- Nachricht
Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert
Greenpeace Online: Stefan, welches sind die größten umweltpolitischen Herausforderungen 2004?
Stefan Krug: Auf nationaler Ebene werden Energiepolitik und Grüne Gentechnik politisch für Wirbel sorgen. International geht es unter anderem um besseren Schutz vor Chemikalien in der EU. Und natürlich um die bange Frage: Wird Russland das Kyoto-Protokoll platzen lassen?
Fangen wir bei der Energiepolitik an: Die heftigen Debatten des Jahres 2003 um Kohle oder Windkraft konnten den Anschein erwecken, als ginge es auf dem Energiesektor um Sein oder Nicht-Sein. Was steckt dahinter?
Deutschland steht energiepolitisch gesehen vor einer Grundsatz-Entscheidung. Rund 90 Prozent unseres Stroms werden in Kohle- und Atomkraftwerken erzeugt. In den nächsten zehn Jahren müssen rund 40 Prozent dieser Kraftwerke aus Altersgründen oder wegen des Atomausstiegs ersetzt werden. Die Frage ist nur, wodurch? Durch klimaschädliche Kohle oder durch klimafreundlichere Gaskraftwerke mit Strom- und Heizwärme-Erzeugung und regenerative Energien? Jetzt entscheidet sich, welche Kraftwerke in den nächsten Jahrzehnten bei uns laufen. Und da gibt es unterschiedliche Interessen und Positionen in der Wirtschaft und innerhalb der Bundesregierung, um die hart gekämpft wird.
Greenpeace Online: Was ist dabei für 2004 konkret zu erwarten?
Stefan Krug: Die Bundesregierung wird zum einen das Erneuerbare Energiengesetz (EEG) verabschieden, zum anderen ein Gesetz über den Emissionshandel. Und sie muss neu definieren, wie es mit dem Klimaschutz und der Energiepolitik in den nächsten Jahren weitergehen soll.
Das EEG ist der Garant dafür, dass erneuerbare Energien auch künftig finanziell gefördert werden, um überhaupt eine Marktchance gegen Kohle und Atom zu haben. Insofern sind wir trotz einiger Mängel mit der jetzt beschlossenen Neufassung des EEG zufrieden. Bei der Frage, welche Kraftwerke in den nächsten Jahren gebaut werden, spielt vor allem der Emissionshandel eine große Rolle.
Greenpeace Online: Bleiben wir noch kurz beim EEG, um das die Minister Clement und Trittin ja heftig gestritten haben. Welche Marke setzt das EEG?
Stefan Krug: Trotz aller Unterstützung dieses Gesetzes dürfen wir nie vergessen, dass der Anteil der Regenerativen an der Stromerzeugung in Deutschland erst bei 10 Prozent liegt. Die Bundesregierung will diesen Anteil unter anderem mittels des EEG bis 2020 verdoppeln. Anders gesagt: Wenn dieser als ehrgeizig eingestufte Plan gelingt, werden in 16 Jahren noch immer 80 Prozent unseres Stromes aus fossilen Kraftwerken und Atommeilern kommen!
Die Regenerativen fristen noch immer ein Randdasein, weil Politik und Unternehmen nicht bereit zu einer echten Energiewende in Richtung Erneuerbare sind. Stattdessen sollen bis 2012 zum Beispiel 16 Milliarden Euro in die Subventionierung der klimaschädlichen deutschen Steinkohle gepumpt werden.
Und: 60 Prozent unserer Forschungsgelder fließen in die Atomkraft, davon 25 Prozent in die hochriskante Fusionstechnik, die seit 50 Jahren den Durchbruch verspricht und ihn auch in den kommenden 50 Jahren nicht schaffen wird. Zugleich werden die Forschungsgelder für regenerative Energien gekürzt! Von einer wirklichen Energiewende sind wir also trotz EEG und Emissionshandel noch weit entfernt.
Greenpeace Online: Die Weichenstellung auf dem Energiesektor ist von herausragender Bedeutung für den Klimaschutz. Zur Klimaschutzpolitik gehört die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen. Dazu wird es 2004 ein wichtiges neues Gesetz geben - das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG). Was bedeutet das?
Stefan Krug: Klimaschutz, Neubau von Kraftwerken und Emissionshandel sind tatsächlich ein Paket. Deutschland muss laut Kyoto-Protokoll den Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) zwischen 2008 und 2012 um 21 Prozent verringern. Der nächste Schritt wären dann minus 40 Prozent bis 2020, doch Industrie und Bundeswirtschaftsminister wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, neue Klimaschutzziele festzuschreiben.
Damit sich CO2-Einsparung lohnt, soll der Emissionshandel eingeführt werden. Das heißt: Es wird eine Gesamtmenge CO2 als Obergrenze festgelegt. Die kann nicht erhöht werden, sondern wird im Gegenteil kontinuierlich gesenkt. Jedem Unternehmen wird von diesem CO2-Kuchen ein bestimmtes Stück zugestanden. Unternehmen, die energieeffizienter produzieren und damit unter ihrer CO2-Menge bleiben, können die eingesparte Menge dann an Unternehmen verkaufen, die noch über der ihnen erlaubten Menge liegen. So bekommt CO2-Sparen einen starken wirtschaftlichen Anreiz. Die EU hat beschlossen, den Handel zunächst nur für das Treibhausgas CO2 zu starten, und zwar ab 1. Januar 2005. Diese Richtlinie muss die Bundesregierung nächstes Jahr in einem nationalen Gesetz umsetzen.
Greenpeace Online: Eine weitere Neuerung erwartet uns im Juli 2004: die Regulierungsbehörde für den liberalisierten Strommarkt. Welche Aufgabe hat diese Behörde zu erfüllen?
Stefan Krug: Nach der Öffnung des Strommarktes haben die großen Anbieter bei teils neuer Unternehmens-Zusammensetzung ihre Monopole halten können. Unter anderem weil sie die Stromnetze und die Verteilung kontrollieren. Sie diktieren undurchsichtige Preise für die Netzdurchleitung und bieten zudem Strom zu Dumping-Preisen an.
Damit können die kleinen Anbieter nicht konkurrieren. Deshalb soll eine Regulierungsbehörde für faire Bedingungen sorgen. Das hätte man schon gleich zu Beginn machen sollen, wie wir es auch immer gefordert haben. Diskriminierungen müssen abgebaut und Kosten transparent gemacht werden. Es muss Schluss sein mit der Sabotage des neuen Strommarktes durch die alten Monopolunternehmen.
Greenpeace Online: Wenig zu hören ist derzeit von der Ökosteuer. Was ist hier 2004 zu erwarten?
Stefan Krug: Schwer zu sagen. Wahrscheinlich bleibt alles beim jetzigen Stand. Die Ökosteuer ist ja seit Januar 2003 eingefroren. Das heißt, es gibt - leider - keine weiteren Erhöhungen der Energiepreise, die ökologisch wichtig wären und sich auch ökonomisch rechnen könnten. Und dabei wird es angesichts der Unwilligkeit des Kanzlers und der rot-grünen Regierung 2004 wohl auch bleiben.
Die Ökosteuer ist leider wenig populär, weil sie schlecht erklärt und unzureichend umgesetzt wurde. Dabei ist der Grundgedanke bestechend und richtig. Die Mehrkosten für Energie sollten zu geringeren Belastungen bei den Lohnnebenkosten führen: Das, was man an der Zapfsäule oder beim Strom mehr zahlt, wird einem an anderer Stelle, und zwar beim Beitrag zur Rentenversicherung, über Beitragssenkung wieder erstattet.
Dass dieses Instrument nicht richtig greift, liegt nicht an der Steuer selbst, sondern an ihrer inkonsequenten Durchführung. Die meisten Verbraucher denken immer noch, dass eine "Ökosteuer" doch zur Finanzierung von Ökoprojekten gedacht sei. Sie können nicht einsehen, was die Rente damit zu tun haben soll. Die Regierung hat aber nicht nur kommunikativ versagt, sondern sie hat die Ökosteuer auch mit zu vielen Ausnahmen gespickt. Wenn man bedenkt, dass die Brennstoffe Kohle und Uran von der Ökosteuer befreit sind, Ökostrom dagegen steuerpflichtig ist, dann versteht das doch keiner mehr.
Den zweiten Teil des Gesprächs können Sie am Dienstag nachlesen.