Fischsterben in der Oder
- Ein Artikel von Michael Weiland
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Am 9. August 2022 wurde das Ausmaß des katastrophalen Fischsterbens in der Oder offenbar: ein Debakel, das sich wiederholen kann, wenn die Bergbauindustrie ihre salzhaltigen Einleitungen nicht stoppt. Greenpeace-Aktive fordern bei der Oderkonferenz am 17.10.2023 von Industrie und Politik, dass sie den Fluss endlich wirksam schützen.
Flüsse sind Lebensadern: Ökosysteme, Naherholungsgebiete, Wasserstraßen. Doch wer nach dem vergangenen Sommer an die Oder denkt, verbindet sie mit einer Tragödie: Bis zur Hälfte der darin lebenden Fische könnten nach einer Umweltkatastrophe im August 2022 verendet sein. Eine giftige Algenblüte in der Oder ist die plausibelste Erklärung für das massenhafte Fischsterben - ausgelöst durch salzhaltige Einleitungen der polnischen Bergbauindustrie.
Am 26. Juli 2022 tauchen die ersten tote Fische in der Oder nahe der polnischen Stadt Olawa auf. Das ist erst der Anfang. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird in den folgenden Wochen klar: Rund die Hälfte des Fischbestandes in der Oder verendet, letztlich handelt es sich um mehrere hundert Tonnen Kadaver. Am 9. August melden auch viele Gemeinden in Deutschland tote Fische am Ufer, überregionale Medien greifen das Thema auf. Langsam wird deutlich, dass es sich hierbei sich um eine der größten Umweltkatastrophen der jüngeren Geschichte handelt.
Greenpeace-Aktivist:innen kletterten am Morgen des 23. Augusts auf einen Förderturm im Bielszowice-Abbaugebiet in Polen. Dort entrollten sie riesige Transparente mit Slogans wie "The Mines poison the Oder" ("Bergbau vergiftet die Oder") und "End Fossil Crimes" ("Schluss mit den Verbrechen der fossilen Industrie"). Sie protestierten damit gegen die weitere Zerstörung der Oder und die Tatsache, dass die Politik, insbesondere der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, das Problem weiterhin ignoriert.
Greenpeace konnte belegen, dass die Katastrophe in der polnischen Bergbauindustrie einen eindeutigen Verursacher hat. Politische Konsequenzen wurden daraus keine gezogen: Die Kohleindustrie leitet auf polnischer Seite weiterhin stark salzhaltiges Abwasser in die Oder, und das ganz legal. Rechtmäßig bedeutet aber noch lange nicht richtig: Die Industrie steuert sehenden Auges in ein weiteres Fischsterben. Greenpeace Polen fordert deshalb, dass die Grenzwerte für Abwassereinleitungen auf polnischer Seite endlich verschärft werden, und der weitere Oderausbau in ihrem Land gestoppt wird.
Untersuchungen vorläufig abgeschlossen
Mit einer Pressekonferenz in Warschau am 2. März 2023 schloss Greenpeace die Untersuchungen zum Fischsterben in Oder und Weichsel vorläufig ab. Mittlerweile ist nicht nur klar, was die Katastrophe ausgelöst hat, sondern auch wer für die ursächliche Belastung der Gewässer verantwortlich ist: Bei drei Bergwerken der polnischen Bergbaukonzerne Polska Grupa Górnicza (PGG) und Jastrzębska Spółka Węglowa S.A. (JSW SA) kann die Umweltschutzorganisation stark salzhaltige Einleitungen nachweisen. Das salzhaltige Wasser begünstigt giftige Algenarten, wie Prymnesium parvum, die bei hohen Wassertemperaturen allem Anschein nach das Fischsterben ausgelöst hat. In einem der untersuchten Fischkadaver konnte ein von Greenpeace beauftragtes Labor im Herbst Spuren des Algentoxins in den Kiemen nachweisen.
Für die aktuelle Untersuchung nahm ein polnisch-deutsches Greenpeace-Team an drei Zuflüssen zur Oder und sechs zur Weichsel insgesamt 57 Wasserproben. Das Ergebnis dieser Untersuchung veröffentlicht Greenpeace Polen in einem Report, eine deutschsprachige Zusammenfassung finden Sie hier. „Die Kombination aus skrupellosen Konzernen und untätigen Behörden hat dazu geführt, dass ein ganzer Fluss zunächst versalzt und dann vergiftet wurde“, sagt Nina Noelle, Projektleiterin von Greenpeace Deutschland. “Nur durch ausreichende Überwachung durch polnische Behörden lässt sich verhindern, dass es jederzeit zu weiteren ökologischen Katastrophen im polnisch-deutschen Fluss kommt.”
Die höchsten Salzwerte fand das Greenpeace-Team im Oderzufluss Bierawka, in den der Bergbaukonzern JSW SA sein Grubenwasser einleitet. Der Salzgehalt des Zuflusses liegt dort bis 15-fach über dem für Süßwasser empfohlenen Wert. Zwei weitere Bergwerke von PGG erhöhen den Salzgehalt der Zuflüsse Klodnica und Kochlowka um bis zum 14-fachen der empfohlenen Werte. Die Weichsel stellte sich bei der Untersuchung sogar als noch stärker belastet heraus als die Oder.
A Greenpeace study: Salinisation Of Poland's Two Major Rivers By Mining Companies
Anzahl Seiten: 16
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HerunterladenFortlaufende Untersuchungen an Oder und Weichsel
Bereits im vergangenen September veröffentlichte Greenpeace einen vorläufigen Bericht zum Fischsterben in der Oder – und machte bereits damals Salzeinleitungen der polnischen Bergbauindustrie für die verheerenden Schäden verantwortlich. Für die im Herbst 2022 veröffentlichte Analyse nahmen vier Greenpeace-Aktivist:innen Ende August zwischen dem brandenburgischen Schwedt und der polnisch-tschechischen Grenze Wasser- und Bodenproben auf etwa 550 Kilometer Flusslänge.
“Diese Umweltkatastrophe war vermeidbar. Hunderttausende Tiere sind qualvoll gestorben, weil grundlegende Kontrollen vernachlässigt wurden”, sagt Nina Noelle, Sprecherin von Greenpeace. “Wir fordern von der polnischen und deutschen Regierung, den Fluss künftig zu renaturieren, rund um die Uhr zu überwachen und das Einleiten von schädlichen Substanzen, wie Salzen und Schwermetalle, zu verbieten." Das deutsch-polnische Team hat insgesamt siebzehn Proben gezogen. Schwermetalle waren in vier Proben von Flusssedimenten erhöht. Die höchsten Salzwerte fanden sich an einem Rückhaltebecken des Bergbaukonzerns KGHM in Gmina Polkowice. Dort liegt der Salzgehalt 40-fach über den für Süßwasser empfohlenen Werten. Ebenfalls auffällig waren hohe Salzwerte flussaufwärts am Gliwice-Kanal, über den andere Bergwerke ihr Abwasser in die Oder beseitigen.
Die Oder ist ein stark belasteter Fluss. Auf polnischer Seite werden Wasserqualität und einleitende Betriebe nicht durchgängig überwacht. Bergbaukonzerne und andere Industrien werden nur auf dem Papier kontrolliert. Anwohner:innen berichteten den Aktivist:innen von Greenpeace davon, dass es nachts zu übel riechenden Einleitungen rund um eine Papierfabrik bei Olawa komme, die Behörden jedoch nur tagsüber präsent seien. Zudem fehlt es an einer vollständigen Erfassung der unterschiedlichen Einleiter.
Behörden schlugen im August Alarm
Am 10. August kam erstmals die Nachricht, dass ein mysteriöses Fischsterben haufenweise Tierkadaver an die Ufer des Flusses schwemmt. Menschen in Frankfurt an der Oder und den umliegenden Orten meldeten das Phänomen den deutschen Behörden. Erst nach und nach wurde das Ausmaß klar, hunderttausende Lebewesen sind tot. Seitdem findet eine Suche nach den Ursachen statt, begleitet von politischen Verstimmungen: Offenbar gab es auf polnischer Seite bereits seit Ende Juli Hinweise auf ein Fischsterben im großen Ausmaß, ohne dass die Informationen an Kolleg:innen in den deutschen Amtsstuben weitergegeben worden wären.
Dabei haben auch hier Frühwarnsysteme versagt. Eine Oder-Messstation bei Frankfurt meldete bereits am 6. August erhöhten Salzgehalt, veränderte pH-Werte und hohe Chlorophyll-Werte: ein deutlicher Hinweis auf Algenwachstum. Dass hier irgendein Ereignis stattgefunden haben muss, lässt sich selbst für Laien an den Kurven ablesen.
Alge als Auslöser – der Mensch als Ursache
“In den meisten Fällen ist Sauerstoffmangel die Ursache eines solchen Fischsterbens”, sagt Manfred Santen, Greenpeace-Experte für Chemie. Insofern ist “Prymnesium parvum”, eine Mikroalge, die im Gewässer entdeckt wurde, eine schlüssige Schuldige. Algen verbrauchen viel Sauerstoff, zudem war der Wasserstand in der Oder niedrig. Dazu kommen die hohen Temperaturen – mit steigender Gradzahl sinkt die Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser. Außerdem sondern die Algen Giftstoffe ab; das Toxin schädigt die Kiemen der Fische. Eine multifaktorielle Gemengelage, die für die Tiere in der Oder tödlich war.
Wie passt das mit Messergebnissen zusammen, die erhöhte Sauerstoffwerte anzeigen? “Die Sauerstoffkonzentration kann später ansteigen, da die Algen Sauerstoff produzieren“, sagt Santen. “Das explosionsartige Algenwachstum zehrt zunächst Sauerstoff und sorgt vor allem in tieferen Wasserschichten für Sauerstoffmangel – daran sterben die Fische, in Kombination mit der Schädigung durch die Toxine.”
Factsheet: So schlecht geht es der Oder wirklich
Anzahl Seiten: 8
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HerunterladenGreenpeace-Team auf Spurensuche an der Oder
Im August 2022 war ein polnisch-deutsches Greenpeace-Team in Polen unterwegs, um Proben zu nehmen und potenzielle Quellen der Verschmutzung in Augenschein zu nehmen. Unter anderem wurde das Wasser des Stausees Zelazny Most untersucht, der zu einem Bergbau-Unternehmen gehört. Wobei der Begriff Stausee irreführend ist: Man muss sich das Gewässer vielmehr wie ein riesiges Auffangbecken für Abwässer vorstellen, die offenbar über einen längeren Zeitraum in die Oder abgeleitet wurden. Sie könnten die Algenblüte ausgelöst haben.
Die Suche nach den Ursachen ist auch deswegen so schwierig, weil der Mythos der Oder als sauberer Fluss genau das ist: ein Mythos. Am Ufer hat sich viel Industrie angesiedelt, Papierfabriken, Kupferminen, Bergbau. Bei den Ermittlungen trat zutage, dass in Polen nahezu 300 illegale Abwasserrohre in die Oder fließen.
“Das Problem ist, dass in Polen die Oder verschmutzt wurde, weil es eben ging”, sagt Marek Jozefiak, Sprecher von Greenpeace Polen. “Hierzulande werden die Gewässer nicht dauerhaft überwacht. Während in Deutschland durch das Live-Monitoring Verschmutzungen in Echtzeit registriert werden, fehlt diese Form der Überwachung hier. Das führt dazu, dass nach Dienstschluss der Behörden keine Kontrolle mehr stattfindet. Nachts ist für jemanden, der illegal seinen Abfall in den Fluss schütten will, alles möglich.” Greenpeace in Polen fordert hier Verbesserungen und ein Echtzeit-Monitoring der Oder auch auf polnischer Seite.