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Jürgen Knirsch, Greenpeace-Experte für nachhaltigen Konsum, Februar 2011.
Andreas Schoelzel / Greenpeace

Weltgipfel Rio+20

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20 Jahre ist es her, dass sich in Rio Staaten aus der ganzen Welt auf Ziele für eine nachhaltigere Entwicklung und mehr Klimaschutz geeinigt haben. Im Juni treffen sich die Mächtigen erneut in Rio, um über die Zukunft unseres Planeten zu entscheiden. Doch was hat sich seit Rio eigentlich getan?

Diese Frage stellen sich auch die Teilnehmende des globalisierungskritischen Kongresses McPlanet, der im April stattfindet. Jürgen Knirsch, Greenpeace-Experte für nachhaltigen Konsum, wird beim Kongress dabei sein und hat die Entwicklungen der letzten Jahre beobachtet.

Greenpeace: Der diesjährige McPlanet-Kongress findet im Kontext des UN-Erdgipfels Rio+20 statt. Warum dieses Thema?

Jürgen Knirsch: Bei Rio+20 stehen zwei entscheidende Punkte auf der Tagesordnung. Das ist einmal die Frage: Kann es grünes Wachstum mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung geben oder nicht? Und der zweite ist: Ist die UN-Struktur noch akkurat, um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten? Beides sind wichtige Themen - deshalb hat McPlanet sie mit in den Vordergrund des Kongresses gestellt.

Greenpeace: Welche großen Beschlüsse wurden in Rio 1992 gefasst?

Jürgen Knirsch: Rio 1992 gilt als die Geburtsstunde von Konventionen und Erklärungen. Die Klimarahmenkonvention sowie die Konvention über die biologische Vielfalt wurden dort verabschiedet und die Konventionen zur Wüstenbekämpfung in die Wege geleitet.

Weniger bekannt ist die Rio-Erklärung zu Umwelt und Entwicklung, die von den anwesenden Staatschefs unterzeichnet wurde. In ihr stehen wichtige Grundsätze, zum Beispiel, dass die Staaten gemeinsame, jedoch unterschiedliche Verantwortlichkeiten tragen. Das heißt, dass die Industrieländer für die Umweltverschmutzung und den Klimaschutz immer stärker verantwortlich sind als die Entwicklungsländer. Außerdem ist das Vorsorgeprinzip in der Erklärung verankert, werden in ihr Umweltverträglichkeitsprüfungen und Regelungen zu Haftung der Konzerne und Entschädigungen der Opfer gefordert. Also eine Reihe von Prinzipien, die es zum Teil vorher schon gab, die aber durch diese Erklärung aufgewertet wurden. In der Erklärung steht auch, dass Umwelt, Entwicklung und Frieden sozusagen drei Seiten einer Medaille sind - dass man sie also zusammen betrachten sollte.

Rio hat auch die Agenda 21 hervorgebracht, ein 40 Kapitel umfassendes Kompendium zu allem, was wichtig ist im Umwelt-, Entwicklungs- und friedenspolitischen Bereich. Die Agenda 21 ist zum Teil eine gute Quelle - viele Gruppen haben sich ihrer bedient und ihre Forderungen übernommen. Einzelne Kapitel, wie etwa das zur Biotechnologie, waren aber unbrauchbar.

Greenpeace: Warum wurde der Erdgipfel damals als Durchbruch gefeiert?

Jürgen Knirsch: Das hatte mehrere Gründe. Die Rio-Konferenz von 1992 war einerseits bedeutsam, weil Umwelt und Entwicklung vor einem großen Publikum erstmals zusammengebracht und -gedacht worden waren. Denn durch die verbesserten Möglichkeiten bei Mobilität und Informationsaustausch war es auch möglich, dass zigtausende Vertreter von Nichtregierungsorganisationen nach Rio geflogen sind. Immens viele - damals hat man sich über die Klimaauswirkungen des Reisens noch nicht so viele Gedanken gemacht. Andererseits ermöglicht Rio, die Ergebnisse und Erkenntnisse auf konkrete Ebenen anzuwenden. Plötzlich gab es in einigen Städten lokale Agenda 21-Beauftragte. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass Rio erstmal als Erfolg gesehen wurde.

Aber nicht von allen. Greenpeace International hat schon im Vorfeld von Rio gesagt: Dabei kann nicht viel rauskommen. Der Prozess ist nicht fundiert genug angelegt, es gibt Schwachstellen. Wichtige Fragen - Wer zerstört die Umwelt und warum? Wie kann dies gestoppt werden? - wurden nicht gestellt.

Einige sagen, der Begriff Nachhaltigkeit sei in Rio geboren, was gar nicht stimmt, den gab es schon lange vorher. Neu jedoch war: Plötzlich bestand ein großes Interesse an Themen, die an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Entwicklung stehen.

Bezogen auf Deutschland gibt es zwei weitere wichtige Aspekte. Unser damaliger Kanzler, Helmut Kohl, hat den Rio-Prozess relativ ernst genommen. Er schuf kurz vor Rio den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen. Der macht bis heute hervorragende Studien - leider ist deren Adressat, die Bundesregierung, beratungsresistent. Und man startete in Rio ein großes Waldschutzprogramm für Brasilien, das Pilotprojekt Waldschutz Brasilien (PPG7).

Greenpeace: Heute stehen wir immer noch vor den gleichen Herausforderungen wie 1992. Treten wir bei Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung auf der Stelle?

Jürgen Knirsch: Leider ja. In Rio hatten wir ja diese Broschüre rausgegeben, die das Scheitern des Prozesses aufgezeigt hat. Wir haben diese Broschüre im Jahr 2002 - vor dem Gipfel in Johannesburg, zehn Jahre nach Rio - noch einmal mit einem neuen Vorwort veröffentlicht, und ich glaube, wir könnten dasselbe auch in diesem Jahr tun, denn grundlegende Probleme sind zwar erkannt, werden aber weiterhin nicht richtig an den Wurzeln angegangen. Wir sehen im Klimabereich, dass der Grundsatz gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung gerade von den Industrieländern nicht getragen wird. Die sagen: Wir tun ja schon viel, aber die bösen Schwellenländer sollen jetzt erst mal Klimaschutz betreiben. Bevor die nichts machen, brauchen wir auch nichts zu tun - Klimaschutz verzerrt nur unsere Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten.

Greenpeace: Wo siehst du den Grund dafür, dass die Ziele von Rio nicht umgesetzt wurden?

Jürgen Knirsch: Es liegt sicherlich mit an unserem globalen Wirtschaftssystem, das seit 1989 konkurrenzlos ist und bei dem die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht. Alle anderen Aspekte - wird die Umwelt geschont, sind die Arbeitsbedingungen okay, werden Menschenrechte geachtet? - spielen nur unter ferner liefen eine Rolle. Auch verkennen wir die Dringlichkeit der Situation. Wir haben zwar Unmengen an Studien und Erkenntnissen über den Zustand der Welt. Aber wir glauben immer noch, wir hätten genug Zeit, um die Lösung der Probleme kommenden Generationen zu überlassen. Viel Zeit haben wir aber leider nicht mehr.

Wenn nicht bald etwas passiert, haben wir an zu vielen Stellen Grenzen überschritten und Kipppunkte erreicht, die nur noch eine Verschlechterung der Umwelt- und Lebensbedingungen für die Mehrzahl der Erdbewohner bedeuten werden. Leider scheint diese Erkenntnis sich nicht in Handeln umzusetzen.

Greenpeace: Was kann man vom Gipfel Rio+20 in diesem Jahr erwarten?

Jürgen Knirsch: Generell wenig. Die großen Probleme werden weiterhin nur adressiert, aber nicht gelöst. Auch weil die Weltgemeinschaft nicht willig ist, als solche zu agieren - man zeigt nur mit dem Finger auf die anderen und sagt: Die sollen erst mal. So kann es nicht weitergehen, sonst dreht man sich im Kreis.

Es kann aber durchaus auch konkrete Ergebnisse geben. Es steht zur Debatte, ob das Umweltprogramm der Vereinten Nationen zur Weltumweltorganisation aufgewertet werden soll. Das heißt, der Stellenwert und auch die Finanzierung innerhalb der Systematik der UN-Gremien wären größer und besser. Vielleicht gibt es auch eine Verbesserung mit Blick auf den internationalen Meeresschutz. Das dürfte aber schon alles sein, was bestenfalls zu erwarten ist.

Die große Fragestellung, die man eigentlich hat - geht es, Wachstum und grünes Wirtschaften zusammen zu bringen? - da wird es sehr viele Debatten geben, aber wahrscheinlich keine Beschlüsse.

Greenpeace: Auch Nichtregierungsorganisationen setzen Schwerpunkte im Vorfeld des Rio+20-Gipfels. Welche Themen und Ziele stehen für Greenpeace im Mittelpunkt?

Jürgen Knirsch: Die Schwerpunkte, die wir setzen, sind einerseits durch das Land der Konferenz, also Brasilien, vorgegeben. Das heißt, wir werden uns thematisch vor allem um den Waldschutz kümmern, aber auch um Maßnahmen zum Schutz der hohen See.

Greenpeace: Du wirst selbst beim diesjährigen McPlanet dabei sein. Was erhoffst du dir von diesem Kongress?

Jürgen Knirsch: McPlanet ist immer der Ort, der auf verschiedenen Ebenen einen Einstieg in Themen aus der Schnittstelle zwischen Umwelt und Globalisierung ermöglicht. Das heißt, Menschen können sich spannende Vorträge anhören und darüber diskutieren oder in Workshops erfahren, was sie selber oder in der Gruppe machen können. Ich hoffe, dass das auch dieses Mal, wie bei den vier anderen Kongressen zuvor, der Fall sein wird. Dass wir eine fokussierte, aber bunte Mischung an Themen haben und dass die Leute mit Ideen und konkreten Handlungsvorschlägen nach Hause fahren können.

Greenpeace: Vielen Dank für das Gespräch, Jürgen.

Das Interview führte Marissa Erbrich.

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