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Februar 2002: Greenpeace-Kletterer protestieren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) mit einem 12 mal 6 Meter grossen Banner gegen das sog. Brustkrebsgenpatent.
Christian Lehsten/argum/Greenpeace

Streit um Patente auf Brustkrebs-Gene

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2001 erteilte das Europäische Patentamt in München der US-Firma Myriad aus Salt Lake City/Utah mehrere umfassende Patente auf das so genannte Brustkrebs-Gen. Seitdem dominiert die Firma die Anwendung von Gentests auf dem Gebiet, verteuert notwendige Laboruntersuchungen, behindert die Forschung und schadet so Patientinnen und der Gesundheitsvorsorge. Ärzte, Patienten und Wissenschaftler kritisieren daher scharf die Patentvergabe. Greenpeace und andere haben Einspruch eingelegt und fordern nun den Widerruf der Patente vom Europäischen Patentamt (EPA).

Weitere Parteien, die gegen die Brustkrebsgenpatente Einspruch eingelegt haben, sind die Regierung der Niederlande, das Institut Curie, Vereinigungen von Humangenetikern aus 15 europäischen Ländern (darunter auch die deutsche Gesellschaft für Humangenetik) und die Sozialdemokratische Partei der Schweiz. Auch das Europäische Parlament hat sich gegen die Patente ausgesprochen. Sogar Vertreter von Patientengruppen beziehen gegen das Patent Stellung.

Menschen mit diesen Gene droht eine weitreichende Abhängigkeit von den kommerziellen Absichten der Firma Myriad, die als einzige über die Entwicklung von Diagnose und Therapie frei entscheiden kann. Die Organisation Europa Donna, die Patientinnen mit Brustkrebserkrankungen vertritt, fordert aus diesem Grund ein komplettes Verbot der Patentierung menschlicher Gene: We call upon the European Parliament .... to establish a ban on patents on the human genome.

Die Patente von Myriad stehen für viele andere: Das erste Patent auf ein menschliches Gen wurde schon 1990 erteilt. Inzwischen hat das EPA weit über 1000 Patente auf Gene von Mensch und Tier erteilt.

Ein Patent auf Gene, Diagnose und Medikamente

Myriad beansprucht in den Patenten verschiedene Genabschnitte unterschiedlicher Länge: in EP 0705 903 z.B. verschiedene Genmutationen, die typisch sind für erbliche Brustkrebs-Erkrankungen. In EP 0705 902 hingegen ist auch das Gen in seiner nicht veränderten, gesunden Form enthalten, also so wie es in der Mehrzahl aller Menschen vorkommt. Auch das Patent EP 0785 216 umfasst das Gen und verschiedene Mutationen.

Die Patente schließen außerdem Diagnose-Verfahren sowie die Rechte zur Verwendung des Gens zur Therapie und Herstellung von Arzneimitteln ein. Sogar alle mit den Genen manipulierten Lebewesen (mit Ausnahme des Menschen) sind in Patent EP 0705 902 enthalten.

Den umfassenden Ansprüchen liegt allerdings nur eine geringe technische Leistung von Myriad zugrunde: Bereits vor der Entdeckung durch die Firma war bekannt, auf welchem Chromosom und in welchem Abschnitt des Chromosoms die Mutationen zu suchen sind. Myriad hat lediglich das Gen aus dem Erbgut von Patienten isoliert, bei denen eine familiäre Häufung von Brustkrebs-Erkrankungen bekannt war. Nur aus dieser Leistung leitet das Unternehmen seine Patentansprüche an dem gesamten Gen, sämtlicher seiner Anwendungen und den daraus abzuleitenden Medikamenten ab.

Chronologie:

  • 10. Januar 2001: Das Europäische Patentamt erteilt der Firma Myriad ein Patent auf das Verfahren zur Testung von erblichem Brustkrebs (EP 699754).
  • 23. Mai 2001: Das Europäische Patentamt erteilt das Patent EP 0705 903 auf das sogenannte Gen für Brustkrebs BRCA1 an die US-amerikanische Firma Myriad.
  • 28. November 2001: Myriad erhält ein weiteres Patent auf das Brustkrebs-Gen BRCA1 (EP 0705 902).
  • 22. Februar 2002: Greenpeace legt Einspruch gegen das Patent EP 0705 903 ein.
  • 23. August 2002: Greenpeace legt auch gegen das Patent EP 0705 902 Einspruch ein.
  • 8. Januar 2003 : Myriad erhält das Patent EP 0785 216 auf das Brustkrebs-Gen BRCA 2.
  • 17.-18. Mai 2004: Das Patent EP 0699 754 wird wegen mangelnder erfinderischer Leistung widerrufen.
  • 19.- 21. und 24.-26 Januar 2005: Das Europäische Patentamt verhandelt die Einsprüche über die Patente auf das Gen für BRCA1 (EP 0705902 und EP 0705903).

Kontrolle über alle Gen-Funktionen

Nach Ergebnissen der klinischen Forschung spielt das BRCA-Gen auch eine wichtige Rolle bei nicht vererbten, sondern im Laufe des Lebens erworbenen Formen des Brustkrebs. Dadurch, dass Myriad auch die nicht mutierte Form des BRCA-Gens beansprucht, behält der Konzern auch bei der Behandlung dieses Brustkrebs eine wichtige Rolle.

Wissenschaftler gehen außerdem davon aus, dass das Gen BRCA 1 auch an der Entstehung von Dickdarm- und Prostatakrebs beteiligt ist. Auch scheint das Gen in ganz anderen grundlegenden Stoffwechselfunktionen menschlicher Zellen beteiligt zu sein.

Nach der Logik des europäischen Patentrechts decken Gen-Patente auch Anwendungen ab, die zum Zeitpunkt der Patentanmeldung noch gar nicht bekannt sind. Für den Patentantrag ist es nur notwendig, eine einzelne kommerzielle Anwendung zu beschreiben. Der Konzern, der ein Patent auf ein Gen erhält, kontrolliert damit grundsätzlich alle weiteren möglichen Anwendungen des Gens.

Patente schaden Patienten und dem Gesundheitssystem

Myriad geriet insbesondere in die Kritik, weil die Firma ihre Monopolrechte konsequent durchsetzt und vom Ausschlussrecht tatsächlich Gebrauch macht. Die Firma beansprucht, aufgrund ihrer Patente weltweit die Einzige zu sein, die entsprechende Tests durchführen kann. Sie verbietet allen andern Labors, solche oder ähnliche Brustkrebsgentests anzubieten.

Nachdem Myriad Genetics in den neunziger Jahren die ersten Patente auf die BRCA 1- und BRCA 2-Gene erhielt,hat sie erfolgreich fast alle US-Labors daran gehindert, andere Tests anzubieten. Lediglich ein Dutzend US-Labors erhielten eine entsprechende Lizenz, die anderen mussten ihre Tests einstellen.

Als unmittelbare Folge davon wurden die Tests für Brustkrebsgene wesentlich teurer. In den USA kostet ein Test nun 2,700 US-Dollar. Auch in anderen Ländern sind die Lizenzforderungen von Myriad doppelt oder dreifach so hoch wie die Kosten, die von unabhängigen Labors verlangt werden. Die Tests sind so teuer geworden, dass beispielsweise das Hereditary Cancer Program in British Columbia Tests im eigenen Haus 2001 nach einem entsprechenden Brief von Myriad Genetics eingestellt hat.

Das Institut Curie weist darauf hin, dass der BRCA-Test von Myriad neu entdeckte Mutationen nicht mit abdeckt und deswegen sogar eine Gefahr für die Patienten bedeuten kann. Schätzungen gehen davon aus, dass 36 Prozent aller mit BRCA zusammenhängenden Erkrankungen mit einer Mutation zusammenhängen, die nicht vom Myriad-Test erfasst wird. Es wird befürchtet, dass ein verbesserter Test wegen den Patenten von Myriad nicht eingesetzt werden könne.

Auch die UNESCO warnt vor den Folgen dieser Patente: Industry is naturally interested in human genetic data as well. The legal battle between several European institutions, including France's Institute Curie, and the US firm Myriad Genetics shows this. It concerns screening for breast cancer and ovarian cancers both of which are linked to the presence of the BRCA1 gene. The Europeans are challenging Myriad's patents that give it an unofficial monopoly. The Europeans also say that because the firm refuses to grant manu-facturing licences, all DNA samples will have to be sent to the Myriad Genetics headquarters in Salt Lake City for processing, providing the company with a unique databank about people at high risk.

Auch in Europa wird der Gentest bald teuer

Tatsächlich will Myriad nicht nur Lizenzgebühren für die Nutzung der Gentests, sondern will ähnlich wie in den USA die Durchführung jeglicher Testverfahren in Europa stoppen und selbst alle Blut- und Gewebeproben in den USA untersuchen.

Konkrete finanzielle Forderungen von Myriad wurden in den letzten Jahren mehrfach bekannt: Demnach wird sich in Großbritannien die Untersuchung auf Brustkrebs von 750 Pfund je Patient auf das Doppelte verteuern. In der Schweiz soll der Preis eines Brustkrebs-Tests von derzeit etwa 950 auf rund 4.000 Euro steigen. Nach Angaben von Forschern der Universität Bonn ist der Myriad-Test sogar viermal teurer als der eines laufenden deutschen Forschungsprojekts, in dem Frauen auf das Gen untersucht werden.

Das Monopol zur Nutzung des Patentes wurde in Europa an das Labor Bioscientia in Ingelheim vergeben. Dieses Labor versucht jetzt, anderen Labors die Durchführung von Brustkrebstests zu untersagen. Mit der Vergabe der Nutzungsrechte an ein zentrales Labor sind höhere Preise verbunden (nach Auskunft von klinischen Einrichtungen werden 2005 die Tests in Deutschland ab etwa 1.200 Euro angeboten, die Firma Bioscientia verlangt etwa 2.500 Euro). Hinzu kommt die Gefahr einer schlechteren Beratung und Betreuung von Patienten, die von einem zentralen Großlabor nicht ähnlich umfangreich geleistet werden kann wie zum Beispiel von den Kliniken der Universitäten.

Forschung massiv blockiert

Nach Untersuchungen aus den USA stellte ein Viertel der Diagnoselabors Tests ein, weil die benötigten Gene durch Patente blockiert sind. Über die Hälfte der Labors stoppten die Entwicklung besserer Testverfahren, weil sie sich durch derartige Patente behindert sehen. Mit ähnlichen Problemen ist immer zu rechnen, wenn Firmen die Rechte an menschlichen Genen besitzen.

Daher wenden sich viele Wissenschaftler, Ärzte aber auch Patientenorganisationen gegen Patente auf Gene. Der Deutsche Bundestag hat ebenso wie der Gesetzgeber in Frankreich inzwischen die Reichweite von Patenten auf Gene eingeschränkt. Allerdings sind diese Regelungen für das Europäische Patentamt nicht bindend.

Greenpeace fordert

  • Gene, Pflanzen, Tiere, Menschen und Teile des menschlichen Körpers dürfen nicht patentiert werden.
  • Die Regierungen der EU Länder müssen zusammen mit der Kommission der Europäische Union eine neue Patentgesetzgebung auf den Weg bringen, die Patente auf Lebewesen und deren Gene verbietet.
  • Ethische Grenzen müssen im Patentrecht grundsätzlich stärker berücksichtigt werden.
  • Das Europäische Patentamt soll ein Moratorium für die Erteilung von Patenten auf Gene und Lebewesen erlassen.

 

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