand von uns allein rausgegangen, immer nur alle gemeinsam.

Es gibt eine allgemeine Ausgangssperre von 23 Uhr abends bis vier Uhr früh. In der Nähe unseres Hotels in Bagdad gab es drei Stätten, die wir innerhalb einer Minute erreichen konnten, wenn wir etwas essen wollten. Da konnten wir uns bis 23 Uhr aufhalten. Gleich gegenüber war die australische Botschaft, hinter uns ein Checkpoint. Das war also relativ sicher.

Bestimmte Stadtteile und Straßenzüge haben wir strikt gemieden, dort war das Risiko zu groß. Und natürlich haben wir vor Ort ein Sicherheitssystem aufgebaut. Wenn etwas passiert wäre, hätte sofort jemand Bescheid gewusst, der die Sprache spricht und uns suchen kann. Zusätzlich haben wir jeden Tag Informationen über aktuelle Gefahrenherde bekommen. In den letzten Tagen ist die Situation eskaliert, die Gefahr rückte immer näher an unser Hotel heran. Ja, und ein Restrisiko bleibt natürlich immer. Das haben wir in Kauf genommen.

Ich habe einmal auf der Straße ein Telefoninterview gegeben, da fangen plötzlich welche ganz in der Nähe zu schießen an. Ich musste schnell hinter einem Auto in Deckung gehen und das Interview abbrechen.

Auch die Recherchen, Messungen, Videoaufnahmen in der Atomanlage waren nicht ungefährlich. Von Bagdad aus sind wir ja jeden Tag nach Al-Tuwaitha rausgefahren. Das ist nicht weit, nur 18 Kilometer. Einmal sind plötzlich Plünderer aufgetaucht und haben zu schießen angefangen. Die kämpfen natürlich um ihre Beute.

Wir hatten einen Fahrer und einen unbewaffneten Bodyguard mit. Die sollten die Gefahr riechen und das haben sie auch. Sie haben dann gesagt, so jetzt müssen wir abhauen, sind in die Autos und weg. Wir dort allein und wir sind Westler. Die Iraker gehen davon aus, dass wir keine Waffen haben. Einmal beobachtete ich einen Mann, der die ganze Zeit zu uns herüberguckt. Er verhielt sich ganz seltsam. Da wollten welche plündern, guckten aber auch die ganze Zeit auf uns. Wir sind natürlich auch ein potenzielles Plünderobjekt. Am Ende brauchst du einfach Glück.

Das Gefährlichste an der Situation war eigentlich, dass man sich trotzdem sicher fühlte. Da ist das Hotel, da sind Leute, Gäste. Auf der Straße gehen Menschen vorbei, es gibt Dönerbuden, es wird Kebab gebraten. Schülerinnen gehen mit ihrer Schuluniform durch die Gegend. Es gibt Autoverkehr, die Leute hupen - es ist ein ganz normales Stadtbild. Ab und zu fahren mal zwei Panzer vorbei oder Jeeps. Ja, und dann fühlt man sich eben sicher.

In Al-Tuwaitha war Sicherheit kein Problem. Das ist eine schiitische Gemeinde. Sie haben dort die schiitische islamische Partei gegründet, das sind keine Fundamentalisten. In den Gemeinden überlagern sich verschiedene alte Strukturen. Und das einzige, was nach der Diktatur übrig geblieben ist, sind die alten Traditionen, und die basieren auf der Religion. Das muss gar nicht fundamentalistisch sein.

Ortsvorsteher ist der Mullah. Er hat alles, wirklich alles zu sagen. Seine Leute sind alle, ausnahmslos alle, Saddam-Gegner. Viele haben im Gefängnis gesessen, sind gefoltert worden. Heute arbeiten sie mit den Amerikanern zusammen, um Saddam-Anhänger zu finden. Die Rädelsführer haben sie eingesperrt und den Amerikanern übergeben.

Das sind Strukturen wie bei uns auf dem Land. Da ist der Pfarrer, der Bürgermeister, der Arzt - und das ist die Gemeinderegierung. Dort waren wir sicher. Sie haben uns richtig beschützt.

Ihr habt die Schutzanzüge, Geigerzähler und Masken im Gepäck gehabt. Hat da niemand komisch geguckt?

Na ja, wir waren ja nicht richtig undercover dort. Wir sind nicht mit aufgestelltem Kragen durch die Gegend gelaufen. Wir haben zunächst den Kontakt mit den amerikanischen Truppen und den Journalisten vermieden, haben in den Ortschaften gearbeitet. Stell dir vor, du arbeitest irgendwo in Harburg. In irgendeiner Seitenstraße in einem Hinterhof. Da kannst du eine volle Greenpeace-Aktion machen und keiner bekommt es mit. Und die paar, die es mitbekommen, gehen nicht zur Polizei.

Einmal ist ein amerikanischer Panzer vorbeigekommen, als wir in der Mädchenschule waren. Was macht ihr hier, haben sie gefragt. Da haben wir gesagt: Wir sind Journalisten. Wir haben hier eine Strahlenquelle entdeckt. Das können wir moralisch nicht verantworten. Wir können das zwar nicht wegräumen, aber wir werden es auf jeden Fall mal kennzeichnen. Und die: Alles klar, super. Das war unser Undercover. Fakten sammeln, sich ein Bild verschaffen, die Sachlage beurteilen, und dann erst in die Öffentlichkeit gehen.

Und wie war es bei der Einreise?

Dort herrscht komplette Anarchie. Ich weiß nicht, ob Ihr Euch das vorstellen könnt. Es gibt keinen Zoll, keine Grenzkontrollen, keine Flugzeuge. Wir sind über Jordanien reingekommen. In Amman haben wir alles Wichtige geklärt und uns einen Geländewagen mit Fahrer genommen. Wir mussten sechs Checkpoints und fünf Kontrollen auf jordanischer Seite passieren. Auf der irakischen Seite waren dann die Amerikaner, 20-jährige Jungs. Die winkten uns durch, gucken sich nicht einmal die Pässe an. Sie suchten aber nach Waffen. Das ist wie im Film.

Ich denke, dass wir uns an Punkten viel zu wichtig nehmen. Von den Amerikanern interessiert sich niemand für uns. Für die Besatzungsmacht ist Tuwaitha mit oder ohne nukleares Desaster eher uninteressant. Das erschien bisher gar nicht auf ihrer Prioritätenliste. Vielleicht ist das jetzt, nach unseren Aktivitäten dort, anders geworden. Vielleicht erscheint es ja jetzt auf der Liste, und nicht an dritter sondern an erster Stelle.

Wofgang, vielen Dank für das Interview!

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