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Hochspannungsleitung und Strommast vor dem Atomkraftwerk ( AKW ) Isar 1 der Bayernwerke.
Christian Lehsten / argum / Greenpeace

Das Märchen von der Stromlücke

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Dagegen wehren sich jedoch die großen Stromkonzerne, die ihre auf Atom- und Kohlekraft fußende Vorherrschaft im deutschen Strommarkt gefährdet sehen. Unterstützt werden die Konzerne von Teilen der Politik, die nicht nur historisch mit der Energiewirtschaft eng verflochten ist, sondern die auch neue Profilierungsfelder im Wahlkampf sucht. Und der Wahlkampf hat bei der Energiepolitik längst begonnen.

Die Auseinandersetzung wird dabei immer unsachlicher und mit Hilfe riesiger Kampagnen geführt. Denn es geht um viel für die Stromkonzerne: In der nächsten Wahl­periode stehen nach Atomgesetz sieben Atomkraftwerke zur Abschaltung an. Gleichzeitig wollen sie ein riesiges Investi­tionsprogramm für neue Kohlekraftwerke in Deutschland verwirklichen.

Mit großen Kampagnen pro Atomenergie und Kohlekraft wird dabei eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit betrieben: Atomkraft wird zum Retter des Klimas, zum Garanten für billige Strompreise und eine sichere Stromversorgung erklärt, obwohl dies sachlich betrachtet, jeder Grundlage entbehrt. Und dieselben Betreiber, die mit der Atomkraft angeblich das Klima schützen wollen, starten ungeniert ein massives Ausbauprogramm von klimaschädlichen Kohlekraftwerken. Den Umweltschützern wird anschließend Fundamentalismus vorgeworfen, weil man nicht gleichzeitig gegen Atom und Kohle (alles) sein könne. Dabei kann von einem gleichzeitigen Ausstieg überhaupt keine Rede sein. Im Greenpeace Energiekonzept Klimaschutz - Plan B wird aufgezeigt, wie Deutschland bis 2015 aus der Atomenergie aussteigen kann. Der hohe Anteil der klimaschädlichen Kohle am Energiemix wird bis 2020 etwa halbiert. Dies bedeutet, dass auf den Bau neuer Kohlekraftwerke verzichtet werden muss, bestehende Anlagen aber sehr wohl noch weiter betrieben werden können.

Angesichts der Irreführungen in der energiepolitischen Debatte überrascht es nicht, dass die Energiewirtschaft nun plötzlich auch noch massive Engpässe in der Stromversorgung ausmacht, um erneut AKW-Laufzeitverlängerungen und neue Kohlekraftwerke zu rechtfertigen. Überraschender ist allerdings, dass sich die Deutsche Energie Agentur (Dena) als teils staatliche Agentur mit der Behauptung einer kurz bevorstehenden Stromlücke zum Sprachrohr dieser Konzern­interessen macht.

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Starke Behauptungen der Dena

Ausgangspunkt der Debatte über eine Stromlücke ist die viel beachtete Studie der Deutschen Energie Agentur (Dena) aus dem Frühjahr 2008 mit dem Titel Kurzanalyse Kraftwerks- und Netzplanung in Deutschland bis 2020 (2030).

Darin rechnet die Agentur vor, dass in Deutschland bereits ab 2012 nicht mehr genügend gesicherte Kraftwerksleistung zur Verfügung steht, um die Jahreshöchstlast beim Strombedarf zu decken. Ab 2015 soll die Deckungslücke etwa 2.800 Megawatt (oder 3-4 Großkraftwerke1) betragen. Bis 2020 werde die Deckungslücke sogar auf etwa 12.000 Megawatt anwachsen, was der Kapazität von 15 Großkraftwerken entspricht.

Anfang August hat Dena-Chef Stephan Kohler in einem Interview mit der Wirtschaftswoche die Warnung erneuert und verschärft, indem er behauptete, dass die Stromlücke weiter zunehme, wenn Kohlekraftwerke wie in Hamburg-Moorburg, Mainz-Wiesbaden oder Staudinger nicht gebaut werden. Dann würden bei der Stromversorgung im Jahre 2020 sogar bis zu 15.000 Megawatt Leistung (oder 18-19 Kraftwerke) fehlen.

Diese Aussage steht nicht nur im Widerspruch zu einer Vielzahl von Studien, sie wurde mit dem Regierungsbericht zur Versorgungssicherheit, den Bundeswirtschaftsminister Glos am 11. August 2008 vorgestellt hat, auch amtlich widerlegt.

Laut diesem Gutachten ist der Bau von 11.000 der bis 2015 benötigten 15.000 Megawatt (MW) zusätzlicher Kraftwerksleistung bereits heute gesichert. Auch für die Realisierung weiterer 9.000 MW Kraftwerkskapazitäten bis 2020 sehen die Experten keine grundsätzlichen Probleme, zumal statt der erforderlichen 20.000 MW bis 2020 sogar 30.000 MW in Planung sind. Die Realisierung eines Teils dieser Projekte sei durch Proteste allerdings unsicher. Gleichwohl ergibt sich dadurch kein Versorgungsengpass, da die Realisierungswahrscheinlichkeit von alternativen Gaskraftwerken zunehme, ältere Kraftwerke länger laufen könnten und auch eine hinreichend große Reserve an Kraftwerkskapazitäten besteht. Fazit der Gutachter: Die Stromversorgung in Deutschland ist bis 2020 zu jeder Zeit sicher.

Greenpeace überprüft die Dena-Studie

Greenpeace hat das Aachener Ingenieurbüro EUtech Energie & Management beauftragt, die Dena-Studie auf Ihre Plausibilität hin zu prüfen. Dafür wurden die von der Dena vorgenommenen Prämissen untersucht und mit anderen Studien verglichen.

EUtech kommt zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl der in der Dena-Studie verwendeten Annahmen und die daraus resultierenden Schlüsse einer Überprüfung nicht Stand halten.

Die Dena-Annahmen zum Strombedarf, zu den Laufzeiten von Kraftwerken, sowie zur gesicherten Leistung der Erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sind nicht nachvollziehbar. Die Herangehensweise führt im Jahre 2020 zu einer um 22.000 bis 27.000 Megawatt verringerten Leistung. Dies entspricht etwa 30 Großkraftwerken.

Gleichzeitig wurde in einer eigenen Berechnung durch EUtech belegt, dass die in der Dena-Studie bis 2020 postulierte Deckungslücke nicht zu erwarten ist. EUtech rechnet vor, dass bei Einhaltung des von der Bundesregierung formulierten Energieeffizienz-Ziels in 2020 ganz im Gegenteil mit Überkapazitäten in einer Größenordnung von rund 9.000 Megawatt gerechnet werden muss.

Kritik an der Dena-Studie im Detail

1. Dena-Chef Kohler postuliert Stromlücken, die es nach seiner Studie faktisch nicht gibt

Die von der Dena postulierte Stromlücke basiert auf der Annahme, dass die gesicherte Leistung in 2015 (nach den Randbedingungen der Dena) lediglich 3,9 Prozent statt der erforderlichen 5 Prozent über der Lastspitze diesen Jahres liegt6. Es handelt sich damit um eine leicht verminderte Reserve, nicht aber schon um eine tatsächliche Deckungslücke!

2. Strombedarf wird hoch gerechnet

Selbst in dem ehrgeizigsten der drei Dena-Szenarien wird als Randbedingung lediglich von einer Senkung des Stromverbrauchs um 6,7 Prozent bis 2020 ausgegangen. Dies widerspricht nicht nur dem großem Potenzial zur Stromeffizienz, sondern auch dem politischen Ziel der Bundesregierung, eine Senkung des Strombedarfes um 11 Prozent bis 2020 zu erreichen.

Diese Annahme der Dena führt in 2020 zu einem um ca. 4.000 MW höheren Bedarf an gesicherter Kraftwerksleistung (5 Großkraftwerke).

3. Es werden kürzere Laufzeiten von Bestandskraftwerken angenommen

Die Dena Studie geht bei bestehenden Braunkohlekraftwerken von einer durchschnittlichen Laufzeit von 45 Jahren aus. Die Praxis zeigt allerdings, dass die Kraftwerke häufig ertüchtigt und weit über diese Lebensdauer hinaus betrieben werden. Daher gehen EUtech und andere Experten von einer durchschnittlichen Laufzeit dieser Kraftwerke von 50 Jahren aus.

Diese Annahme in der Dena-Studie führt im Jahr 2020 zu einer um ca. 8.000 MW geringeren gesicherten Leistung im bestehenden Kraftwerkspark (10 Großkraftwerke).

4. Gesicherte Leistung der Erneuerbaren Energien wird klein gerechnet

Während die Annahmen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien bei der installierten Leistung nachzuvollziehen sind, gilt dies für die Berechnung der daraus resultierenden gesicherten Kraftwerksleistung nicht. Hier werden für Wasserkraft, Fotovoltaik und vor allem für Windenergie eine extrem niedrige Verfügbarkeit zu Grunde gelegt, die um bis zu 100 Prozent von anderen Studien abweicht.

Darüber hinaus bleibt auch nach Nachfrage bei der Dena unklar, inwieweit die gesicherte Leistung der bestehenden EEG-Anlagen im Umfang von 5.000 MW bilanziert wurden.

Die Herangehensweise der Dena bei den Erneuerbaren Energien lässt darauf schließen, dass im Jahr 2020 eine um mindestens 5.000 MW zu geringe gesicherte Leistung berücksichtigt wurde (6 Großkraftwerke).

5. Gesicherte Leistung der KWK wird klein gerechnet

Während der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung in Anlehnung an das Ziel der Bundesregierung (25% bis 2020) grundsätzlich nachvollziehbar ist, wurde die daraus resultierende gesicherte Leistung wiederum extrem niedrig kalkuliert. Während andere Studien die gesicherte Leistung der KWK bei diesem Ausbauziel auf 10.000 (Ziesing/Matthes 2008) bzw. 24.000 MW (Umweltbundesamt 2008) beziffern, geht die Dena-Studie von lediglich 5.700 MW aus. Die Dena unterstellt somit eine äußerst geringe Auslastung von KWK-Anlagen. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil neue KWK-Anlagen nur bei hoher Auslastung wirtschaftlich zu betreiben sein werden.

Diese Annahme in der Dena-Studie führt im Jahr 2020 zu einem um 5.000 - 10.000 MW geringeren Beitrag der KWK zur gesicherten Leistung im Kraftwerkspark (10 Kraftwerke).

Was folgt daraus ?

1. Die Behauptung der Deutschen Energie Agentur (Dena), Deutschland stehe kurz vor einem Versorgungsengpass mit Strom, ist wissenschaftlich nicht haltbar und mittlerweile auch offiziell von der Bundesregierung widerlegt.

2. Eine Stromlücke wäre nur dann zu befürchten, wenn es gar keine Investi­tionen in die Stromversorgung gäbe. Dies ist aber nicht der Fall, da einerseits mit Gaskraftwerken (KWK), Erneuerbaren Energien und Energie-Einspartechnologien hinreichend Investitionsmöglichkeiten bestehen. Und andererseits bereits neue fossile Kraftwerke mit einer Kapazität von über 11.000 Megawatt Leistung in Bau sind.

3. Die Überprüfung der Dena-Prognose zeigt, es wurden zentrale Annahmen einseitig und damit Interessen geleitet definiert und eine Stromlücke konstruiert. Die halb staatliche Behörde macht sich mit der von Stromkonzernen finanzierten Studie zum Sprachrohr der Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken.

Greenpeace fordert:

  1. Die Deutsche Energie Agentur (Dena) muss ihre Aussagen zur Stromlücke richtig stellen und die Panikmache bei der Stromversorgung beenden.
  2. Die Politiker müssen die widerlegte Behauptung einer Stromlücke und damit die Instrumentalisierung von Ängsten im Wahlkampf unterlassen.
  3. Es muss geklärt werden, warum sich die staatlich finanzierte Dena (wie bei der Energieeffizienz und beim Klimaschutz) öffentlich von Zielen der Bundesregierung distanziert.
  4. Es muss ebenso geklärt werden, für welche energiepolitischen Ziele die Dena aus Steuermitteln finanziert wird.
  5. Der eingeschlagene Kurs mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Kraft-Wärme-Kopplung und der Reduzierung des Energieverbrauchs muss fortgesetzt werden. Es darf keinen Rückfall ins Zeitalter von Atom- und Kohlekraft geben.

Das Dokument MIT QUELLENANGABEN finden sie angehängt als PDF.

Lesetipps:

  • Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland, Greenpeace-Studie von EUtech, September 2008.
  • Klimaschutz Plan B, Greenpeace Studie von EUtech, März 2007.
  • Monitoring - Bericht zur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Elektrizität, Gutachten des Bundeswirtschaftsministerium, August 2008.
Datum

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