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Aktivist:innen auf der Beluga II im Hafen von Nexø, Bornholm
© Axel Heimken / Greenpeace

Greenpeace-Aktivist:innen untersuchen Folgen der Pipeline-Explosionen

Welche Auswirkungen haben die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines auf die Umwelt? Greenpeace-Aktive nehmen Proben, wir ordnen die Ergebnisse ein. 

Dass es sich bei den schweren Explosionen an den beiden Nord-Stream-Pipelines im September dieses Jahres um Sabotage handelte, ist mittlerweile klar. Doch was sind die tatsächlichen Auswirkungen des massiven Methangasaustrittes auf die Tier- und Pflanzenwelt in der Ostsee? Welche Rolle spielen dabei die Munitionsaltlasten aus zwei Weltkriegen? 

>>> Eine Chronologie der Expedition ist weiter unten zu finden

Interview zu den Ergebnissen

Beluga Research Tour on Nord Stream Pipelines in the Baltic Sea

Julios Kontchou an Bord der MS Beluga II im November 2022.

Ende Dezember liegen die Ergebnisse der Probenahmen vor. Julios Kontchou ist Ökotoxikologe bei Greenpeace Deutschland und war bei der Expedition zu den Gaspipeline-Lecks an Bord der Beluga. Wir haben mit ihm über die Datenlage gesprochen und wo die Herausforderungen der Untersuchung lagen.

Greenpeace: Julios, was sagen dir die Probenergebnisse?

Julios Kontchou: Wir konnten keine Giftstoffe nachweisen, die sind alle unter der Bestimmungsgrenze. Es gibt allerdings ein paar sonderbare Ausschläge bei der Untersuchung. Wir haben zum Beispiel Peaks bei dem Sprengstoff TNT. Da ist definitiv etwas in der Ostsee drin, mit unseren Proben konnten wir das allerdings nur knapp unter der Nachweisgrenze belegen.

Kommt dieser Sprengstoff von der Zerstörung der Pipeline?

Eher nicht. Dass wir einige Sprengstoffe und sprengstofftypische Verbindungen wie TNT, Hexogen (RDX) und Aminodinitrotoluol (ADNT) gefunden haben, deckt sich tatsächlich mit dem, was man über die Ostsee weiß. Seit dem Zweiten Weltkrieg liegt dort Munition am Meeresgrund. Unsere Vermutung war, bereits als wir losgefahren sind, dass es durch die Explosion der Pipeline zu Verwirbelung und Wiederaufschwemmung von Kampfstoffen gekommen sein könnte. Auch, wenn das an dem von uns untersuchten Explosionsort offenbar nicht der Fall gewesen ist, braucht es dringend mehr Forschung: Wo überall Munitionsdeponien in der Ostsee liegen, ist nur unzureichend kartiert. Die Spurenwerte sind in unserer Untersuchung nur sehr gering, aber sie haben einen chronischen Effekt auf Organismen. Über die Zeit kann das für Ökosysteme sehr schädlich sein, bis zum Artensterben sensibler Organismen.

Was waren die Herausforderungen bei den Probenahmen?

Ein Problem war, dass wir nicht an alle Orte fahren konnten, an denen wir gerne Untersuchungen durchgeführt hätten, dafür fehlte uns die Erlaubnis der Behörden. Wir konnten nur zu einem Spot entlang von Nord Stream 1 fahren. Allerdings war unsere Arbeit dort wegen einer dann neu geschaffenen Sicherheitszone auch nur für einen Tag möglich.

Würdest du andere Ergebnisse erwarten, wenn ihr mehr Orte angefahren hättet? Oder früher am Ort des Geschehens gewesen wäret?

Ich denke, wenn uns erlaubt worden wäre, mehr Proben in der Nähe der explodierten Pipeline zu nehmen, wäre die Chance größer gewesen, belastbarere Ergebnisse zu erhalten. Und um ein genaueres Bild zu erhalten, wäre es gut gewesen, wenn wir alle drei Unglücksorte hätten untersuchen dürfen. Dass seit den Explosionen bereits einige Wochen vergangen sind, ist dabei nicht so entscheidend. Die Belastung im Wasser, die durch die Explosion ausgelöst wurde, lässt zwar nach ein, zwei Tagen nicht mehr nachweisen; um Belastungen im Sediment zu belegen, spielen ein paar Wochen Differenz eine weniger große Rolle.

Beluga Research Tour on Nord Stream Pipelines in the Baltic Sea

Probenahme mit einer Ruttner-Flasche

Von Bord hieß es, die Suche nach den Lecks hätte schon etwas von “Nadel im Heuhaufen” gehabt. Hattet ihr zwischenzeitlich Zweifel, eine der geborstenen Stellen zu finden?

Wir haben mit einem ROV gearbeitet, einem “Remote Operated Vehicle” - das kann man sich wie eine Unterwasserdrohne vorstellen. Das Gerät war sozusagen unsere Augen unter Wasser. Aber ROVs sind schwierig zu bedienen - wir hatten Glück, dass wir einen sehr erfahrenen Operator an Bord hatten. Genaue Locations unter Wasser zu bestimmen, um dann mit anderen Geräten dort Proben nehmen zu können, ist eine Herausforderung: Die Arbeit findet schließlich von einem Schiff aus statt, das permanent von Wind und Wellen bewegt wird. 

War die Unterwasserdrohne euer wichtigster Ausrüstungsgegenstand?

Das ROV brauchten wir, um ein Bild der geborstenen Pipeline zu kriegen, und die genauen Koordinaten des Lecks herauszufinden. Außerdem haben wir das ROV genutzt, um eine Friedensbotschaft in die Pipeline zu setzen: eine Greenpeace-Fahne mit Peace-Symbol. 

Allerdings waren die anderen Instrumente genauso wichtig. Nur mit einem sogenannten Van-Veen-Greifer, einer speziellen Schaufel, lassen sich Bodenproben am Meeresgrund nehmen. Diese Proben haben wir dann an Bord zunächst mit einem Gas-Detektor überprüft. So konnten wir sicherstellen, keine größeren Mengen an gefährlichen Kampfstoffen an Bord zu holen. Auch unsere Ruttner-Flasche war notwendig, um Wasserproben aus einer definierten Tiefe nehmen zu können - das ist ein spezieller und verlässlicher Wasserschöpfer. Jedes Instrument war letztlich unverzichtbar.

Wie lief die Zusammenarbeit mit dem toxikologischen Institut der Uni Kiel, deren Labor ja auch an der Auswertung arbeitete?

Die Zusammenarbeit war sehr gut: Die Wissenschaftler:innen der Uni und ein Kampfstoff-Experte der Hazard Control Unit haben uns im Vorfeld beraten, wie wir die Proben nehmen sollen, und standen die ganze Zeit mit uns im Kontakt. Da besteht ein großes Interesse an unserer Untersuchung und auch an einer künftigen Zusammenarbeit. Uns eint der Wunsch nach einer giftfreien Zukunft für die Ostsee.

Nord Stream: Ergebnisse der Laboruntersuchungen

Nord Stream: Ergebnisse der Laboruntersuchungen

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Chronologie der Expedition

Nina Noelle auf dem Greenpeace-Schiff Beluga II

Expeditionsleiterin Nina Noelle berichtete für uns von der Beluga

Donnerstag, 24. November 2022:

Mein Name ist Nina Noelle. Gemeinsam mit 25 weiteren Greenpeace-Aktivist:innen aus mehreren Ländern begebe ich mich heute auf den Weg zu den Explosionsorten. Wir sind verteilt auf zwei Schiffe, die Beluga II und die Petrine. Mit einer Unterwasserdrohne wollen wir die Schäden an der Pipeline sowie am Meeresgrund dokumentieren. Außerdem werden wir Wasser- und Sedimentproben nehmen, um diese auf Schadstoffe zu untersuchen. Bei der Probennahme müssen wir allerdings vorsichtig sein: Aufgrund möglicher Munitionsreste könnten wir Rückstände von chemischen Kampfstoffen finden. Daher testen wir zunächst jede Probe an Deck, bevor wir sie weiterbearbeiten und in Labore schicken. 

Der Weg bis auf die dänische Insel Bornholm war bereits abenteuerlich. In zwei Vans mit je einem Schlauchboot auf dem Anhänger fuhren wir durch Schneeregen über zugefrorene Straßen und enge Kurven. In Nexø angekommen, warteten schon die Beluga II und Petrine im Hafen.

Seit Wochen vermissen wir von den Behörden genaue Informationen darüber, welche Wirkung Explosion und Gasaustritt auf die Umwelt gehabt haben. Daher machen wir uns jetzt selbst ein Bild der Lage und suchen nach Antworten. Von der Bundesregierung fordern wir, dass umfassend über die Hintergründe des Umweltverbrechens aufgeklärt wird. Rund um die Pipeline in der Ostsee werden wir nicht allein sein, auf der elektronische Seekarte sind bereits Schiffe diverser Länder zu sehen, darunter Norwegen und Russland. Was uns jetzt noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte, wäre nur das Wetter. 

Die Ostsee gilt als eines der am stärksten belasteten Meere weltweit. Überdüngung, Klimaerwärmung, Altlasten und Überfischung sind die größten Probleme. Die Abhängigkeit von fossilen Energien heizt zudem das Klima auf und unterstützt autoritäre Regime. Greenpeace fordert deshalb von der Bundesregierung, die erneuerbaren Energien auszubauen und die selbst gesetzten Ziele der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie MSRL einzuhalten. Die MSRL sieht vor, die europäischen Meere in einen guten Umweltzustand zu bringen.  

Wie es mit unserer Mission weitergeht, lässt sich über Twitter, Instagram und Facebook verfolgen: Ich gebe dort ab heute tägliche Updates und nehme Sie mit an Bord der Beluga II und Petrine. Auch hier werde ich Sie auf dem Laufenden halten, etwa wenn unsere Unterwasserdrohne ihren ersten #DeepDive4Peace startet. 

Update 30. November:

Heute ist die Beluga nach einer mehrtägigen Fahrt nach Deutschland zurückgekehrt. Insgesamt haben wir 40 Boden- und Wasserproben an einer der Explosionsstellen genommen, die nun im Labor auf Spreng- und Giftstoffe untersucht werden. Mit einem Tauchroboter konnten wir zudem in die zerstörte Röhre eine Friedensflagge setzen. Denn die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee führt uns vor Augen, dass fossile Energien sehr oft Konflikte fördern und Kriege finanzieren. Es muss Schluss sein mit der Ausbeutung unseres Planeten für fossile Energien. Deshalb haben wir an der Stelle, die für die Abhängigkeit von fossilen Energien aus autokratischen Systemen steht, eine Flagge des Friedens und der Hoffnung gehisst. Hoffnung auf eine künftige friedliche Energieversorgung durch Erneuerbare.

Zwei Greenpeace-Aktivisten halten eine sogenannte Niskin-Flasche, mit der sie Wasserproben nehmen.

Entnahme von Wasserproben mit einer sogenannten Niskin-Flasche

Update 1. Dezember 

Nord-Stream: Auswertung des Bildmaterials

Nord-Stream: Auswertung des Bildmaterials

Greenpeace hat die Videoaufnahmen der zerstörten Gas-Pipeline auswerten lassen: Ein Bericht mit Zustandsbeschreibung und sprengstoffphysikalischer Interpretation des Bildmaterials.

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Greenpeace hat die Videoaufnahmen der zerstörten Gas-Pipeline inzwischen auswerten lassen. Das aktuelle Gutachten eines Sprengstoff-Sachverständigen zeigt, dass die Nord-Stram-1-Pipeline sehr wahrscheinlich von außen gesprengt wurde. Der Gutachter vermutet, dass dafür eine Sprengstoffmasse von 200 bis 500 Kilo verwendet wurde.

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