Jetzt spenden
Die Arctic Sunrise wird in Richtung Murmansk geschleppt, September 2013
© Greenpeace

Fragen und Antworten zum Fall der „Arctic 30“

Anderthalb Monate ist es her, dass der russische Inlandsgeheimdienst das Greenpeace-Schiff Arctic Sunrise im Nordpolarmeer geenter und die 30-köpfige Besatzung festgenommen hat. Am 6. November berät der internationale Seegerichtshof über den Fall. Die wichtigsten Fragen und Antworten. (Hinweis: Greenpeace hat die Rechtsanswaltskanzlei Günther und Partner beauftragt, die Informationen zur Rechtslage und zu den Verhandlungen am Internationalen Seegerichtshof zusammenzutragen. Im Folgenden eine gekürzte Version zum Überblick.)

Worum geht es bei der Verhandlung?

Die 22 Richter des Internationalen Seegerichtshofs werden am 6. November ab 10 Uhr mündlich verhandeln. Es geht dabei um den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Niederlande für die Arctic Sunrise und die 30 inhaftierten Männer und Frauen beantragt haben. Das Greenpeace-Schiff ist in den Niederlanden registriert. Russland soll, kurz gesagt, Schiff und Crew freilassen, alle gerichtlichen Verfahren aussetzen und sicherstellen, dass der Streit nicht eskaliert. Es wird erwartet, dass die Richter bis zum 21. November einen Entschluss fassen. Parallel zu diesem Eilverfahren haben die Niederlande ein Schiedsverfahren in Gang gesetzt: Das Schiedsgericht soll entscheiden, ob Russland das Seerechtsübereinkommen, Völkerrecht sowie den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verletzt hat. Diese Befürchtung teilen zahlreiche See-, Völker- und Menschenrechtsexperten.

Warum nimmt Russland nicht am Verfahren teil?

Russland hat erklärt, man werde weder eine Delegation zur Anhörung schicken noch das Urteil des Seegerichtshofes akzeptieren. Auch die Anerkennung des parallel laufenden Schiedsverfahrens lehnt Russland ab. Das Verfahren kann dennoch stattfinden, wenn der Seegerichtshof sich nach den Regeln des Seerechtsübereinkommens (UN Convention on the Law of the Sea) generell für zuständig hält. Russland hatte 1997 dieses UN-Übereinkommen ratifiziert - mit einer Ausnahme, auf die es sich nun beruft. Diese besagt, dass sich Russland bei bestimmten Streitigkeiten nicht den Streitbeilegungsverfahren des Seegerichtshofs unterwerfen muss, wenn es um die Ausübung souveräner Rechte Russlands geht. Dabei lässt die russische Argumentation allerdings außer Acht, dass sich diese Ausnahmen laut Seerechtsübereinkommen nur auf Streitigkeiten zu Forschung und Fischerei beziehen dürfen - und darum geht es im Fall der Arctic 30 nicht. Die Niederlande argumentieren richtig, dass die russische Ausnahme-Erklärung unwirksam ist, da sie über den im Seerechtsübereinkommen gesteckten Rahmen hinausgeht.

Wie sind die Erfolgsaussichten für das Eilverfahren?

Eine Greenpeace-Rechtsanalyse durch die Rechtsanwaltspraxis Günther hat ergeben, dass der Seegerichtshof die einstweilige Freilassung der Arctic Sunrise und der Besatzung anordnen muss. Russland hatte kein Recht, das Greenpeace-Schiff in seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) zu entern und die Crew zu inhaftieren. Dies wäre lediglich möglich gewesen, hätte das Schiff in der AWZ das Meer verschmutzt oder illegal gefischt. Die Aktivisten beabsichtigten jedoch nur, Russland auf seine Pflicht zum Meeresschutz in der AWZ hinzuweisen. Sie versuchten lediglich, ein Banner mit dieser Botschaft an der Gazprom-Ölplattform anzubringen - eine friedliche Aktion, bei der weder Personen noch Eigentum geschädigt wurden. Die Inhaftierung der Aktivisten ist völlig unverhältnismäßig und verstößt gegen die Menschenrechte.

Muss sich Russland an den richterlichen Beschluss halten?

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Land bereits in Streitfälle des Seegerichtshofs involviert war und die Urteile anerkannt hat. Russland selbst hat in der Vergangenheit den Seegerichtshof beim sogenannten Volga-Fall angerufen und dort erfolgreich die sofortige Freilassung des russischen Schiffs Volga samt Crew erstritten. Beim Hoshimaru-Fall wiederum musste Russland selbst der Anordnung folgen, das japanische Schiff sofort nach Zahlung einer Kaution freizulassen. In diesem Fall ging es um illegalen Fischfang in der russischen AWZ.

Wenn der Seegerichtshof die Freilassung der Arctic Sunrise und der 30 Männer und Frauen anordnet, ist Russland völkerrechtlich verpflichtet, dem nachzukommen. Die Entscheidung des Seegerichtshofs ist endgültig; eine Berufung oder Revision ist nicht möglich. Allerdings verfügt der Seegerichtshof über keine Zwangsmaßnahmen, mit denen er das Urteil vollstrecken könnte.

Sollte der Seegerichtshof dem Antrag allerdings nicht stattgeben, können die Niederlande auf Basis des neuen Sachverhalts erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen. Parallel läuft bei beiden möglichen Szenarien das oben erwähnte Schiedsverfahren weiter.

Was macht Greenpeace?

Wir haben formell keine Rolle in dem Verfahren. Greenpeace International hat allerdings einen Vermerk über den niederländischen Antrag in das Verfahren eingebracht sowie eine inhaltlich-rechtliche Stellungname veröffentlicht. Im Hauptsacheverfahren könnten beteiligte Greenpeace-Aktivisten als Zeugen geladen werden. Ein Team von Rechtsanwälten und Arktisexperten wird die öffentliche Verhandlung als Beobachter verfolgen. Gleichzeitig mobilisiert Greenpeace Millionen Menschen weltweit, die sich bei den russischen Konsulaten und Botschaften für die Freilassung der Arctic 30 einsetzen.

Datum
Rally against Corporations Trying to Sue Critics into Silence in Oakland

Mehr zum Thema

zwei Schlauchboote mit Aktivist:innen auf der Ostsee, im Hintergrund das Schiff
  • 25.10.2024

Gefahr durch Schattenflotte: Warnemünde, Fehmarn und Damp wären im Falle einer Ölpest bedroht. Greenpeace-Aktivist:innen protestieren auf der Ostsee gegen russische Ölexporte mit veralteten Tankern.

mehr erfahren
Brennender Tanker "Annika" von oben
  • 11.10.2024

Am Freitagmorgen geriet der Öltanker "Annika" vor der Ostseeküste in Brand, es drohte eine Umweltkatastrophe. Dieser Brand verdeutlicht einmal mehr, wie sehr Tanker die sensiblen Ökosysteme bedrohen.

mehr erfahren
Nach der Havarie des Öltankers Prestige vor der galicischen Küste Spaniens

Öltanker transportieren mehr als die Hälfte des geförderten Rohöls über die Weltmeere. Obwohl die Schiffe seit 2010 Doppelhüllen haben müssen, passieren immer wieder Unfälle.

mehr erfahren
Rally against Corporations Trying to Sue Critics into Silence in Oakland
  • 04.09.2024

Die Geschichte der SLAPP-Klage von Energy Transfer gegen Greenpeace in den USA - und welche Rolle sie weltweit spielt

mehr erfahren
In einem letzten Gefecht kletterten die Demonstranten auf den 125 m langen Fackelausleger der Plattform und schwenkten ein Transparent mit der Aufschrift „Bohren stoppen“. Fangen Sie an zu bezahlen.“ Unterdessen segelten fünf weitere Aktivisten unter der Leitung von Yeb Saño, Executive Director von Greenpeace Südostasien, an Bord des 8 Meter langen Tanker Tracker-Bootes von Greenpeace Nordic aus, um das 51.000 Tonnen schwere White Marlin-Schiff abzufangen, das von Shell unter Vertrag genommen wurde, als es
  • 09.11.2023

Vergangenen Februar protestierten Greenpeace-Aktivist:innen friedlich auf einer Shell-Ölplattfrom gegen Umweltzerstörung. Shell legt nun Einschüchterungsklage vor.

mehr erfahren
Canadian Activists Want 'Arctic 30' Home for the Holidays

2013 werden 28 Greenpeace-Aktivist:innen und zwei freie Journalisten für ihren friedlichen Protest gegen Ölbohrungen vor der Küste Russlands wochenlang inhaftiert. "Zu unrecht", urteilt die EU 2023.

mehr erfahren