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TTIP Protest beim Bundesparteitag der SPD in Berlin
© Bodo Marks / Greenpeace

Demokratie schützen

Greenpeace-Aktion gegen TTIP bei SPD-Parteikonvent 2015

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Was ist eigentlich sozialdemokratisch? TTIP und CETA offenbar nicht. Die transatlantischen Handelsabkommen sind in der SPD heftig umstritten: 70 Prozent der SPD-Mitglieder lehnen TTIP in seiner gegenwärtigen Form ab, das ergab eine Forsa-Umfrage im Juli dieses Jahres. Im Gegensatz zu ihrem Parteichef Sigmar Gabriel. Greenpeace-Aktivisten erinnerten den Vorsitzenden heute auf dem SPD-Bundesparteitag an den Streit in den eigenen Reihen – und das Vermächtnis eines berühmten Vorgängers im Amt: „Demokratie schützen: Willy Brandt würde TTIP stoppen!“, steht auf ihren Bannern am Eingang der Parteitagshalle in Berlin.

„Angriff auf die Demokratie“

„Mit der Botschaft ‚Mehr Demokratie wagen‘ hat Willy Brandt unser Demokratieverständnis geprägt“, sagt Matthias Flieder, Greenpeace-Experte für TTIP. „Das Abkommen ist ein Angriff auf die Demokratie und den Schutz von Verbrauchern und Umwelt. Die SPD sollte zu ihren früheren Beschlüssen stehen und vor allem die geplante Paralleljustiz für Unternehmen klar ablehnen.“

Doch nicht nur die private Streitschlichtung verärgert die Antragsteller. Auch die sogenannte regulatorische Kooperation steht in Verruf. Bei der sollen durch ein spezielles neues Gremium (Regulatory Cooperation Body) die Standards der EU an die der USA angeglichen und Lobbygruppen bei der Gesetzgebung eingebunden werden. Die nationalen Parlamente stünden außen vor. Das zeigt erneut, wie undemokratisch TTIP ist – auch wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dies gern anders verkaufen möchte.

Ein paralleles Rechtssystem im Dienst der Konzerne

Auch Gesetze und deren Umsetzung können betroffen sein, wie das Unternehmen Vattenfall zum zweiten Mal zeigt: Absurderweise kann der schwedische Energiekonzern Vattenfall die Bundesrepublik Deutschland vor einem bei der Weltbank in Washington angesiedeltes Schiedsgericht verklagen – weil der deutsche Atomausstieg angeblich seinem Geschäft schade. Bereits 2011 hatte Vattenfall durch ein Schiedsgerichtsverfahren erreicht, dass die wasserrechtliche Genehmigung für das Kohlkraftwerk Moorburg zu Gunsten Vattenfalls und zu Lasten der Umwelt verändert wurde.

Der Widerstand gegen die Schiedsgerichte ist groß, doch die jüngste Alternative der Europäischen Kommission klingt kaum besser. Sie schlägt ein Investitionsgericht vor, das im Kern aber auf das Gleiche hinausläuft: Es soll exklusiv für TTIP ein paralleles Rechtssystem geschaffen werden, das nur den Interessen der Konzerne dient. Das EU-Parlament hat diesen Vorschlag zwar befürwortet, die SPD-Basis aber nicht.

In CETA, dem fertig verhandelten Abkommen mit Kanada, sind die Schiedsgerichte weiterhin in der alten Form enthalten. „Sigmar Gabriel macht einen Spagat, wenn er einerseits private Schiedsgerichte ablehnt und andererseits einen CETA-Vertrag ratifizieren möchte, der diese privaten Schiedsgerichte enthält“, so Lieven. Das Abkommen soll in den kommenden Monaten dem EU-Rat und dem Europäischen Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Wie Willy Brandt wählen würde, steht bei den Greenpeace-Aktivisten vor dem Parteitag außer Frage.

Update 11.12.: Greenpeace-Aktivisten protestierten heute Morgen erneut auf dem Parteitag der Sozialdemokraten gegen die andauernde Unterstützung des SPD-Chefs Sigmar Gabriel für die umstrittenen Handelsabkommen. Während der Begrüßungsrede Gabriels ließen die Aktivisten von der Decke über der Rednertribüne ein zwei mal vier Meter großes Portrait Willy Brandts herab mit der Forderung: „Demokratie schützen: Willy Brandt würde TTIP stoppen!“

Gabriel auf Umwegen

Bei ihrem letzten Parteikonvent im September 2014 entschied die SPD: „Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden.“

An diesen Beschluss will sich Wirtschaftsminister Gabriel inzwischen offenbar nicht mehr halten. Er versucht nun, die Sonderrechte für Unternehmer auf Umwegen durchzusetzen: Ein Investitionsgerichtshof mit unabhängigen Richtern soll die Lösung sein.

„Gabriel will die SPD-Basis täuschen und ihr TTIP schmackhaft mache“, kritisiert Flieder. „Sein Vorschlag sieht weiterhin eine Paralleljustiz für Unternehmen vor, durch die öffentliche Gerichte umgangen werden.“ Sondergerichte seien zwischen entwickelten Rechtsstaaten weder nötig noch demokratisch legitimiert. Die SPD solle ihrem Vorsitzenden klar signalisieren, dass es für Unternehmen keine Paralleljustiz geben darf, fordert Flieder.

Verbraucher- und Umweltschutzstandards sinken

Durch die private Streitschlichtung würden Unternehmen die Möglichkeit haben, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, wann immer sie ihre Investitionen durch staatliche Maßnahmen in Gefahr sehen (zum Beispiel durch hohe EU-Verbraucherschutzstandards). Damit würden Investoren die staatliche Justiz umgehen. Und sie würden eine Abwärtsspirale für Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutzstandards in Gang setzen. Willy Brandt wäre entsetzt.

Für die SPD dürften die nächsten Schritte in Sachen TTIP auch aus strategischen Gründen wichtig sein: Bewegt sie sich noch stärker in Richtung Freihandelsabkommen, droht zur nächsten Bundestagswahl eventuell ein neues Desaster – zahlreiche Wählerstimmen, etwa die von Gewerkschaftsmitgliedern, könnten wegbrechen. Denn der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat erst kürzlich die Seiten gewechselt und sich dem Aufruf zur Demo „Stop TTIP!“ am 10. Oktober angeschlossen – eben aufgrund der Gefährdung von Arbeits- und Verbraucherschutz.

Greenpeace fordert Sigmar Gabriel auf, die TTIP-Kritik in der eigenen Basis ernst zu nehmen. Gemeinsam mit seinen Parteigenossen muss er sich dafür einsetzen, dass TTIP abgelehnt wird.

 

Update:

Die SPD-Basis hat ihre Chance vertan. Sie stimmte mehrheitlich für die Linie von Bundeswirtschaftsminister Gabriel – „eine Beruhigungspille für parteiinterne Kritiker", wie Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace kommentiert. 

„Die Delegierten sollen mit vagen Formulierungen und frommen Wünschen bei der Stange gehalten werden. So sollen inhaltliche Zusatzerklärungen zu einzelnen Bestimmungen von CETA 'möglichst' noch vor der Abstimmung im Ministerrat 'beziehungsweise' danach stattfinden. Zusatzerklärungen nach Verabschiedung des Vertrages sind jedoch nicht nur von ihrem rechtlichen Status her unklar, sondern lösen die Probleme von CETA nicht."

Die SPD, sagt Krug, habe in Wolfsburg Angst vor ihrer eigenen Courage gehabt. „Die Partei hatte nicht den Mut, zu ihren eigenen Beschlüssen zu stehen, in denen sie klare Bedingungen für Handelsabkommen wie CETA formuliert hat. Weder das EU-Parlament noch der Bundestag können Details des Vertrages nachbessern, wenn ihn der EU-Ministerrat CETA im Oktober verabschiedet hat. Parteichef Gabriel hat heute nur mit Taschenspieler-Tricks eine Niederlage abwehren können, aber er hat damit dem Ansehen der Partei und den Menschen in Europa einen Bärendienst erwiesen.“

  • Greenpeace-Kletterer haben an der SPD Parteizentrale ein Banner mit Willy Brandt angebracht.

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  • SPD Parteitag - Gabriel

    Sigmar Gabriel macht einen Spagat, wenn er einerseits private Schiedsgerichte ablehnt und andererseits einen CETA-Vertrag ratifizieren möchte, der diese privaten Schiedsgerichte enthält (SPD Parteitag, Sept. 2015).

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