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Greenpeace Messestand  zum Thema "Patente auf Leben" während des 1. oekumenischen Kirchentages in Berlin (29.05.03 bis 01.06.2003).
Greenpeace/Dietmar Gust

Interview mit Christoph Then

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Das Deutsche Patentamt hatte Oliver Brüstle 1999 ein Patent für die Züchtung menschlicher Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen zugesprochen. Der deutsche Forscher wollte das durch das schottische Klonschaf Dolly bekannt gewordene Klonverfahren beim Menschen anwenden. Seit 2004 klagt Greenpeace aus ethischen Gründen gegen das Patent. 2006 hat das Bundespatentgericht besonders umstrittene Passagen des Patentes widerrufen.

Bei der Anhörung am 12. Januar geht es um die Rechtmäßigkeit des Brüstle-Patentes und die ethischen Grenzen im Europäischen Patentrecht. Christoph Then, Berater von Greenpeace, vertritt die Umweltorganisation in der Verhandlung.

Redaktion: Um was geht es bei dem Patent genau?

Christoph Then: Es geht um die Züchtung von Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen. Dafür sollen nach dem Wortlaut des Patentes unter anderem auch menschliche Embryonen geklont und dann für die Gewinnung von Stammzellen genutzt, das heißt zerstört werden.

Redaktion: Warum klagt Greenpeace gegen das Patent?

Christoph Then: Greenpeace geht es um eine Klärung und Verdeutlichung der ethischen Grenzen im Patentrecht. Der Patentinhaber fordert im Verfahren vor dem EuGH, dass menschliche Embryonen bis zum 14. Lebenstag für die kommerzielle Nutzung freigegeben werden sollen. Das Europäische Parlament wollte aber mit der EU-Patentrichtlinie von 1998 genau das Gegenteil erreichen: Die industrielle Nutzung menschlicher Embryonen darf nicht patentiert werden, der menschliche Körper soll in allen Phasen seiner Entwicklung von der Patentierung ausgenommen sein.

Allerdings sind die Verbote zum Teil etwas unklar formuliert. Greenpeace will dazu beitragen, dass die Hintertürchen im Patentrecht nicht missbraucht werden, um in Europa eine regelrechte Embryonenindustrie aufzubauen. Greenpeace hat in diesem Zusammenhang schon mehrere Verfahren gewonnen und hofft, dass der EuGH diesen Fall nutzt, um die ethischen Grenzen klarer zu machen.

Redaktion: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Entscheidung über die Patentierbarkeit von embryonalen Stammzellen im November 2009 vertagt. Die Karlsruher Richter wollen zunächst eine Vorabentscheidung des EuGH über die Auslegung der europäischen Biopatentrichtlinie einholen. Welche Einschätzung kannst du zur anstehenden Verhandlung in Luxemburg geben?

Christoph Then: Wahrscheinlich wird es einen Kompromiss geben - auch das Bundespatentgericht hat das Patent ja nicht vollständig widerrufen. Das halte ich auch nicht für so entscheidend. Wichtig ist vor allem, dass der Patentinhaber sich mit seiner Forderung nach einer generellen Freigabe der kommerziellen Nutzung menschlicher Embryonen nicht durchsetzt.

Im Ergebnis wird also wichtig sein, wie der EuGH die ethischen Grenzen der EU Patentrichtlinie auslegen wird. Der Streit um dieses spezielle Patent ist nur ein Mittel, um die Grenzen im Patentrecht zu klären. Möglicherweise wird man hinterher auch weiteren gesetzlichen Klärungsbedarf haben, das heißt, die Verbote in den Gesetzen müssen nachgebessert werden.

Redaktion: Stammzellen sind Zellen, die sich noch in jegliche Art von Zelltyp entwickeln können. Seit ungefähr zehn Jahren weckt die Stammzellenforschung Hoffnungen, Querschnittslähmungen, Parkinson oder multiple Sklerose zu heilen oder zumindest zu lindern. Die bisherigen Ergebnisse sind ernüchternd. Wissenschaftler wie Oliver Brüstle wollen sich aber mit derartigen Patenten absichern, falls es doch zu medizinischen Durchbrüchen kommen sollte. Was hältst du von dem Argument Brüstles, dass Forschung durch Patentschutz erst finanzierbar wird?

Christoph Then: Es ist wichtig, dass wir bei allen wirtschaftlichen Interessen auch die ethischen Grenzen beachten. Ich denke, das Europäische Parlament sieht hier den richtigen Weg vor: dass es Patente nur dann geben kann, wenn die Menschenwürde und der Schutz menschlichen Lebens gewahrt bleiben. Die Forschung an menschlichen Embryonen ist deswegen nicht unbedingt verboten. Aber durch die Weichenstellung im Patentrecht wird ein wirtschaftlicher Anreiz geschaffen, andere Verfahren zu entwickeln, die ethisch weniger bedenklich sind. Tatsächlich wurden ja inzwischen verschiedene Alternativen zur Zerstörung von Embryonen gefunden.

{image_r}Redaktion: In Deutschland erteilte Patente dürften keinen kommerziellen Anreiz zur Zerstörung menschlicher Embryonen bieten. Auch das europäische Patentrecht untersagt eine Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken. Warum konnte dieses Klon-Patent trotzdem erteilt werden?

Christoph Then: Die Patentämter tendieren dazu, Verbote eng auszulegen und im Zweifel Patente eher zu erteilen. In der Praxis führt das dazu, dass die Verbote im Patentrecht oft komplett umgangen werden. Hier hat aber gerade im Bereich der Stammzellpatente in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden. Es gibt eine positive Entwicklung, an der Greenpeace großen Anteil hat: Das Europäische Patentamt erteilt inzwischen keine Patente mehr, die eine Zerstörung menschlicher Embryonen voraussetzen.

Redaktion: Die Biopatentrichtlinie der EU von 1998 ist umstritten. Das Europäische Patentamt legt sie immer wieder so aus, dass menschliche Gene, aber auch ganz normale Tier- oder Pflanzensorten patentiert werden können. Aktuell ist immer noch in der Schwebe, ob ein Patent auf Brokkoli widerrufen wird. Welche Möglichkeiten und welche Verbote müsste eine zeitgemäße EU-Patentgesetzgebung aufzeigen?

Christoph Then: Die Patentierung menschlicher Gene wird möglicherweise sogar in den USA komplett gestoppt. Man sieht also, dass da viel in Bewegung ist und ein Umdenken stattfindet. Die Patentierung von Pflanzen und Tieren wird von großen Konzernen vorangetrieben, die die Kontrolle über den Saatgutmarkt und die Lebensmittelherstellung übernehmen wollen. Das widerspricht den Interessen des Allgemeinwohls und muss per Gesetz verboten werden. Sonst droht der Ausverkauf der allgemeinen Lebensgrundlagen.

Redaktion: Frau Aigner hat sich erst im Dezember für eine Änderung der europäischen Patentgesetze ausgesprochen. Gibt es in auch in anderen EU-Ländern Widerstand gegen die Patentierung von Genen, Pflanzen und Tieren?

Christoph Then: Verschiedene EU-Länder waren mit der EU-Richtlinie von Anfang an so unzufrieden, dass sie sogar vor dem EuGH geklagt haben. Wenn Deutschland in der EU offensiv für eine Änderung des Patentrechts eintritt, bestehen gute Chancen, dass es zu einer Revision kommt.

Redaktion: Wie geht es eigentlich Dolly?

Christoph Then: Naja, Dolly ist tot... Neulich hab ich gelesen, dass man jetzt aus ihren Zellen wieder neue Schafklone gemacht hat. Es gibt auch zunehmend Bestrebungen, Nutztiere mit Gentechnik zu manipulieren. Ich denke, der Nutzen liegt da bei den Firmen, die zum Beispiel patentierte Turbo-Lachse verkaufen wollen. Die Verbraucher lehnen das aus gutem Grund ab: Die Verfahren führen in vielen Fällen zu kranken oder nicht lebensfähigen Tieren.

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