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Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser
Daniel Müller / Greenpeace

Kohlekommission: Interview mit Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser

Der Kohleausstieg ist jetzt Chefsache: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich persönlich der Sache angenommen und will, dass sich Kohleindustrie und Umweltschützer, Gewerkschaften und Bundesländer auf einen Kompromiss einigen. Die Kohlekommission wird vielleicht schon am kommenden Wochenende ihre Ergebnisse präsentieren; die Kernfragen sind: Wann geht der letzte Kohlemeiler vom Netz? 2030, wie es für die Einhaltung der Klimaziele notwendig wäre, 2035 oder gar erst 2040? Wie schnell werden welche Kraftwerke bis dahin abgeschaltet? Und wie viele Milliarden bekommen die Kohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen?  

Einschätzungen von Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und Mitglied der Kohlekommission:

Greenpeace: Am vergangenen Sonntag hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gefordert, 2030 den Kohleausstieg aus Gründen der Versorgungssicherheit noch einmal zu überprüfen. Wie fände Greenpeace so ein „Nachjustieren“?

Martin Kaiser:  2030 muss der Kohleausstieg nicht überprüft werden, da muss er abgeschlossen sein! Das bedeutet auch keine Gefahr für die Versorgungssicherheit, hat das Fraunhofer-Institut errechnet. Nur so kann Deutschland seine Klimaziele 2030 erreichen, nur so kann Deutschland seinen Beitrag dazu leisten, den die Menschheit bedrohenden Klimawandel auf ein erträgliches Minimum zu begrenzen. Es ist für die Auswirkungen auf den Klimawandel überhaupt nicht banal, ob die Kraftwerke noch fünf oder zehn Jahre länger laufen oder nicht – sobald eine gewisse Konzentration an Kohlendioxid in der Erdatmosphäre erreicht wird, treten verschiedene unumkehrbare Prozesse ein, die unsere Zukunft sehr belasten würden.

Noch ist nicht klar, ob die Kohlekommission ihren Abschlussbericht heute oder nächste Woche präsentiert. Aber – was ist zu erwarten?

Wie das Kräftemessen zwischen der Kohleindustrie und den Klimaschützern, den Landesvertretern und der Bundesregierung ausgeht, ist noch völlig offen. Aber wenn ich lese, dass die Bundesländer finanzielle Unterstützung vom Bund in Milliardenhöhe fordern, um Zugstrecken auszubauen, Glasfaserkabel zu verlegen oder Konzerthallen und moderne Mobilitätsinfrastruktur mit Radwegen in den Braunkohleabbau-Regionen zu bauen – dann freue ich mich erst einmal.

Das überrascht jetzt. Wieso diese Freude?

Ich freue mich, weil ich daran merke, dass die Länder den Ausstieg aus der Kohleverstromung als Chance begriffen haben. Als einmalige Chance, ihre jetzigen Reviere zukunftsträchtig aufzustellen, zu entwickeln und den Menschen, die bisher direkt oder indirekt im Braunkohlegeschäft tätig waren, eine neue, zukunftsfähige Perspektive zu geben.

Das heißt, Greenpeace befürwortet die Forderung der Länder nach 60 Milliarden Euro?

Wie viel Geld wer bekommt, das ist Verhandlungssache zwischen Bund und Ländern, da will ich mich gar nicht einmischen. Oft ist das auch einfach eine Frage, welches Geld aus welchem Topf wie genannt wird. Was mir viel wichtiger ist: Die Zahlungen von Steuergeldern müssen daran gekoppelt werden, dass wir das Pariser Klimaschutzabkommen im Energiesektor endlich umsetzen. Und dazu müssen jetzt und in den nächsten Jahren bis 2025 etliche Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Bis 2030 muss ganz Schluss sein mit Kohlestrom.

Wo soll mit der Abschaltung von Kohlekraftwerken angefangen werden?

Weil seit 2015 beim Klimaschutz fast nichts passiert ist, wird Deutschland sein Klimaschutzziel bis 2020 wohl krachend verfehlen. Dieser Stillstand muss jetzt aufgebrochen werden. Beginnen sollten wir im Westen und die schmutzigsten Kohlekraftwerke so schnell wie möglich abschalten. Auch, um den Hambacher Wald endlich langfristig zu schützen. Aber auch in Ostdeutschland müssen die Emissionen aus der Verbrennung von Braunkohle bereits bis 2022 reduziert werden, hier allerdings erst mal nicht so stark wie im Westen.

Und daran würde ich die Strukturhilfen für die Kohleländer koppeln. Man könnte verknappt sagen: Nur wer mit der Reduktion über das bisher Geplante hinaus anfängt, wer also wirklich abschaltet, bekommt dafür Geld. Und das nicht nur, weil das zur Einhaltung der Klimaziele notwendig ist – für uns von Greenpeace natürlich der wichtigste Aspekt. Es wäre auch für die betroffenen Regionen das Beste, den notwendigen Strukturwandel einzuläuten. Zudem kann die Kanzlerin es der Öffentlichkeit gegenüber ja auch nicht vertreten, den Ländern Geld für Nichts zu geben.

Wie kann ein schneller Ausstieg aus der Kohle für die Länder das Beste sein, in denen Zehntausende Arbeitsplätze dadurch wegfallen werden?

Was diese Regionen vor allem brauchen, ist Klarheit und eine Perspektive. Die hohen Wahlergebnisse der AfD zeigen, wie groß die Verunsicherung in den betroffenen Gebieten ist. Die Menschen müssen merken, dass die Politiker einen Plan haben, und dass dieser Plan ihnen nützt. Dazu ist es absolut notwendig, dass der Kohleausstieg konsequent genug ist, um diesen Konflikt wirklich gesamtgesellschaftlich auch langfristig zu befrieden. Ein oder zwei weitere Hitzesommer in den nächsten Jahren – dann würde die Debatte um eine Beschleunigung des Ausstiegs sofort wieder hochkommen und ein Nichtstun in einzelnen Kohleabbauregionen mit Vehemenz in Frage gestellt werden. Und das zu Recht!

Der Verlust von Arbeitsplätzen kann den gesellschaftlichen Frieden auch gefährden...

Deshalb dürfen all die Menschen, die jetzt direkt und indirekt in der Kohleindustrie arbeiten, nicht allein gelassen werden, wenn Kraftwerke abgeschaltet werden, das ist ganz klar. Sie haben ja über Jahrzehnte zur Stromversorgung unserer Gesellschaft beigetragen, was wir sehr anerkennen. Deshalb müssen gute Lösungen für die Beschäftigten gefunden werden. Dazu liegen spannende Konzepte auf dem Tisch. Zudem wäre ein signifikanter Teil der Arbeitsplätze für viele Jahre weiter gesichert, wenn Kraftwerke heute abgeschaltet würden: durch deren Rückbau und Abwicklung. Außerdem geht bis 2030 zwei Drittel der jetzigen Beschäftigten in der Braunkohleindustrie sowieso in Rente. 

Was ich mit gesellschaftlichem Frieden meine ist: Die Klimakrise treibt immer mehr Menschen um. Überschwemmungen oder die Hitze- und Dürrezeit in Deutschland im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass auch bei uns die Folgen der Kohleverstromung, des Autoverkehrs sowie des übermäßigen Fleischkonsums  angekommen sind. Schülerproteste, der Konflikt um den Hambacher Wald, Großdemos zur Klimakonferenz: Immer mehr Menschen, vor allem junge, sind ernsthaft besorgt und deshalb bereit, auf die Straße zu gehen.

Wissenschaftler mahnen, dass nur noch wenige Jahre Zeit bleiben, um den Klimawandel auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Dazu muss der Ausstoß an Treibhausgasen massiv gesenkt werden, und die größten Klimakiller sind nun mal die Kohlekraftwerke. Diese müssen in Deutschland schrittweise, bis 2030 abgeschaltet werden – und beginnen damit müssen wir jetzt.

Wenn die Politik nun vor den Forderungen der Kohleindustrie einknickte und der Kohleausstiegsplan nicht konsequent und ambitioniert genug wäre, würden sich die Proteste noch ewig hinziehen, und es würde ständig weitere Nachbesserungen und Änderungen geben. So ein halber Kohleausstieg böte wieder keine Planungssicherheit. Außerdem würde es für alle Menschen viel teurer, die Folgen der Klimakrise zu bekämpfen, als diese von vornherein zu vermeiden. Selbst mehr als 40 große deutsche Konzerne wie Adidas, die Bahn, Siemens und EnBW fordern deswegen den Kohleausstieg.

Nein, nicht nur für das Klima, auch für die Menschen gilt: Je klarer im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens wir jetzt aus der Kohle ausstiegen, umso besser für alle.

Was ist also der Appell an die Kohlekommission in ihrer Endphase?

Ich empfinde den Kohleausstieg im Sinne von Paris als historische Chance, und ich appelliere an alle Teilnehmer, ihn auch als solche zu nutzen. Wir müssen Klimaschutz in etwas umwandeln, wovon wir alle profitieren. Es wäre ein so dringend notwendiges Signal der Bundeskanzlerin an Länder wie China, die USA und Indien, dass Industrieländer einen konsequenten Kohleausstieg mit Zukunftsperspektiven für die Menschen und die Wirtschaft verknüpfen könnten. Ein zivilgesellschaftlich getragener Interessenausgleich wäre auch eine Botschaft an die Landwirtschaft und den Verkehrssektor, die noch viel komplizierter zu steuern sind als die Energiewirtschaft: Dass die Klimaschutzziele verbindlich sind. Und dass Deutschland es will und schafft, sie auch zu erfüllen und dabei die Menschen mitnimmt.

(Teile des Interviews wurden bereits am 14. Januar veröffentlicht)

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