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„Es ist wichtig, sich immer wieder klarzumachen: Wir haben schon so viel erreicht, wir schaffen den Rest auch noch.“

Mitarbeiterporträt von Gianna Martini

Gianna Martini, Engagement Campaignerin Greenpeace Deutschland.

Anlässlich des Weltfrauentags am 08.03. haben wir ein Interview zum Thema Feminismus und dem Weltfrauentag mit einer Greenpeace Kampaignerin gemacht:

Gianna Martini ist Engagement-Kampaignerin im Klima & Energie-Team. Sie arbeitet mit der Klimabewegung, mit Freiwilligen und macht Öffentlichkeitsarbeit.
In dem Interview ging es allgemein um die Relevanz des Weltfrauentags und die Bedeutung von Feminismus, aber auch um Giannas persönliche Erfahrungen in dem Bereich.

Wir fanden das Gespräch sehr interessant und ermutigend.

Warum ist der Weltfrauentag wichtig, was ist das „Ziel“ davon?

Der Weltfrauentag hat zum Ziel, auf die Lebenssituation und die strukturelle Diskriminierung von Frauen aufmerksam zu machen. Er ist wichtig um auf alle Ungleichheiten, die noch bestehen, hinzuweisen und insbesondere auf Ungleichheiten auf Grund von Geschlechtern, was ja in unserer Gesellschaft mehrheitlich Frauen betrifft.

Was hat der Weltfrauentag konkret schon verändert, seitdem es ihn gibt?

Naja, mit Gedenktagen ist es ja wie mit ganz vielen anderen Protestformen, dass sie alleine nichts verändern. Das Gesamtbild macht es aus. Wenn der Weltfrauentag alles wäre, was wir zur Gleichstellungspolitik machen würden, dann wäre wahrscheinlich nicht viel passiert. Aber der Weltfrauentag gibt uns die Möglichkeit, einmal im Jahr den Finger in die Wunde zu halten und zu sagen, hier stimmt noch was nicht, hier muss noch etwas besser werden.

Hat der Weltfrauentag immer zwingend etwas mit Feminismus zu tun?

Ich würde sagen, der internationale Frauentag ist etwas, das aus dem Feminismus entsprungen ist.
Er kommt aus der Frauenbewegung, wurde von Frauen angestoßen und somit ist er ein Mittel zum Zweck, um das Ziel des Feminismus zu erreichen, also die Gleichstellung aller Menschen.

Was bedeutet Feminismus?

Der Feminismus ist dadurch entstanden, dass Frauen aufgestanden sind und gesagt haben, dass sie mit Männern gleichgestellt werden oder mehr Rechte haben wollen. Er entwickelt sich immer weiter.
Feminismus an sich, nach meiner Definition, ist erstens immer intersektionaler Feminismus, also nimmt alle Ungleichheitsdimensionen mit und steht für die Gleichstellung aller Geschlechter. In erster Linie wird gedacht, dass es nur Frauen was nützt, aber alle Geschlechter, also auch Cis-Männer profitieren vom Feminismus. Wenn wir alle gleichgestellt sind, leben wir in einer Gesellschaft, die friedlich ist und die nicht auf Dominanzgehabe wert legt. Denn durch dieses toxische Männlichkeits-Bild entsteht Konflikt, Gewalt und letzten Endes Krieg – wie das aktuelle Beispiel des Ukrainekriegs zeigt. Wenn der Feminismus erfolgreich ist, dann verschwindet dieses toxische Männlichkeits-Bild. Dann gibt es sowieso keine Bilder davon, wie ein Mensch zu sein hat, wenn er ein Mann oder eine Frau ist oder einem anderen Geschlecht zugehörig ist. Und dann sind wir alle frei, uns zu entfalten, wie wir es wollen. Es sind sehr wenige Männer, die Nachteile davon haben, wenn der Feminismus erfolgreich ist. Das sind diejenigen Männer, die Macht haben und diese zur Unterdrückung nutzen. Der Feminismus arbeitet daran, diese Macht abzuschaffen.

Was ist intersektionaler Feminismus und warum ist er wichtig?

Intersektionaler Feminismus bedeutet, dass Feminismus nicht nur für eine bestimmte Art von Frau steht. Und zwar nicht nur für Frauen, die sehr privilegiert sind, also gut gebildet, weiß, gesund.
Es gibt halt noch viele andere Ungleichheitsdimensionen. Eine BIPoc Frau ist zum Beispiel anderem Sexismus ausgesetzt, als ich es bin. Ich bin auch Sexismus ausgesetzt, deshalb habe ich selbstverständlich eine totale Berechtigung auch als privilegierte weiße Frau, Gleichstellung für mich einzufordern, aber bei feministischen Kämpfen, die eine breite Gesellschaft abbilden, müssen diese mehrere Ungleichheitsdimensionen mitdenken
Viele setzen Intersektionalität mit mehrfach Diskriminierung gleich, aber das ist nur ein Aspekt davon. Intersektionalität sagt auch aus, dass man manchmal bestimmte Form von Diskriminierung erst erfährt, wenn man mehr Ungleichheitsdimensionen hat. Und das Ziel von diesem Ansatz ist es, diese Situation auch mitzudenken. Audre Lord hat das sehr schön gesagt: “I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own.”  Und das sagt aus, warum wir intersektionalen Feminismus brauchen: Weil wir nur so alle befreien können.

Wie hängen Feminismus und die Klimakrise zusammen?

Wie mit allen Ungerechtigkeiten auf dieser Welt, verstärken Krisen diese. Also Machtstrukturen, die wir in dieser Gesellschaft haben, verstärken sich durch Krisen. Es gibt so viele Verknüpfungen zwischen der Klimakatastrophe und Benachteiligung von Frauen. Zum Beispiel, wenn es eine Überschwemmung gibt, leiden Frauen mehr darunter, einfach weil sie strukturell schlechter gestellt sind als Männer. Ein Mann hat dann schneller die Freiheit zu sagen: Ich fliehe jetzt. Erstmal hat er das Geld, er kann sich auf die Flucht begeben, er hat das Auto, und er fühlt sich nicht so sehr verpflichtet. Als Frau fühlst du dich mehr verpflichtet, auch durch deine Sozialisation, und was die Gesellschaft von dir erwartet. Du kannst bzw. willst deine Kinder nicht zurücklassen. Aber du kannst auch nicht mit deinen drei Kindern fliehen, weil du nicht das Geld und auch nicht das Auto hast. Dadurch sterben auch mehr Frauen an den Folgen der Klimakrise.
Und der andere Punkt ist, dass wenn wir gegen die Klimakrise angehen, wir bedenken müssen, was die Lebenssituation von verschiedenen Menschen ist. Also wenn wir zum Beispiel fordern, dass man das Fahrrad nehmen sollte anstatt des Autos, dann ist das für viele Frauen, auf Grund ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen, nicht so einfach möglich.

Seit wann beschäftigst du dich ca. mit dem Thema Feminismus?

Ich würde sagen, das wurde mir in die Wiege gelegt. Meine Mutter ist Anwältin und hat eine Beratungsfirma zum Thema Gender. Und da hat sie mir schon am Essenstisch früher von Fällen erzählt, wo sie zum Beispiel Frauen vertreten hat, die am Arbeitsplatz sexuell belästigt wurden. Dann habe ich das auch studiert, also Sozialökonomie. Da hab ich auch immer Bezug auf das soziale Geschlecht genommen und mich sehr viel damit beschäftigt. Und wenn man das alles weiß, dann sieht man das auch einfach den ganzen Tag. Zum Teil ist das wirklich nervig, gerade in höheren Hierachiestufen bei der Arbeit, wieviel ich damit konfrontiert werde, dass es Geschlechterunterschiede gibt, und dass diese auch hochgehalten werden.

Hast du vielleicht ein konkretes Beispiel aus deinem Alltag, von Benachteiligung von Frauen?

Ich kann dir wahrscheinlich 500 nennen… Bei mir sind das wirklich ganz alltägliche Dinge. Zum Beispiel wenn mir ein Kollege schreibt, dass er keine Zeit hat etwas vorzubereiten und ob ich die Moderation für sein Meeting am nächsten Tag vorbereiten kann. Und dann denk ich mir echt so f*** you. Wenn du der Meinung bist, ich bin deine Sekretärin, dann haben wir ein ganz anderes Problem.
Oder wenn ich meine Themen in einem Meeting besprechen möchte, und die Männer reden und reden und reden, Hauptsache sie haben den Raum dazu. Und das ist glaub ich das, was mich am meisten stört, den Platz, den sich Männer nehmen. Wieviel Platz sie sich nehmen. Und wie sie wirklich der Meinung sind, eine absolute Berechtigung zu haben, so viel Platz zu haben und andere Leute weniger.

Was muss sich noch in Bezug auf Gleichberechtigung in der Gesellschaft ändern?

Das ist eine riesige Frage. Es muss sich so so viel ändern.
Wir brauchen eine Überarbeitung von Gesetzen, z.B. dem Ehegattensplitting.
Wir brauchen mehr Frauen in machtvollen Positionen.
Wir brauchen eine Aufwertung von weiblicher Arbeit, denn das erfährt in unserer Gesellschaft eine Abwertung.
Wir brauchen Sicherheit für Frauen im öffentlichen Raum.
Wir brauchen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dadurch würden auch voll viele Probleme gelöst werden. Zum Beispiel, dass der Pflegeberuf unterbesetzt und unterbezahlt ist. Das liegt daran, dass weibliche Arbeit nicht so gut entlohnt wird und als nicht so wertvoll erachtet wird.
Und wir brauchen einen Blick auf die Welt, der nicht so sehr auf Hierarchien aus ist. Also es ist eine riesengroße Frage, die ich auch jetzt nicht zu Ende beantworten kann. Gesellschaftliches, ökonomisches und rechtliches muss gelöst werden.

Was wünscht du dir und anderen Frauen für die Zukunft?

Mir wünsche ich ganz viel Resilienz, den ganzen nervigen Scheiß auszuhalten. Ich wünsche mir, dass ich mehr Spaß daran entwickle, gegen das männlich dominierte System aufzubegehren.
Ich wünsche anderen Frauen, dass sie diese Strukturen gut für sich erkennen und dann Kontra geben können. Ich wünsche allen Frauen viel Wut und Spaß daran, diese Strukturen zu zerschlagen.

Hast du noch eine Abschluss-Botschaft?

Es passiert schnell, wenn man sich intensiv mit dem Feminismus beschäftigt, dass man das Gefühl bekommt, es geht nichts vorwärts, alles geht viel zu langsam. Deshalb würde ich sagen, versucht das große Ganze im Blick zu behalten. Wir haben als Frauen vor ca. 100 Jahren erst das Wahlrecht erhalten, und seitdem wahnsinnig große Schritte nach vorne gemacht. Es ist wichtig sich immer wieder klarzumachen, wir haben schon so viel erreicht, wir schaffen den Rest auch noch.

 

Artikel von Mathilda & Merit