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Rainer Froese vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung
Rainer Froese

Zur Lage in Nord- und Ostsee: Interview mit Rainer Froese vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung

Sie sind zum Symbol dafür geworden, dass die Natur sich dank Corona ein wenig vom Mensch erholen kann: Die Delphine, die plötzlich wieder in der Lagune von Venedig oder der Meerenge in Istanbul gesichtet werden. Doch wie sieht es bei den Fischbeständen in Nord- und Ostsee aus? Profitieren auch sie von der Corona-Pause? Und wie ist es überhaupt um Scholle, Kabeljau und Hering bestellt? Ein Interview mit Rainer Froese vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung.

Greenpeace: Wie steht es um Fischbestände der Nord- und Ostsee?

Rainer Froese: In der Nordsee sind die Bestände von Kabeljau, Wittling, Schellfisch und Seelachs immer noch deutlich zu klein und in der Ostsee geht es Dorsch und Hering gar nicht gut. Gewinner sind die Plattfische, also Scholle, Flunder, Kliesche und Steinbutt. Wenn sie nicht mit Grundschleppnetzen gefangen wurden, dann kann man sie mit gutem Gewissen genießen.

Spätestens in diesem Jahr wollte die EU gesunde Fischbestände in ihren Gewässern. Was ist da verkehrt gelaufen?

Im Jahr 2020 sollte laut der „Gemeinsamen Fischereipolitik“ der EU die Überfischung in den europäischen Gewässern für immer beendet werden. Stattdessen haben unsere Landwirtschaftsminister die erlaubten Fangmengen so hoch festgelegt, dass sie in etwa 46 Prozent der Bestände fortgesetzte Überfischung bedeuten. Es wird mehr rausgenommen als nachwächst, die Bestände schrumpfen und damit auch die zukünftigen Fänge und die Überlebensfähigkeit der Industrie.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf den Zustand der Fischbestände?

Durch die Corona-Krise ist die Nachfrage eingebrochen, die Fischer fahren seltener raus, es werden in diesem Jahr voraussichtlich weniger Fische gefangen als erlaubt. Damit könnte Corona das schaffen, was unsere Minister nicht geschafft haben: eine tatsächliche Beendigung der Überfischung in diesem Jahr.

Was bedeutet das für die Fischerei?

Wenn weniger Fische gefangen werden, dann wachsen die Bestände. Größere Bestände ermöglichen höhere Fänge. Viele der erlaubten Fänge, die in diesem Jahr Überfischung bedeutet hätten, wären damit im nächsten Jahr nachhaltig. Mit anderen Worten, die dauerhafte Erholung der Fischerei könnte jetzt ohne drastische Einschnitte bei den Fängen verwirklicht werden.  

Welche Chancen und Pflichten ergeben sich daraus?

Es gibt leider bereits Stimmen, die nach besonders hohen erlaubten Fängen als Corona-Hilfe rufen. Das wäre, als wenn man den Restaurantbesitzern erlaubt, Tische und Stühle zu verkaufen. Kurzfristig bringt das Geld in die Kasse, langfristig bedeutet es das Aus. Stattdessen sollte den Fischern mit einer Grundsicherung durch die Krise geholfen werden. So könnte man ihnen quasi ihre nicht-gefangenen Quoten abkaufen und die Fische im Wasser lassen. Im Gegensatz zu bezahlten Hafentagen wäre das eine echte Investition in die Zukunft der Fischerei. 

Welche Fischarten sollten vom Speisezettel verschwinden und warum?

Einige Fischarten sollten von der Speisekarte verschwinden, weil sie vom Aussterben bedroht sind. Dazu gehören besonders Aal und Dornhai (Schillerlocken).

Wenn Sie drei Dinge in der Fischerei ändern könnten, welche wären das?

Drei Dinge braucht es für eine gesunde und profitable Fischerei: nachhaltige Fangmengen, optimale Fanggröße (nach mehrmaligem Ablaichen) und schonende Fangmethoden (keine Grundschleppnetze).

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