
Essen ohne Gentechnik fängt beim Saatgut an
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In den kommenden Wochen legt sich die EU-Kommission auf den Grenzwert für die gentechnische Verunreinigung von Saatgut bei Raps und Mais in Europa fest. Alles sieht danach aus, als wenn sich die alte Kommission auf einen Grenzwert von 0,3 Prozent einigt. Saatgut müsste demnach erst als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden, wenn mehr als 0,3 Prozent der Samenkörner genmanipuliert sind. Zu wenig, meint Greenpeace. Lesen Sie dazu ein Interview mit Alexander Hissting, Gentechnik-Experte bei Greenpeace.
Greenpeace Online: Wer legt den Grenzwert für das Mais- und Rapssaatgut fest und wie verläuft der Entscheidungsprozess innerhalb der EU?
Hissting: Die EU-Kommission, ein Zusammenschluss von derzeit 25 EU-Kommissaren, arbeitet zu diesem Thema. Sie legen den erlaubten Grenzwert für die gentechnische Verunreinigung von Saatgut fest. Der Beschluss wird anschließend dem Regelungsausschuss vorgelegt. In ihm sitzen Vertreter der verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten.
Stimmt in diesem Ausschuss keine qualifizierte Mehrheit für den Beschluss, wird er an den Ministerrat weitergereicht, in dem die Agrar- oder Umweltminister der einzelnen Länder sitzen. Findet sich unter den Ministern eine qualifizierte Mehrheit gegen den Beschluss, wird er abgelehnt. Andernfalls kann die EU-Kommission ihren Beschluss in geltendes Recht umsetzen.
Greenpeace Online: Was kritisiert Greenpeace an der Festlegung dieser Grenzwerte?
Hissting: Es geht hier um eine schwergewichtige Entscheidung, die mit entsprechender Sorgfalt getroffen werden muss. Stattdessen wird die Sache wie auf einem Basar entschieden: der eine Kommissar fordert 0,5 Prozent, der andere will 0,1 Prozent - dann trifft man sich in der Mitte bei 0,3 Prozent.
Es geht hier um die Kontaminierung durch gentechnisch verändertes Saatgut in ganz Europa. Das Saatgut steht am Anfang der Lebensmittelproduktion. Dabei gibt es keine halben Sachen. Das sollte allen EU-Kommissaren klar sein.
Greenpeace Online: Die erwähnten Prozentzahlen sind so gering, spielt es überhaupt eine Rolle, ob der Grenzwert bei 0,1 oder 0,3 Prozent liegt?
Hissting: Das ist durchaus ein gravierender Unterschied. Auf einem Rapsfeld mit der Größe von einem Hektar entsprechen 0,3 Prozent rund 2.000 Pflanzen. Eine einzige Rapspflanze erzeugt rund 1.000 neue Samen. Das Resultat sind rund 2 Millionen Gen-Samen, dreimal so viele wie bei einem Grenzwert von 0,1 Prozent. Die Ausbreitung gentechnisch manipulierter Pflanzen durch Nektar sammelnde Bienen, Pollenflug oder auch landwirtschaftliche Geräte wird zunehmen. Der Prozess der Kontaminierung wird sehr schnell verlaufen. Landwirten und Verbraucheren wird die Wahlfreiheit genommen.
Greenpeace Online: Warum fordert Greenpeace einen Grenzwert von 0,1 und nicht 0,0 Prozent?
Hissting: 0,1 Prozent ist der geringste Wert, der technisch bedingt überprüft werden kann. Der Aufwand für die Saatgutindustrie, um diesen Grenzwert einzuhalten, kann durchaus etwas größer sein als bei 0,3 Prozent. Es ist aber wesentlich kostengünstiger die Reinheit eines Sacks voll Saatgut zu kontrollieren, als später das gesamte Feld. Harte Kontrollen bei der Saatgut-Produktion am Anfang der Lebensmittelherstellung erübrigen Gentechnik-Skandale bei den Folgeprodukten.
Greenpeace Online: Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung lehnt gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Was hat die morgige Entscheidung für einen Einfluss auf die europäischen Lebensmittel?
Hissting: Die Lebensmittelhersteller müssen ihre Produkte kennzeichnen, sobald der gentechnisch veränderte Anteil über 0,9 Prozent liegt. Sie wissen, dass die Bevölkerung Gentechnik auf dem Teller ablehnt. Deshalb vermeiden es die Hersteller Zutaten einzukaufen, die erhöhte Werte bezüglich der genmanipulierten Anteile haben. Lebensmittelunternehmen fordern von ihren Zulieferern meist weit weniger als 0,9 Prozent Verunreinigung, um gegebenenfalls einen Spielraum zu haben. Das werden die Zulieferer bald nicht mehr garantieren können.
Greenpeace Online: Einige Saatguthersteller behaupten, dass sie kein Saatgut liefern können, das weniger als 0,1 Prozent genmanipulierte Anteile enthält. Stimmt das?
Hissting: Die Behauptung ist falsch. Österreich hat seit 2001 eine 0,1-Prozent-Regelung. Es gibt dort überhaupt keine Probleme aufgrund von Saatgutengpässen. Sogar bei dem Saatgut aus den USA, wo durch die Gentechnik bereits viele Anbauflächen kontaminiert wurden, kann die 0,1 Prozent-Forderung eingehalten werden. Die Saatguthersteller versuchen mit solchen falschen Äußerungen die derzeitige Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Greenpeace Online: Was will Greenpeace?
Hissting: Greenpeace fordert, dass der Prozentsatz von 0,1 Prozent für das Gesetz verwendet wird. Nur so kann die schleichende Kontaminierung durch gentechnisch verändertes Saatgut in Europa so gering wie möglich gehalten werden. Die EU-Kommission soll auf die Bürger der EU hören und nicht hinter deren Rücken die Grundlage der Lebensmittel durch Gentechnik verunreinigen. (kab)