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Klima(un)gerechtigkeit

Personen demonstrieren in einer Pusteblume

Der Begriff Climate Justice (=dt. Klimagerechtigkeit) ist in aller Munde. Kaum ein Klimastreik kommt ohne ihn aus. Doch was meint “Klimagerechtigkeit” eigentlich genau? Was hat Rassismus mit der Klimabewegung zu tun? Und warum ist der europäische Kolonialismus für diese Fragen so relevant?

Triggerwarnung: für von Rassismus betroffene Menschen: In diesem Flyer werden der europäische Kolonialismus, Rassismus und die Folgen der Klimakrise thematisiert. Die Beschreibung dieser Inhalte kann schmerzhafte Erinnerungen und damit zusammenhängende Gefühle auslösen. Bei intensiven Gefühlen kann es helfen, sich Pausen zu erlauben.

Klima(un)gerechtigkeit - Sitzen wir alle im selben Boot?

Seit Jahrzehnten machen weltweit Aktivist:innen, Bewegungen und Bündnisse darauf aufmerksam, dass die Klimakrise ungerecht ist. Zahlreiche Studien belegen den ungleichen CO²-Ausstoß zwischen Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens: Während erstere 92% der globalen CO²-Ausstöße zwischen 1850 und 2015 verursacht haben, haben letztere lediglich 8% der CO²-Emissionen ausgestoßen. Noch deutlicher wird dieses Ungleichheitsverhältnis, wenn der historische CO²-Ausstoß der 54 afrikanischen Länder zusammen betrachtet wird: Von 1751 bis 2017 haben diese lediglich 3% der weltweiten CO²-Emmissionen ausgestoßen. Statt der Hauptverursacher:innen, tragen jedoch die Länder des Globalen Südens die Hauptlast. Sie sind bereits seit Jahrzehnten im viel stärker von Wetterextremen wie Hitzewellen, Überflutungen und Stürmen betroffen. Der Begriff MAPA beschreibt diese unterschiedlichen Betroffenheiten: Die 10 am meisten von Extremwetter-Ereignissen betroffenen Länder von 1998-2017 liegen im Globalen Süden, wo in direkter Folge in diesem Zeitraum mehr als eine halbe Mio. Menschen starben. Weitere Folgen sind Ernteausfälle, Trinkwasserknappheit, Ernährungsunsicherheit, Ausbreitung von Krankheiten oder Vertreibungen.

Viele betroffene Personen organisieren sich und formulieren seit Jahrzehnten Forderungen, die von internationalen und nationalen Entscheidungsträger:innen ignoriert werden. 2002 standen die Betroffenenperspektiven im Mittelpunkt, als sich ein Bündnis von Organisationen und Bewegungen zur Vorbereitung auf das Bali Earth Summit traf. Das Bündnis stellte fest, dass der Grad der Betroffenheit von Menschen und Regionen in Bezug auf die Klimakrise von ihrer gesellschaftlichen Position und geografischen Lage abhängig ist.  Dies hängt wiederum untrennbar mit den bestehenden globalen Ungleichheitsstrukturen zusammen. Das Bündnis formulierte die Bali Principles of Climate Justice6. In den Grundsätzen hielten sie unter anderem fest, dass alle Länder ihren gerechten Beitrag gegen die Klimakrise leisten müssen, der Globale Norden als Hauptverursacher und Profiteur der Klimakrise jedoch vor allem in der Verantwortung stehe und in der finanziellen und logistischen Lage sei, für die Schäden der Klimakrise aufzukommen. Betroffene Menschen und deren Perspektiven müssen im Vordergrund stehen. Ein gleichberechtigter Zugang zu internationalen Verhandlungen und die gleichwertige Teilhabe an politischen Entscheidungen und Entwicklung von Klimalösungen muss gewährleistet werden.

Was unterscheidet Klimagerechtigkeit von Klimaschutz?

Das Bündnis von 2002 setzte sich auf internationaler Ebene dafür ein, dass die Klimakrise als soziales und menschenrechtliches Problem verstanden wird. Klimagerechtigkeit nimmt die betroffenen Menschen ernst und versteht die Ursache für Klimazerstörung in sozialer Ungleichheit, die historisch gewachsen ist und auf globaler Ebene besteht: Die Klimakrise ist Folge sozialer Probleme. Klimagerechtigkeit denkt die Ausbeutung von Mensch und Natur zusammen und unterscheidet sich dadurch maßgeblich von Klimaschutz. Dieser geht nicht von Betroffenenperspektiven aus, sondern vorrangig von erhöhten Treibhausgaswerten in der Erdatmosphäre. Diese werden getrennt von ungleichen Gesellschaftsstrukturen betrachtet. Klimaschutz diskutiert die Klimakrise als logistisches oder technisches Problem der Zukunft. Mit der Folge, dass Klimaschutzlösungen darauf abzielen vor allem CO² mithilfe innovativer Technologien in der Erdatmosphäre zu reduzieren. Im Gegensatz dazu fordert Klimagerechtigkeit vor allem den Abbau sozialer Macht- und Ausbeutungsverhältnisse. Ohne soziale Gerechtigkeit wird die Ursache der Klimakrise nicht bei der Wurzel gepackt, sondern sowohl Umwelt- und Klimazerstörung als auch Klimalösungen finden weiterhin auf Kosten benachteiligter Menschen und natürlicher Lebensgrundlagen weltweit statt. Woher kommen die Schieflagen, die Klimagerechtigkeit beschreibt, und wie werden sie gerechtfertigt?

Welche Rolle spielen europäischer Kolonialismus und Rassismus in der Klimakrise?

Bewegungen des Globalen Südens und BIPoC Gruppen des Nordens, wie das Black Earth Kollektiv in Berlin, stellen immer wieder klar, dass Klimaungerechtigkeiten das Erbe europäischer Kolonisierungsprozesse sind und die Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und Industrialisierung eng miteinander verwoben sind.

Die meisten Menschen in Deutschland ordnen den Beginn der Klimakrise in die Zeit der Industrialisierung ab ca. 1750 ein. Die „Industrielle Revolution“ Europas wäre ohne die europäischen Kolonisierungsprozesse jedoch nicht möglich gewesen: Europäische Kolonisator:innen fielen im 15. Jahrhundert in nicht-europäische Gebiete ein. Sie unterwarfen nicht-europäische Menschen, versklavten und töteten sie. Kolonisierte Menschen wurden als „Arbeitskraft“ und die natürliche Umwelt des Globalen Südens als “Rohstoff” (Gold, Naturkautschuk, Erdöl, u.v.a.) ausgebeutet. Das Ziel dieser gewaltvollen Ausbeutungsprozesse war es Macht, Profit und das Wohlergehen vor allem weißer, europäischer Menschen sicherzustellen. Über fünf Jahrhunderte hinweg errichteten europäische Kolonisator:innen zu ihren Gunsten globale Machtstrukturen, soziale Ungleichheit und „Reichtum“ - auf Basis historischer, systematischer Ermordung und Ausbeutung kolonisierter Menschen und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Im Zuge der Kolonisierungsprozesse führten europäische Kolonisator:innen Rassismus als gesellschaftliche Ordnung und Ideologie ein. Sie rechtfertigten u.a. mit der rassistischen Behauptung, kolonisierte Menschen seien keine „vollwertigen“ Menschen, ihre Verbrechen an ihnen. Der Kolonialismus legte das Fundament für das globale kapitalistische Wirtschaftssystem und Rassismus. Koloniale Strukturen ermöglichen noch heute, dass Zerstörung, Verschmutzung und Vergiftung der Ökosysteme und Lebensgrundlagen von Menschen im Globalen Süden normalisiert werden. Letztlich wird verschleiert, dass der Lebensstil des Globalen Nordens menschliches und nichtmenschliches Leben im Globalen Süden kostet.

Gibt es Rassismus und koloniale Kontinuitäten in der Klimabewegung und -politik?

Auch wenn der europäische Kolonialismus in den meisten Teilen der Welt offiziell vorbei ist, wirken Rassismus und koloniale Machtstrukturen noch immer auf globaler Ebene fort. Das wird auch koloniale Kontinuität bezeichnet. Rassismus ist strukturell in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, Organisationen und Institutionen fest verankert. Klimabewegungen und -politik in Deutschland und international bilden keine Ausnahme.

Menschen und Bewegungen, die historisch und gegenwärtig von der Klimakrise massiv betroffen sind und gesellschaftlich benachteiligt werden, werden mit ihren Lebensrealitäten, Widerständen und Forderungen systematisch ausgeblendet. Das gilt vor allem für von Rassismus betroffene Menschen. MAPA bspw. fordern bei internationalen Klimakonferenzen Verantwortungsübernahme des Globalen Nordens für die historisch entstandenen Schäden im Globalen Süden. Dazu zählen finanzielle Entschädigungen für Klimakrisenschäden (Loss and Damage), die Streichung aller „Schulden“ des Globalen Südens und/oder die Rückgabe von Landrechten an indigene Gemeinschaften u.v.a. Anstatt die Verantwortung zu übernehmen, ist es oft so, dass weiße Entscheidungsträger:innen aus dem Globalen Norden in Abwesenheit betroffener Personen über klimapolitische Maßnahmen bestimmen.

Klimagruppen in Deutschland sind vorwiegend weiß. Sie richten sich mit ihren Zielen, Anliegen und Aktionsformen vor allem an weiße Menschen. Sie setzen sich vorwiegend für Anpassungs- und Schutzmaßnahmen im Globalen Norden ein, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse unberührt lassen und grünen Kapitalismus fördern. Es herrscht wenig Bewusstsein und Sensibilisierung für die Lebensrealitäten und Perspektiven von BIPoC auf das Klima. Der rassistische Effekt ist, dass Menschen aus den Debatten ausgeschlossen, Rassismus und koloniale Kontinuitäten in der Analyse zur Klimakrise ausgeblendet werden. BIPoC-Aktivist:innen werden selten als gleichwertige oder zentrale Akteur:innen im Umgang mit der Klimakrise anerkannt. Vielmehr werden sie mit ihren Widerstandserfahrungen als „Vorzeige-Betroffene“ instrumentalisiert und ihr Wissen wird ohne Kennzeichnung angeeignet.  So werden weiße Klimaaktivist:innen als “einzige Klimaretter:innen” wahrgenommen, was auch white saviorism (=dt. weiße Retter:innenschaft) beschreibt. Echte Solidarität mit betroffenen und marginalisierten Menschen bleibt dann aus.

Wirksame Klimalösungen sind anti-rassistisch

Klimabewegungen des Globalen Nordens fordern immer wieder Klimalösungen, die kolonial-rassistische Ausbeutungsverhältnisse fortsetzen und von “Ressourcen” des Globalen Südens abhängig sind. Für Technologien wie Elektro-Mobilität benötigt es bspw. Lithium. In Chile, Argentinien und Bolivien sind viele Menschen vom extremen Wassermangel als Folge des Lithiumabbaus betroffen. Wie bereits vor über 500 Jahren zeigen sich Ausbeutungsverhältnisse, die die Lebensbedingungen (gesundheitlich, sozial, ökologisch, wirtschaftlich, politisch usw.) vor allem rassifizierter Menschen im Globalen Süden massiv einschränken und/oder ihre Lebensgrundlagen zerstören. Klimalösungen dürfen keine rassistischen Konsequenzen haben. Die Erfahrungen, Wissensbestände und Forderungen von MAPA sind dafür die zuverlässigsten und wichtigsten Anker. Diese zu ignorieren führt dazu, dass Klimaschutz für weiße Menschen betrieben wird und schafft keine lebenswerte Welt für alle. Die Klimakrise ist nicht nur die Summe erhöhter Treibhausgasausstöße, sondern das Ergebnis historisch gewachsener Machtstrukturen. Der Abbau dieser Machtstrukturen ist zentraler Teil der Lösungen gegen Umwelt- und Klimazerstörung. Diesen kann jede:r entgegentreten, indem die eigenen Denk- und Handlungsmuster selbstkritisch reflektiert werden. Eine rassismuskritische Perspektive muss aktiv erarbeitet werden, um anti-rassistisch handeln zu können.

Autor:innen: Nene Opoku und Dodo

Rassismus.Macht_.Klima_.Ungerecht Ein Flyer für gerecheren Klimaaktivismus.pdf

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Personen kommunizieren mit Hindernissen

Hier findest Du wichtige Begriffe leicht erklärt.

Glossar
Quellen



1 Jason Hickel (2020) Quantifying national responsibility for climate breakdown: an equality-based attribution approach for carbon dioxide emissions in excess of the planetary boundary.

2 Our World in Data/Global Carbon Project (2020): Who has contributed most to global CO2 emissions?

3 MAPA for Future (2021): What is MAPA and why should we pay attention to it?

4 Germanwatch e.V. (2018): Global Climate Risk Index 2019.

5 Meena Raman (2022): Looking back on Bali.

6 International Climate Justice Network (2002): Bali Principles of Climate Justice.

7 Black Earth Kollektiv (2019): Climate Justice and Environmental Justice.

8 taz (2020): Was hat der Kolonialismus mit der Klimakrise zu tun?

9 Projekt Locals United (2020): Kolonialismus und Klimakrise. Über 500 Jahre Widerstand.

10 Claudia Horn; Isadora Cardoso (2021): COP26 Was a Flop, but the Climate Justice Movement Is Still Growing.

11 Zade Abdullah (2022): „No justice in a racist climate.“ In: Ende Gelände (2022): „We shut shit down.“

12 Tonny Nowshin (2020): Die Klimabewegung hat ein Rassismusproblem

13 Mitzi Jonelle Tan (2021): White saviorism in the climate movement.

14 Fundación Tantí (2022): Water is more worth than lithium.