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Traktor mit Schild auf der Straße: "Ampel-Irrsinn nicht auf dem Rücken der Bauern".
©Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Es geht um mehr als Agrardiesel: Wohin die Proteste der Bäuer:innen führen

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Trecker rollen durchs Land – längst geht es nicht mehr nur um den Wegfall der Agrardiesel-Subvention. Als Reaktion auf die Proteste auch in anderen Ländern haben die EU und Landwirtschaftsminister Özdemir nun wichtige ökologische Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt gestrichen. Interview mit Martin Hofstetter von Greenpeace zu den Demos, den Maßnahmen und einer sinnvollen Umverteilung von Geldern.

Die Ampel-Spitzen hatten sich im Dezember 2023 darauf geeinigt, wie nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher im Bundeshaushalt 2024 gestopft werden sollen. Die beschlossene Streichung der Agrardiesel-Vergünstigung und der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Betriebe hat viele Landwirtinnen und Landwirte erzürnt - auch wenn sie kurze Zeit später in Teilen zurückgenommen wurde. Mittlerweile richtet sich der Protest auch gegen andere Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen. Im Interview teilt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter seine Gedanken zu den Protesten. Eine von Greenpeace beauftragte Studie rechnet zudem vor, wie die Politik Gelder im Agrarsektor umverteilen könnte, um so die Landwirtschaft nachhaltiger und sozial-gerechter zu gestalten.

Martin Hofstetter

Diplom-Agraringenieur Martin Hofstetter, Experte für Landwirtschaft bei Greenpeace

Greenpeace: Vergangene Woche haben Greenpeace-Aktive noch am Landwirtschaftsministerium für den Schutz von Insekten demonstriert. Doch nun hat Cem Özdemir (Die Grünen) entschieden, dass Deutschland dem Vorschlag der EU-Kommission folgt und auch hierzulande Landwirt:innen künftig nicht mehr vier Prozent ihrer Agrarflächen für die Natur als Rückzugsräume bereitstellen müssen.

Martin Hofstetter: Angesichts immer radikalerer Bauernproteste und Blockaden gegenüber Grünen Politikern zieht Cem Özdemir den falschen Schluss. Statt den bequemen Weg zu wählen und den Vorschlägen der Kommission zu folgen, hätte er eindeutige Kante für eine zukunftsfähige Landwirtschaft zeigen müssen. Ohne Not werden mit Özdemirs Segen in diesem Jahr wichtige Rückzugsräume für Arten vernichtet. Zugleich werden Steuergelder verschwendet, weil nun mit hohen Subventionen Landwirt:innen dazu animiert werden müssen, Brachflächen bereitstellen. Dass Özdemir die Vier-Prozent-Regel nun aussetzt, beschleunigt nicht nur das Artensterben, sondern ist auch ein fatales Zeichen an die Landwirtschaft: radikaler Protest und Einschüchterungsversuche werden belohnt.

Auch das Kanzleramt hat bei dem Ganzen eine sehr üble Rolle gespielt und enormen Druck auf das Landwirtschaftsministerium gemacht. Hintergrund ist: Der Deutsche Bauernverband hat dem Kanzler versprochen, dass sie auf ihren Protest gegen die Streichung beim Agrardiesel verzichten und die Bauerndemos einstellen, wenn im Gegenzug dafür die Brachenverpflichtung fällt.

Greenpeace: Auf diesen Brachflächen sollten Hecken, Bäume gepflanzt oder die Natur sich selbst überlassen werden – um dem dramatischen Artensterben entgegenzuwirken. Hat der Landwirtschaftsminister eine Idee, wie er die gestrichene Umweltschutzmaßnahme kompensieren will?

Martin Hofstetter: Ursprünglich sollte Geld von den Direktzahlungen, also den Geldern, welche die Landwirt:innen von der EU pauschal pro Hektar erhalten, gekürzt werden und stattdessen neue Ökoregelungen wie zum Beispiel eine Weideprämie finanziert werden. Doch gegen diesen Plan hat sich die FDP gestellt. 

Nun wird man Geld in der Größenordnung eines dreistelligen Millionenbetrages in die Hand nehmen müssen, um wenigstens einen Teil der Brachen über freiwillige Vereinbarungen mit Landwirt:innen zu retten. Im Gespräch sind 1.500 Euro je Hektar, das ist auf schlechten Standorten sehr lukrativ. In den Intensivregionen wird das kaum ausreichen, also dort, wo es kaum noch Artenvielfalt gibt und zum Beispiel wenig Hecken sind, weil dort mit Zuckerrüben und Weizen mehr Geld verdient werden kann. 

Greenpeace: Die EU hat andererseits aber auch im Februar das Renaturierungsgesetz verabschiedet - gegen den Willen von Bauernverbänden. Damit sollen Moore wiedervernässt, Flüsse in den natürlichen Zustand zurückgesetzt und Bäume gepflanzt werden. Es geht also nicht nur gegen die Natur. Lassen sich damit nicht auch die Streichungen auf EU-Ebene ausgleichen?

Martin Hofstetter: Es werden noch viele Jahre vergehen, bis das neue Renaturierungsgesetz national umgesetzt und wirksam wird. Und selbst dann hilft es ja nur auf einem kleinen Teil der Agrarflächen, die Natur wieder auf Vordermann zu bringen. Demgegenüber hat die aktuelle Debatte um die Brachflächen jetzt sofort ganz praktische Auswirkungen in allen Regionen. Das Schlimme an dem jetzigen Deal ist: Es wird nicht dabei bleiben. Die Kommission in Brüssel überlegt schon, die nächsten desaströsen Schritte noch vor den EU-Wahlen einzubringen. So droht das Verbot zu fallen, Grünland zu Ackerflächen umzubrechen. Das wäre nicht nur für das artenreiche Grünland und die damit verbundenen Insekten, Vögel etc. ein riesiges Problem, sondern würde auch noch jede Menge CO2 freisetzen. Und die Bauern haben “gelernt”: Mit lautstarken Treckerdemos können wir unsere Ziele erreichen.

Greenpeace: Die Landwirt:innen sorgen sich um ihre Zukunft. Hast du auch Verständnis für die Proteste?

Martin Hofstetter: Die erste Empörung auf die Kürzungen im Dezember finde ich insofern nachvollziehbar, weil der Beschluss über Nacht kam. Der damit verbundene Verzicht auf Steuersubventionen in Höhe von insgesamt fast einer Milliarde Euro pro Jahr hätte die betroffenen Betriebe ohne Vorwarnung getroffen. Vor allem aber: Andere klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg, Kilometerpauschale, steuerbefreite Flugreisen sollten nicht angetastet werden. Dies hat die Landwirte auf die Palme gebracht.

Umwelt- und klimaschädliche Subventionen zu streichen, ist jedoch richtig. Auch in der Landwirtschaft dürfen Praktiken, die Klimakrise und Artensterben verschärfen, nicht länger mit Steuergeldern gefördert werden – selbst wenn es sie seit Jahrzehnten gibt und quasi als Besitzstand wahrgenommen werden. Die amtierende Bundesregierung ebenso wie zuvor die Vorgängerregierungen haben es jedoch versäumt, rechtzeitig und konsequent anzukündigen, dass diese Subventionen systematisch abgebaut werden. 

Greenpeace: Die Ampel hat die Streichungen teilweise wieder zurückgenommen. So bleiben Fahrzeuge in der Land- und Forstwirtschaft weiterhin von der Kfz-Steuer ausgenommen und die Vergünstigung beim Agrardiesel soll nun schrittweise bis 2026 auslaufen. Doch die Proteste gehen weiter.

Martin Hofstetter: Das klimabedingte Hochwasser überflutete Anfang des Jahres Äcker und Weiden in Deutschland und der Deutsche Bauernverband wollte weiter gegen Klimaschutz protestieren - das ist für mich nicht nachvollziehbar. Dem Verband scheint es weniger um die Sache zu gehen, sondern ums Prinzip. Denn gerade der massive Einsatz fossiler Kraftstoffe ist und bleibt klimaschädlich. Daher ist es gut, dass dort die Subventionen auslaufen. Natürlich muss das aber konsequent auch überall passieren - nicht nur in der Landwirtschaft. 

Greenpeace: Welche Folgen hat die Streichung der Agrardiesel-Subvention für die Bäuerinnen und Bauern?

Martin Hofstetter: Angesichts milliardenschwerer Subventionen für die Landwirtschaft ist der geplante Wegfall der Dieselsubvention für die meisten Betriebe gut zu verkraften. Die Landwirtschaft hat bisher überproportional viele Steuergelder erhalten, deshalb ist sie jetzt entsprechend mehr betroffen. In keinem Wirtschaftssektor werden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung und der Zahl der Arbeitsplätze so hohe Subventionen verteilt wie in der Land- und Forstwirtschaft. Doch auch sie muss ihren Teil zum Erreichen der Klimaziele beitragen. Dass die Subventionen nun erst nach und nach gestaffelt abgebaut werden, gibt den Höfen zudem Zeit, Maschinen effizienter einzusetzen. Es ist auch ein Signal an die Industrie, Innovationen zu entwickeln wie elektronisch betriebene Antriebssysteme. Erste E-Trecker sind bereits im Einsatz.

Greenpeace: Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, hatte sich dahingehend geäußert, dass die Landwirtschaft so keine Zukunft habe. 

Martin Hofstetter: Umgerechnet auf alle Agrarsubventionen sollen mit der Streichung am Ende, also im Jahr 2026, etwa fünf Prozent der aktuellen staatlichen Unterstützung wegfallen – das sind 25 Euro pro Hektar und Jahr. Das sind Peanuts gegenüber den Einkommen, die pro Hektar erzielt werden. Es gibt Regionen in Deutschland, in denen über 1000 Euro je Hektar an Pachten gezahlt werden und die gleiche Fläche 100.000 Euro und mehr kostet. 

Anders als der Bauernverband behauptet, wird das Ende der Dieselsubventionen weder ein massives Höfesterben noch das Ende der Landwirtschaft in Deutschland zur Folge haben. Im Gegenteil, es wird die Erzeugung hierzulande letztendlich klimafreundlicher und damit auch zukunftsfähiger machen. Ja, in Einzelfällen kommt es auf Betrieben auf jeden Euro an, also bei kleinen Höfen. Das aber liegt vor allem an einer verfehlten Agrarpolitik. In Form der EU-Agrarsubventionen wäre mit fünf Milliarden Euro ausreichend Geld vorhanden, um dort gezielt die sozialen Folgen einer solchen Streichung auszugleichen. Man muss Gelder nur endlich umverteilen und nicht nur nach Flächengröße verteilen. Im Moment bekommen diejenigen viel, die viel Land bewirtschaften – das ist extrem ungerecht. 

Greenpeace: Die Greenpeace-Studie schlägt vor, Gelder anders zu verteilen. Wie zum Beispiel?

Martin Hofstetter: Die Studie zeigt, dass jährlich insgesamt sechs Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen in die Landwirtschaft bzw. Lebensmittelerzeugung fließen. Zusätzlich zu den Fördergeldern aus dem Bundeshaushalt kommen weitere sechs Milliarden Euro aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU hinzu. Diese Subventionen müssen bis 2030 kontinuierlich und vollständig  abgeschmolzen werden. Stattdessen sollte eine Bodennutzung gefördert werden, die kontinuierlich und dauerhaft klimaschädlichen Kohlenstoff einspeichert zum Beispiel über wiedervernässte Moore und Agroforstsysteme. Zudem brauchen wir eine Pestizidabgabe, um den viel zu hohen Einsatz an Pestiziden zu reduzieren und gleichzeitig alternative ökologische Pflanzenschutzmaßnahmen (wie sich abwechselnde und damit gesunde Fruchtfolgen) unterstützen zu können. 

Greenpeace: Die Proteste der Landwirt:innen bekommen medial viel Aufmerksamkeit. Wie sollte sich die Ampelkoalition nun verhalten?

Martin Hofstetter: Die Bundesregierung darf nicht einknicken, wenn besonders laute Demonstrierende Autobahnen und Krankenhäuser blockieren, mit Radikalen und Rechtsextremisten zusammenarbeiten, Politiker:innen im privaten Umfeld belagern und Falschinformationen verbreiten. Dass sich auch SPD-Ministerpräsident:innen selbst gegen den abgemilderten Beschluss der Ampel stellen, wird diese Kräfte freuen. Auch der Bauernverband muss sich ernsthaft fragen lassen, welche Geister er da ruft und wem er da in die Hände spielt. Eine konstruktive Zusammenarbeit oder gar ein weiterer Zukunftsdialog ist damit kaum noch möglich.

Letztendlich müssen wir insgesamt zu einer gerechten Lastenverteilung in der Gesellschaft kommen. Die Einnahmen aus CO2-Abgaben – für Brennstoffe, Diesel, Gas oder zukünftig auch Fleisch – müssen als Klimageld an die Bürger:innen zurückgezahlt werden, um vor allem bei Menschen mit geringen Einkünften für einen Ausgleich zu sorgen. Und zur Finanzierung und Förderung von Investitionen in den Klimaschutz müssen große Vermögen über eine “Carbon Wealth Tax” besteuert werden, die in der fossilen Wirtschaft gewachsen sind.

(Das Interview wurde am 18. Dezember 2023 erstveröffentlicht und am 8. Januar 2024 aktualisiert. Die ersten drei Fragen haben wir am 29. Februar ergänzt.)

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