Insektensterben: Gefahr für Wirtschaft und Ernährung
- Ein Artikel von Anja Franzenburg
- Hintergrund
Pummelige Hummeln, schillernde Schmetterlinge und andere Insekten: Sie alle bereichern unser Leben – und unsere Wirtschaft. Dumm und gefährlich also, diese Schätze nicht zu hüten.
Weltumspannend, produktiv und hoch profitabel: Warum zerschlagen wir einen Betrieb, der jährlich unfassbare Werte produziert? Zwei Drittel aller Nahrungspflanzen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Schätzungen zufolge liegt beispielsweise die Bestäubungsleistung der Bienen laut Deutschem Imkerbund hierzulande bei zwei bis vier Milliarden Euro. Mehrere Billionen Euro sollen es weltweit sein. Wir sollten den Hut ziehen – vor unserem raffinierten Ökosystem. Stattdessen tritt Homo oeconomicus kurzsichtig darauf herum. Die Zerstörung von Wäldern, Wiesen und Mooren, die Verschmutzung von Gewässern und der Einsatz von Pestiziden mindert die biologische Vielfalt. So ist laut des aufsehenerregenden IPBES Berichts von 2019 bis zu eine Million Arten weltweit vom Aussterben bedroht. Auch in Deutschland ist die Gefahr für Flora und Fauna groß: Ackerwildkräuter, Wildbienen, aber auch Vögel geraten in Bedrängnis.
75 Prozent weniger Insekten
Der Schwund einzelner Arten hat Effekte über das ganze Nahrungsnetz. Weniger Insekten bedeutet beispielsweise auch weniger Nahrung für Vögel. Der Vogelbestand in Deutschland entwickelt sich unterschiedlich. Während manche Arten wie Schwarzstorch oder Uhu beweisen, dass Schutzmaßnahmen wirkungsvoll sein können, gehen andere Bestände deutlich zurück. Hier sind laut Bundesumweltministerium insbesondere die Vögel der Agrarlandschaft betroffen, beispielsweise das Rebhuhn und der Kiebitz. Das liegt zu großen Teilen daran, dass Lebensräume in der Landwirtschaft schwinden – für die Vögel und ihre Nahrung, die Insekten.
Die Wissenschaft bestätigt, was längst für uns alle spürbar ist: Es ist stiller und farbloser geworden in unserer Welt. Wie oft sehen wir noch Schmetterlinge wie den zierlichen Aurorafalter oder das bunte Tagpfauenauge? Und trällert die Vogelbestimmungs-App nicht mittlerweile vielstimmiger als der gefiederte Besuch vorm eigenen Haus? In der breiten Bevölkerung hat dabei insbesondere das Bienensterben aufgeschreckt. Doch es geht dabei nicht in erster Linie um die Honigbiene: Viele Wildbienenarten und manch andere Insekten sind deutlich gefährdeter, mehr als 50% der Wildbienen stehen auf der roten Liste. „Wir verlieren Dutzende von Arten jeden Tag und bringen die Ökosysteme an ihre Grenzen“, fasste im März 2018 Achim Steiner, Chef des UN-Entwicklungsprogramms, die Situation weltweit zusammen.
Artenvielfalt erzeugt Stabilität
Doch wie viel Artenschwund verträgt das Ökosystem? „Der Verlust jeder einzelnen Art ist im Ökosystem spürbar“, erklärte Prof. Dr. Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung gegenüber der taz. Im sogenannten Jena-Experiment untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit vielen Jahren, welchen Einfluss biologische Vielfalt auf Ökosysteme hat – am Beispiel von Wiesen. Dort zeigten artenreiche Versuchsflächen eine deutlich bessere Bodenqualität als diejenigen, die als Monokultur angelegt waren; sie konnten sich zudem wesentlich schneller von Umwelteinflüssen wie Überschwemmungen erholen. „Vielfalt erzeugt Stabilität“, so Eisenhauer.
„Es geht nicht nur um den Verlust einzelner Arten“, sagt Agrarökonom Martin Hofstetter von Greenpeace. „Auch die Masse an Wildkräutern und Insekten nimmt insgesamt ab. Damit verschwindet die Lebensgrundlage vieler Tiere. Weniger Vielfalt auf dem Acker bedeutet oft auch weniger Leben im Boden und eine schlechtere Bodenqualität. Die Artenvielfalt zu erhalten ist neben der Bekämpfung der Klimakrise die größte ökologische Herausforderung unserer Zeit.“
Viel Gift, weniger Wildnis
Es sind vor allem die Veränderungen in der Landwirtschaft, die den Arten zusetzen: Monokulturen mit wenigen Fruchtfolgen, größere Äcker, fehlende Hecken, Säume und Brachflächen sowie die Intensivierung der Landwirtschaft durch Pestizide und Dünger.
Denn viele Wildblumen, Gräser und Kräuter vertragen die gleichförmig mit Stickstoff und Phosphat überdüngten Wiesen und Äcker nicht. Meist sind sie dort auch unerwünscht, denn sie verringern aus Sicht der Landwirtschaft den Ertrag. Pestizide wie Glyphosat oder Neonicotinoide beseitigen jedoch nicht nur unliebsame Kräuter und sogenannte Schädlinge, sie vernichten auch allerhand Nützliches und Schönes. Was aber immer mehr fehlt, ist Wildnis: Flächen, die scheinbar unproduktiv sich selbst überlassen werden – dabei aber vielfach genutzter Lebensraum von Wildpflanzen und Tieren wie Insekten, Vögeln und Kleinsäugern sind. Und eine Augenweide für uns Menschen.
Wirtschaft in die Verantwortung nehmen
Fakt ist: Das Geschäft mit den Pestiziden bringt Geld. Mit Begriffen wie “Pflanzenschutzmittel” und “Schädlingsbekämpfung” versucht die Industrie, ihre Mittel schön- und ihre Verantwortung beim Artensterben kleinzureden. Dem gegenüber stehen wissenschaftliche Erkenntnisse zu den direkten und indirekten Konsequenzen des Pestizideinsatzes für Tier, Natur und Mensch. Bei den Prozessen zu Round-Up, einem Totalherbizid auf Glyphosat-Basis, drohen erstmals einem Konzern massive juristische Konsequenzen – in diesem Fall Bayer/ Monsanto wegen potenzieller Folgen für die menschliche Gesundheit.
Noch vor einigen Jahren tummelten sich auf dem deutschen Markt zahlreiche frei erwerbliche Pestizidprodukte zur Bekämpfung von Insekten, die als bienengefährdend gelten. Pestizide stören den Orientierungssinn und das Gedächtnis der Bienen, sie finden weniger Nahrung und manchmal noch nicht einmal zurück in den eigenen Bienenstock. Mit der Kampagne „Rettet die Bienen“ konnte Greenpeace erreichen, dass zum Beispiel Baumärkte bienengefährdende Insektizide nicht mehr frei verkaufen.
Doch die Agrarlobby ist stark und ihr Einfluss immens. Nur zögerlich lässt sich die Politik darauf ein, dem massiven Einsatz von Pestiziden wie Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden Grenzen zu setzen.
Politisch gegensteuern
Immerhin: Der Druck auf die Politik wächst. Auf regionaler Ebene haben Initiativen wie das Volksbegehren Artenschutz viel öffentliche Zustimmung erfahren und den bayerischen Naturschutz vorangetrieben. Der Schutz von Insekten steht im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Und Ende April 2018 haben die EU-Agrarminister und -ministerinnen mit deutscher Zustimmung drei Neonicotinoide, allesamt gefährliche Insektizide, für die Nutzung im Freiland verboten. 2019 beschloss das Bundeskabinett zudem das “Aktionsprogramm Insektenschutz”, zu dem Greenpeace im Vorfeld mit anderen Umweltverbänden gemeinsame Forderungen für einen effektiven Insektenschutz einreichte - doch das entsprechende Insektenschutz-Gesetz steht auch 2020 noch aus.
Greenpeace-Agrarexperte Hofstetter sieht aber auch in der besseren Verteilung von Geldern Möglichkeiten gegenzusteuern. So dürften Agrarsubventionen nicht länger allein an die Größe von Betrieben gekoppelt werden, sondern müssten deren ökologischen Nutzen berücksichtigen. „Wir brauchen eine bodenschonende, vielfältige und nachhaltigere Landwirtschaft zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Das sind wir künftigen Generationen schuldig“, betont der gelernte Agrarökonom.
Selbst aktiv werden
Jede und jeder Einzelne kann etwas tun. Der kleinste Balkon kann zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen. Und mit jedem Einkauf entscheiden wir uns. Für chemisch-synthetische Pestizide auf Obst und Gemüse oder für ökologische Landwirtschaft und damit Artenvielfalt. Weniger tierische Lebensmittel bedeuten weniger Flächenverbrauch – und damit mehr naturbelassene, insektenfreundliche Flächen. Auch ein Insektenhaus kann hilfreich sein, wenn wettergeschützt angebracht.
Weitere Tipps finden Sie im Greenpeace-Bienenratgeber.
(Stand: April 2020)