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Portrait Michael Sterner
© Florian Hammerich

"Bayern ist mitnichten Spitzenreiter beim Klimaschutz"

Bayern muss seine Emissionen innerhalb von nur neun Jahren halbieren, um die eigenen Klimaschutzziele einzuhalten. Unmöglich? Nein! So kann es klappen. Ein Interview.

Klimaneutralität bis 2040 – das hat sich die bayerische Landesregierung auf die Fahnen und in ihr Klimaschutzgesetz geschrieben. Entsprechend sollen bis 2030 die bayerischen CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um 65 Prozent gesunken sein. Ein Blick auf den aktuellen Klimabericht zeigt jedoch: In den vergangenen Jahren ist viel zu wenig passiert. Bayern muss seine Emissionen nun innerhalb von nur neun Jahren gegenüber 2021 halbieren. Wie es aussieht, wird das Bundesland dieses Ziel krachend verfehlen. 

Denn würden Bayerns Emissionen weiterhin mit dem Tempo der Jahre 2003 bis 2021 sinken, wäre der Freistaat erst in unglaublichen 280 Jahren klimaneutral. Das ist nicht nur für Mensch und Natur ein großes Problem. Es zeigt auch, dass die Modernisierung des Energie- und Mobilitätssektors bisher kaum vorangetrieben wurde. Das gefährdet mittelfristig auch den Wirtschaftsstandort Bayern. 

Darüber, wie das Land diese Herausforderung angehen könnte, hat Greenpeace mit Michael Sterner, Professor für Energiespeicher, Wasserstoff und Energie­system­technik an der OTH Regensburg, gesprochen. Er hat für Greenpeace zehn Klimaschutz-Sofortmaßnahmen erarbeitet, mit denen Bayern in der nächsten Wahlperiode 20 Prozent CO2 einsparen kann. Und das soll erst der Anfang sein.

Klimaschutzsofortprogramm Bayern

Klimaschutzsofortprogramm Bayern

Hier finden Sie zehn Klimaschutz-Sofortmaßnahmen, mit denen Bayern CO2 einsparen kann, um die eigenen Klimaziele zu erreichen.

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Greenpeace: Was waren aus Ihrer Sicht die größten politischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre in Bayern beim Klimaschutz?

Michael Sterner: Allen voran natürlich, keine Windkraft auszubauen. Ebenso schädlich war es, die Netze und Speicher kaum auszubauen, weil ohne diese Elemente keine sichere Versorgung auf Basis von Wind und Solar in Zeiten von Atom- und Kohleausstieg gewährleistet werden kann. Den mangelnden politischen Willen zur Energiewende haben vor allem die Menschen und Kommunen vor Ort gespürt: Es gab kaum politische Unterstützung von „oben“ – weder von der Landes- oder Bezirksregierung noch den Landratsämtern. Die Klimaziele wurden zwar ambitioniert gesteckt, aber nicht ambitioniert in die Umsetzung überführt. Insgesamt wurden keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um Schritt für Schritt und jährlich überprüfbar die Klimaneutralität Bayerns zu erreichen. Hinzu kam eine absolut irreführende und damit unverantwortliche Kommunikation der Landesregierung: Bayern ist mitnichten Spitzenreiter beim Klimaschutz, sondern das Gegenteil, wie die Fakten beweisen.   

Greenpeace: Kann Bayern überhaupt noch auf Klimakurs kommen? Wenn ja, wie?

Michael Sterner: Ja, Bayern kann das Ziel der Klimaneutralität 2040 erreichen und zwar durch das Aufstellen konkreter Maßnahmen und Pläne, die zu diesem Ziel führen. Zusätzlich brauchen wir jährliche Überprüfungen und Nachsteuerungen, falls die Zwischenziele nicht erreicht wurden. Der erste Schritt ist die Umsetzung unserer zehn vorgeschlagenen Maßnahmen samt großem Einsatz für mehr Klimaschutz und eine schnellere Energiewende auf Bundesebene. Es braucht auch ein Umdenken: Klimaschutz und Energiewende müssen die gleiche Priorität haben wie die Corona-Maßnahmen: Ein neues Impfstoffwerk wurde innerhalb eines Tages genehmigt, bei Wind- und Solarparks dauert es Jahre. 

Greenpeace: Was sind die wichtigsten Maßnahmen aus dem Sofortprogramm?

Michael Sterner: 90 Prozent der Klimaemissionen kommen aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Klimaschutz bedeutet also zuallererst Energiewende. Am Wichtigsten ist es, auf Landes- und Bundesebene alle Bereiche dieser Energiewende – also die Stromwende, die Wärmewende, die Verkehrswende und die Industriewende – umfänglich und nachhaltig voranzutreiben und umzusetzen. Gerade im Verkehrsbereich gehört Bayern zu den größten Klimasündern. Aber auch die Emissionen der Landwirtschaft sind sehr hoch, deswegen ist auch eine Agrar- und Forstwende dringend nötig, wozu auch die Wiedervernässung der Moore und ein klimarobuster Waldumbau samt Naturverjüngung zählt. Der allererste Schritt sollte aber das Erfassen des aktuellen Status Quo im Klimaschutz sein und eine ehrliche und klare Kommunikation darüber.

Greenpeace: Was haben die Bürger:innen und Unternehmen davon?

Michael Sterner: Viele Unternehmen siedeln sich aufgrund des mangelnden günstigen Wind- und Solarstroms, den sie für eine klimaneutrale Produktion benötigen, nicht mehr in Bayern an. Andere wie die Textilfabrik oder die Papierfabrik in Deggendorf schließen deswegen. Wir brauchen diese Energiewende schlicht, um eine Deindustrialisierung Bayerns zu verhindern. Für die Bürger:innen bringt Klimaschutz wiederum ein lebenswertes, klimaneutrales und schönes Bayern – für sie selbst und ihre Nachfahren und letztlich den Erhalt der Heimat und wertvoller Arbeitsplätze samt Industriestandorten.

Greenpeace: 20 Prozent weniger CO2 – reicht das?

Michael Sterner: Nein, das ist erst der Anfang. Der Beschluss der Staatsregierung ist richtig: Wir brauchen die Klimaneutralität spätestens bis 2040. Sie muss nur entsprechende Maßnahmen dafür ergreifen, weit über das bisherige hinaus. Wenn wir in einer Kurzstudie zeigen, dass solche Maßnahmen in ein bis zwei Wochen aufzuschreiben und zu quantifizieren sind, müsste es ein Leichtes sein, so etwas bis 2040 durchbuchstabieren zu können. Auf geht es! Wir brauchen nur den politischen Willen. Die Menschen sind größtenteils dabei – wenn sie wissen, wohin es geht, der Weg entsprechend attraktiv gemacht und vor allem positiv kommuniziert wird.

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