Neue Bilder aus Amazon-Lager in Winsen belegen Zerstörung von Neuware
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Bückware – okay, schon mal gehört. Und „heiße Ware“ ist auch Nicht-Ganoven ein Begriff. Aber haben Sie eine Ahnung, was „Destroy-Ware“ ist? Die Bezeichnung klebt der Onlinehändler Amazon an mannshohe Sammelkartons, in denen sich voll funktionstüchtige Elektronikartikel, originalverpackte Bücher oder unbenutzte Saisonware stapeln. Was hier drin liegt, landet in der Müllpresse. Jetzt wissen Sie’s.
Greenpeace hat herausgefunden, dass alleine im Logistikzentrum in Winsen an der Luhe pro Woche rund 20 Kubikmeter Neuware in die Verschrottung gehen – das Volumen einer vollen LKW-Ladung. Klingt wie ausgedacht, weil: Warum sollte Amazon so etwas Widersinniges machen? Doch neue Bilder belegen die Praxis, und in der Konsumlogik des Online-Riesen ergibt das Ganze auf verdrehte Weise Sinn. Auch wenn das Vorgehen moralisch unsäglich und aus Klimaschutzsicht unverantwortlich ist.
Normalerweise nicht nachvollziehbar
Denn Amazon braucht Platz. Was sich nicht schnell verkauft, wird für Drittanbieter auf der Verkaufsplattform Marketplace irgendwann so teuer in der Lagerung, dass sie sich für den Händler nicht mehr rechnet. Da trifft es sich, dass Amazon neben Lagerung und Vertrieb für Drittanbieter eine weitere Dienstleistung anbietet: Sie zerstören die Waren zu einem Preis, der deutlich unter dem von Lagerung liegt. Für Normalverbraucher ist das kaum verständlich. „Es darf nicht sein, dass der Platz im Regal für den Onlinehändler anscheinend wertvoller ist als das Produkt, das drin liegt“, sagt Viola Wohlgemuth, Greenpeace-Expertin für Konsumfragen.
Das ist auch ein Problem für unser Klima: Sämtliche Produkte, die in der Schrottpresse landen, haben schließlich einen CO2-Fußabdruck. Sie werden produziert, transportiert und gehen dann ungenutzt in die Vernichtung. Das bedeutet klimaschädliche Treibhausgase, die ohne jeden Sinn die Atmosphäre aufheizen.
Die Bilder aus Winsen sind beunruhigend, aber vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Denn an den Ort in Niedersachsen gehen nicht einmal Retouren; an anderen Amazon-Standorten in Deutschland wird darum vermutlich noch viel mehr vernichtet. Aus vorangegangenen Recherchen ist bekannt, dass Entsorgungsteams im großen Maßstab Rücksendungen an Amazon zerstören. Ein Insider berichtete von Warenwerten in Höhe von 23.000 Euro pro Tag, die von einer Person täglich vernichtet wurden.
Grüne Weste, nix dahinter
Die Scharade, dass der marktbeherrschende Online-Versandhändler Amazon in der Öffentlichkeit weiterhin sein grünes Image pflegt, stößt bitter auf. Elektrische Fahrzeugflotten und Bekenntnisse zu Erneuerbaren Energien nützen wenig, wenn der Konzern sein ökologisches Gewissen bei jeder Chance zur Gewinnmaximierung stummschaltet. Etwa indem Amazon immer kürzere Lieferzeiten verspricht – und die beanspruchen Unmengen CO2. In den USA führt der Onlinehändler derzeit täglich 110, in Europa 20 Inlandflüge durch. Der Warenversand per Flugzeug ist 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent angestiegen, alleine in den Vereinigten Staaten. Amazon beziffert den CO2-Ausstoß, den allein der Transport zwischen Warenlager, Logistikzentren und Endkund*innen verursacht, auf 18,87 Millionen Tonnen. Das entspricht den jährlichen Emissionen Boliviens.
Greenpeace fordert von Amazon, die Vernichtung von Neuwaren – egal ob aus Retouren oder aus Lagerbeständen – umgehend einzustellen. Auf politischer Ebene ist längst eine Regelung überfällig, das Spenden der Ware steuerlich zu begünstigen. Denn bisher fällt bei der Spende solcher Produkte Mehrwertsteuer an – was einen Anreiz zur Vernichtung schafft. Mit der aktuellen Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes muss zudem die Vernichtung von völlig intakten Produkten endlich verboten werden.