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Installation eines abgestürzten Pkw, der einen EU-Flaggenmast beschädigt vor dem Brandenburger Tor
© Britta Radike / Greenpeace

Debatte um Klimaschutzgesetz: Volker Wissing auf Crashkurs

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Seit zwei Jahren lehnt Verkehrsminister Wissing alles ab, was CO2 spart. Doch andere Sektoren können nicht dauerhaft seine Klimabilanz retten. Daran ändert auch das neue Klimaschutzgesetz nichts. 

Das Timing war nicht überraschend. Wenige Tage, bevor der Expert:innenrat Klimafragen seinen Bericht zu den jüngsten CO2-Daten vorlegt und dabei wie in den Jahren zuvor den Nachzügler Verkehr rügt, zündete FDP-Verkehrsminister Volker Wissing seine Nebelkerze: Winken die Koalitionspartner nicht zackig das aufgeweichte Klimaschutzgesetz durch, würde es arg werden. Um die immer größer werdende CO2-Lücke im Verkehr zu schließen, würde es dann wohl auch zu Fahrverbote am Wochenende kommen müssen, behauptete der Minister. Die kalkulierte Aufregung, ganz ähnlich wie damals beim Heizungsgesetz in der „Bild“-Zeitung ventiliert, ließ nicht lange auf sich warten.

Wissings Versuch war so durchschaubar wie schäbig: Verwässern die Koalitionspartner nicht das Klimaschutzgesetz, bin ich wohl gezwungen, tageweise eure Autos stillzulegen. Schuld daran hatten für ihn natürlich: die Grünen. Dabei ist das Klimaschutzgesetz, das säumige Sektoren wie den Verkehr zu einem Sofortprogramm verpflichtet, der große Erfolg der damaligen SPD-Umweltministerin Svenja Schulze. Beschlossen wurde es 2019 in der Großen Koalition unter Angela Merkel. Und wer käme schon auf die natürlich völlig abwegige Idee, dass womöglich der amtierende Verkehrsminister Verantwortung dafür tragen könnte, die gesetzlich vorgegebenen CO2-Mengen im Verkehr einzuhalten ...? Tatsächlich hatte Wissing Erfolg mit seinem durchschaubaren Versuch: Wenige Stunden nach der Pressekonferenz des Expert:innenrats verkündete die Ampel eine Einigung beim überarbeiteten Klimaschutzgesetz.   

Projektion auf Reichstag "Stoppt das Klimaschmutzgesetz"

Das Klimaschutzgesetz war die größte klimapolitische Errungenschaft der SPD. Dann hat Olaf Scholz’ Regierung es brutal zurechtgestutzt. Heute wurde die Novelle im Bundestag beschlossen.

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Montage: Wissing vor Windrädern, darüber eine Ausrede

Ein Ministerium ist zu leiten, doch der CO2-Ausstoß in deinem Sektor will nicht sinken? Kein Problem – jetzt einfach unseren Ausreden-Generator nutzen. © Montage: Guillaume Bression/Greenpeace; Imago

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Ohne Klimafortschritt drohen europäische Strafen 

Auch wenn das neue Klimaschutzgesetz den Verkehrsminister aus der Verantwortung entlässt, den CO2-Ausstoß im Verkehr zu senken, nimmt die europäische Ebene ihn dennoch in die Pflicht. Hier gelten weiterhin für bestimmte Sektoren, darunter auch Verkehr, nationale CO2-Vorgaben. Weil Deutschland in diesen sogenannten non-ETS-Sektoren nicht auf Zielkurs liegt – das UBA kalkuliert die Verfehlung auf 126 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente – drohen empfindliche Strafen. 

Für die Überschreitung der EU-Ziele, die maßgeblich aus dem Verkehr rühren würde, müsste die Bundesrepublik Verschmutzungsrechte von anderen Mitgliedsstaaten kaufen. Dabei kämen Summen in Milliardenhöhe zustande. Senkt Deutschland seine Emissionen gerade im Verkehr nicht, könnten sowohl durch den Kauf von CO2-Zertifikaten als auch durch höhere Preise für Endverbraucher im ab 2027 geltenden ETS 2 hohe Kosten entstehen. 

Mobilität geht auch anders: Erfolgsbeispiel Niederlande

Wie es bei der Mobilität konstruktiver geht, zeigt ein Blick in die Niederlande. Als das Oberste Gericht die Regierung dort 2019 zu mehr Umweltschutz verurteilte, beschloss diese ein generelles Tempolimit von 100km/h auf Autobahnen. Was damals drastisch klang, ist heute akzeptiert. Überhaupt machen unsere Nachbarn im Verkehr vieles besser. Beim Radfahren schon seit langem. Auf Wegen, die kürzer als fünf Kilometer sind, liegt der Anteil des Radverkehrs in den Niederlanden etwa doppelt bis dreimal so hoch wie in Deutschland, Strecken zwischen 5 und 20 Kilometer werden dort sogar viermal häufiger per Rad zurückgelegt. Autofahrten spielen dagegen auf der Kurzstrecke eine deutlich geringere Rolle als hierzulande.

Auch bei der Besteuerung von Autos haben uns die Niederlande einiges voraus. Beim Kauf von großen spritschluckenden Neuwagen wird dort seit gut 20 Jahren eine Neuzulassungssteuer fällig, die einen spürbaren Effekt auf den Autobestand hat. Lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß von Neuwagen in den Niederlanden im Jahr 2001 mit 174g/km etwa so hoch wie in Deutschland (179g/km), so hat die Neuzulassungssteuer den Flottendurchschnitt inzwischen deutlich gesenkt. Während Neuwagen in Deutschland 2020 im Schnitt 114g CO2 pro Kilometer verursachten, waren es in den Niederlanden nur noch 88g.

Reformen im Mobilitätssektor dringend nötig

Ein Tempolimit und eine Neuzulassungssteuer sind nur zwei mögliche Maßnahmen, die Volker Wissing in den vergangenen zwei Jahren hätte ergreifen können, um die Klimabilanz im Verkehr zu verbessern. Es gäbe weitere: eine Reform der Dienstwagenbesteuerung etwa, eine Ende des Dieselprivilegs, eine angepasste Pendlerpauschale. Allesamt wären weit milder als Fahrverbote und würden den ewigen Nachzügler Verkehr beim Klimaschutz vorbringen.

Und das bleibt weiter nötig. Weil Wissing bislang keinerlei eigene Vorschläge zum Klimaschutz im Verkehr auf den Weg gebracht hat, droht dieser in den kommenden Jahren zum Treibhausgas-Quelle Nummer 1 in Deutschland zu werden. Auf Dauer kann die viel zu hohen Emissionen im Verkehr kein anderer Sektor ausgleichen. Über das Jahr 2030 hinaus würden dann tatsächlich drastische Maßnahmen bis hin zu Fahrverboten nötig.

Man sollte meinen, dass es das Ziel einer freiheitsliebenden Partei wie der FDP wäre, solche Einschränkungen zu verhindern. Dafür aber müssten Volker Wissing heute entsprechende Schritte einleiten. Gerade jedoch scheint er zu beschäftigt damit, seinen Koalitionspartner zu erpressen.

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