„Das Risiko von Havarien nimmt nicht ab“
- Ein Artikel von Michael Weiland
- Im Gespräch
Seit Tagen steht die Fremantle Highway in der Nordsee in Flammen, noch immer ist der Brand nicht vollständig gelöscht. Manfred Santen ist Chemieexperte bei Greenpeace Deutschland und gibt eine Einschätzung der Situation vor Ort.
Greenpeace: Du bist mit einem Team gerade in der Nordsee, was kann Greenpeace dort tun?
Manfred Santen: Wir sind mit einem gecharterten Schiff von der Insel Terschelling gestartet und haben uns dem brennenden Autofrachter Fremantle Highway bis zur Zwei-Seemeilen-Sicherheitszone genähert. Wir haben Luftmessungen in der Rauchfahne und zum Vergleich aus der entgegengesetzten Richtung vorgenommen, und auch Wasserproben entnommen. Sicherlich sind Schadstoffe bereits ins Wasser gelangt, in welchem Ausmaß wissen wir nicht. Ob die sich in den Proben nachweisen lassen, ist aufgrund des großen Sicherheitsabstandes zum brennenden Frachter ungewiss.
Was konntet ihr feststellen?
Aus dem Schiff quillt immer noch eine beeindruckend riesige Rauchfahne mit dem typischen Geruch von verbranntem Plastik. Die mehr als 3800 Autos, die dort größtenteils in Brand geraten sind, enthalten Unmengen von Kunststoffen, zum Beispiel PVC oder Textilien, die mit Flammschutzmitteln oder fluorierten Kohlenwasserstoffen ausgerüstet sind. Polyfluorierte Kunststoffe stecken zum Beispiel in Polstern, um sie wasserabweisend zu machen. PFAS sind sogenannte Ewigkeitschemikalien und potenziell gesundheitsschädigend, einmal in die Umwelt gelangt, sind sie dort nicht mehr rauszukriegen.
Die Umwelt leidet also auch, wenn der Frachter nicht kentert oder auseinanderbricht?
Wenn Kunststoffe, Autoreifen, Benzin, Betriebsflüssigkeiten, also zum Beispiel Hydrauliköle oder Bremsflüssigkeit, und der Diesel und Schweröl aus den gut gefüllten Tanks des Schiffs in Brand geraten, kann eine Vielzahl von Schadstoffen entstehen. Die können Menschen sowie die Tier- und Pflanzenwelt gefährden. Nur ein Beispiel: Bei der Menge an PVC, die dort verbrennt, werden mit großer Wahrscheinlichkeit toxische polychlorierte Dioxine entstanden sein.
Ist die Katastrophe also bereits da?
Es ist schon schlimm genug, dass eine Person bei dem Versuch, den Flammen zu entkommen, sterben musste und 16 weitere Personen verletzt wurden. Aber wir sind etwas optimistischer, dass eine gewaltige ökologische Katastrophe ausbleibt. Dazu muss es allerdings unbedingt gelingen, das Sinken der Fremantle Highway zu verhindern. Denn wenn nicht, wird das Ausmaß der Verschmutzung und Gefährdung des einzigartigen Ökosystem Wattenmeer enorm sein.
Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Fremantle Highway doch noch sinkt?
Bisher gelingt es den Bergungskräften, das Schiff einigermaßen stabil zu halten. Die Rauchwolken treiben derzeit gen Norden auf die offene Nordsee. Doch der Wind kann sich drehen und das Risiko, dass der Frachter sinkt, ist immer noch gegeben. Derzeit kann das Schiff nicht abgeschleppt werden, weil die giftige Rauchfahne über dem Schleppschiff hinge, diesem Risiko darf man keine Besatzung aussetzen.
Welche Lehren sind aus solchen Unfällen zu ziehen?
Das Risiko solcher Havarien nimmt ja nicht ab. Wir erinnern uns noch gut an die Havarie der MSC Zoe vor einigen Jahren, bei der Hunderte von Containern über Bord gingen. Schon damals haben wir gesagt, die vielbefahrenen Schifffahrtswege befinden sich viel zu nah an der Nordseeküste und dem Wattenmeer. Der Individualverkehr nimmt zu, und immer mehr Fahrzeuge werden exportiert, egal ob E-Autos oder Verbrenner – damit steigt auch das Risiko solcher Havarien.
Welche Gefahren drohen auf diesen Schifffahrtswegen noch?
Nur 50 Meilen östlich der Fremantle Highway werden nördlich von Borkum in unmittelbarer Nähe des Schifffahrtsweges Gas-Testbohrungen durchgeführt. Wir haben in den vergangenen Monaten mit der durchführenden Firma ONE-Dyas auch über die Wahrscheinlichkeit von Havarien und dem Risiko von Kollisionen gestritten. Wenn die Fremantle Highway einige Stunden früher in Brand und außer Kontrolle geraten wäre, hätte eine Kollision mit der Gasplattform nicht ausgeschlossen werden können.