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Schweine im Thünen-Institut in Westerau
© Jonas Wresch / Greenpeace

Tierhaltung und Kennzeichnungspflicht müssen auf Özdemirs Agenda nach oben

In der ersten Sitzungswoche des Bundestags in diesem Jahr musste Cem Özdemir (Die Grünen) neben den anderen Bundesminister:innen die Schwerpunkte der Arbeit seines Ressorts in den kommenden Monaten vorstellen. Greenpeace hat das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Kantar beauftragt, die Bundesbürger:innen zu befragen, was sie vom Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung erwarten.

Um bessere Haltungsbedingungen mit weniger Tieren in den Ställen sollte sich der neue Landwirtschaftsminister Özdemir danach vorrangig kümmern. Das fordern 88 Prozent der Befragten. Eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung der Haltungsbedingungen bei allen Fleisch- und Milchprodukten in Handel und Gastronomie ist 78 Prozent besonders wichtig.

„Dieses klare Ergebnis ist eine dringende Aufforderung an Cem Özdemir, jetzt anzupacken, was viel zu lange liegen geblieben ist“, sagt Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. „Das Tierschutzgesetz muss endlich konsequent durchgesetzt werden, damit das massenhafte Tierleid in der industriellen Landwirtschaft ein Ende hat. Und Verbraucherinnen und Verbraucher wollen verlässlich wissen, wie die Tiere gehalten werden.“

Anfang Juni hat Özdemir ein Eckpunktepapier zur Einführung einer verpflichtenden staatlichen Tierhaltungskennzeichnung für Fleisch vorgelegt. Im Laufe des Sommers sollen hierzu konkrete Rechtsvorschläge erarbeitet werden. Die Kennzeichnung soll vorerst nur für Schweinefrischfleisch gelten. Professor Achim Spiller von der Universität Göttingen hat deshalb Vorschläge erarbeitet, die dafür sorgen sollen, dass die geplante Kennzeichnung ein Erfolg wird und einen Beitrag zum Umbau der Tierhaltung liefert. Diese Vorschläge wurden auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit Greenpeace vorgestellt.

„Ein verpflichtendes Label ist wichtig, kann aber allein nicht den notwendigen Transformationsprozess der Nutztierhaltung anschieben. Diese große gesellschaftliche Herausforderung lässt sich nur durch einen konsistenten Politik-Mix angehen – inklusive Genehmigungsfragen und Finanzierungslösungen“, sagt Professor Spiller.

„Die Umsetzung der ‚Borchert-Lösung‘ droht zu scheitern, weil die FDP als Teil der Ampel-Koalition die Finanzierung über eine Fleischabgabe oder eine Änderung der Mehrwertsteuer ablehnt“, sagt Martin Hofstetter. Darum müssen andere Finanzierungsquellen herangezogen werden. Im Sieben-Punkte-Plan von Spiller geht es deshalb darum, wie die Haltungskennzeichnung effektiver umgesetzt werden könnte, um den finanziellen Beitrag der Konsument:innen zu erhöhen.

Ankündigungen des Handels zu Billigfleisch und Milch

Greenpeace-Aktive haben in den vergangenen Jahren mit Aktionen vor Filialen der Supermarktketten wie Lidl und Edeka durchgesetzt, dass die großen Lebensmitteleinzelhändler die Art der Haltung beim Fleisch freiwillig kennzeichnen und sie aufgefordert, Fleisch der schlechtesten Haltungsformen 1 und 2 aus dem Sortiment zu nehmen. Der anhaltende Druck zeigt auch hier Wirkung: Angeführt vom Discounter Aldi haben die großen Handelsketten eingelenkt und erklärt, dass sie bis zum Ende des Jahrzehnts auf Billigfleisch aus den niedrigsten Haltungsformen verzichten und nur noch Fleisch der Haltungsformen 3 und 4 verkaufen werden. Inzwischen haben alle großen Supermarktketten nachgelegt und angekündigt, auch Milch entsprechend der Haltungsform zu kennzeichnen. Aldi hat diese Woche angekündigt, in Zukunft nur noch Trinkmilch von Kühen anzubieten, die hierzulande nach den Bedingungen der besseren Haltungsformen 3 und 4 gehalten werden, Edeka will kurzfristig Milch der schlechtesten Haltungsstufe 1 aus den Regalen verbannen.

“Wir begrüßen diese Initiativen, sie reichen aber bei weitem nicht aus. Es ist die Aufgabe von Minister Özdemir, die Bedingungen für den überfälligen Umbau der Landwirtschaft zu schaffen“, sagt Hofstetter. „Bäuerinnen und Bauern brauchen klare Perspektiven, verlässliche Vorgaben und eine gezielte Förderung. Den notwendigen Wandel kann und wird der Markt allein nicht stemmen.“

Landwirt:innen beim Umbau der Tierhaltung unterstützen

Der Forderung von Greenpeace nach einer verpflichtenden staatlichen Kennzeichnung der Haltungsbedingungen bei allen Fleisch- und Milchprodukten in Handel und Gastronomie ist Özdemirs Amtsvorgängerin Julia Klöckner (CDU) nicht nachgekommen. Sie beschränkte sich darauf, eine weitere freiwillige Kennzeichnung anzukündigen, die sie aber immer wieder aufgeschoben und nie umgesetzt hat. Um die Versprechen für eine bessere Tierhaltung einlösen zu können, setzt auch der Handel auf eine verlässliche und verpflichtende Haltungskennzeichnung sowie eine staatliche Unterstützung für Landwirt:innen, die investieren wollen, um die Haltungsbedingungen in ihren Ställen zu verbessern.

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien fehlt eine klare Vereinbarung, wie die Förderung der Landwirt:innen für eine bessere Tierhaltung finanziert werden kann. Dabei liegen die Vorschläge längst auf dem Tisch - Greenpeace hat dazu bereits Anfang 2020 eine Studie vorgelegt. Mit einer Tierwohlabgabe, die auf Fleisch- und Milchprodukte erhoben wird, ständen die Mittel für die gezielte Förderung von Stallum- und neubauten zur Verfügung. Greenpeace macht sich zudem dafür stark, die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte nicht länger auf 7 Prozent zu reduzieren, sondern den regulären Satz von 19 Prozent zu erheben.

Zustimmung für höhere Abgaben auf Wurst und Fleisch

Die Subvention durch die niedrigere Mehrwertsteuer fördert nicht nur gesundheitsschädlichen Überkonsum von Fleisch, sondern richtet auch Umwelt- und Klimaschäden an, für die die Verursacher:innen nicht aufkommen. Das Umweltbundesamt hat ausgerechnet, dass damit Steuereinnahmen in Höhe von mehr als fünf Milliarden Euro im Jahr verloren gehen, die besser in mehr Klimaschutz investiert wären.

Eine Steuer oder Abgabe würde Anreize setzen, weniger Fleisch und Milchprodukte zu konsumieren. Die Emissionen aus der Tierhaltung machen rund drei Viertel der gesamten Klimagase aus der Landwirtschaft aus. Damit Deutschland die im Klimaschutzgesetz vorgegebene Klimaneutralität bis 2045 schafft, muss die Landwirtschaft den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich reduzieren. Dazu müssen der Fleischkonsum und die Zahl der Tiere in den kommenden Jahren in etwa halbiert werden

Die Bundesbürger:innen wären bereit, ihren Beitrag zu diesem Wandel zu leisten: 85 Prozent der von Kantar Befragten unterstützen staatliche Hilfen für Landwirt:innen, um die Tierhaltung zu verbessern. Sie wären auch einverstanden, dafür zusätzliche Steuern oder Abgaben auf Fleisch und Wurst zu zahlen.

Damit gesunde und nachhaltig erzeugte Lebensmittel für alle bezahlbar sind, hat Greenpeace gemeinsam mit dem Sozialverband VdK und dem Verbraucherzentralen Bundesverband die neue Bundesregierung aufgefordert, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zu senken oder ganz zu streichen.