Handelsausschuss des Europäischen Parlamentes billigt private Streitschlichtung
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Gestern um kurz vor ein Uhr fragte Bernd Lange ein letztes Mal: „Dafür? Dagegen? Enthaltung?“ Damit beendete der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments (INTA) einen Abstimmungsmarathon. Bei dem entschied der Ausschuss über fast 900 Änderungsvorschläge, die im Berichtsentwurf des Europäischen Parlamentes für ein transatlantisches Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen mit den USA vermerkt waren; die Verhandlungen darüber laufen zur Zeit. Einer der wichtigsten Vorschläge, die der Ausschuss nun per Votum billigte: die umstrittene private Streitschlichtung (ISDS).
Was die Abstimmung so spannend machte: Der Bericht enthält Empfehlungen für die EU-Kommission, wie die weiteren Verhandlungen aus Sicht des Parlaments zu gestalten seien. Ein erster Entwurf dieses Reports lag seit Anfang Februar vor, alle weiteren 13 Ausschüsse des Parlaments wurde um Stellungnahme gebeten – was die hohe Zahl der Änderungsvorschläge erklärt.
Private Streitschlichtung: nicht aufgegeben, sondern modifiziert
Seit Monaten kursierten Spekulationen darüber, welche Aussage der Text zu der äußerst umstrittenen privaten Streitschlichtung am Ende enthalten wird. Bernd Lange, der zur Fraktion der europäischen Sozialdemokraten gehört, hatte im Vorfeld die Hoffnung genährt, es könnte im Parlament eine Mehrheit für eine deutliche Ablehnung der privaten Streitschlichtung (ISDS) geben. Denn seine „Socialists & Democrats“-Fraktion hatte noch im März ein Positionspapier veröffentlich. In dem ist einerseits zu lesen, dass keine Notwendigkeit für eine private Streitschlichtung im Verhältnis mit Ländern wie den USA und Kanada besteht. Andererseits betont das Papier, dass die Bedenken der Bevölkerung gegen die private Streitschlichtung ernst genommen werden müssten.
Als es zum finalen Schwur kam, war von den beiden Positionen nicht mehr viel zu erkennen. Mit 28 zu 13 Stimmen wurde auch mit Einverständnis von Langes „S&D“-Fraktion ein Text angenommen, der nun der Plenarsitzung des Europäischen Parlamentes vorschlägt, eine „permanente Lösung zur Streitschlichtung zwischen Investoren und Staaten“ zu finden.
Damit wird das Instrument der privaten Streitschlichtung keinesfalls aufgegeben. Es wird ein modifizierter Mechanismus zur Streitschlichtung vorgeschlagen, der bereits im CETA-Abkommen mit Kanada vorhanden ist. „Mittelfristig“, so der Beschlusstext, „könnte ein internationaler öffentlicher Investitionsgerichtshof das geeignetste Instrument sein, um sich mit Investor-Staat-Streitigkeiten zu befassen“.
„Geschenk an die Konzerne“
Mit diesem Votum folgt der Handelsausschuss der Linie, die die EU-Kommission am 6. Mai 2015 vorgeschlagen hatte: Zur Ablenkung und Abkühlung der Debatte setzte die Kommission damals die Idee eines internationalen Gerichtshofes in die Welt.
Für Greenpeace beinhaltet der angeblich reformierte Vorschlag zur privaten Streitschlichtung, über den heute abgestimmt wurde, keine echten Reformen – es werden rein kosmetische Änderungen vorgenommen: Ausländische Unternehmen sollen eine zusätzliche und nur ihnen zugängliche Möglichkeit erhalten, auf Kosten der Steuerzahler Investitionsverluste einzuklagen. Die Schaffung eines internationalen Investitionsgerichtshofs ist dabei nur als mittelfristiges Ziel deklariert – ob ein solches Gericht bereits für das Abkommen mit den USA einsatzfähig sein soll, ist unklar.
„Das ist ein katastrophales Zeichen in Richtung EU-Kommission“, bewertet Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace in Österreich, das Abstimmungsergebnis. „TTIP mit ISDS in seiner jetzigen Form ist ein Geschenk an die Konzerne und eine Gefahr für Umweltschutz und Rechtsstaat“, so Egit. „Nur ein von Beginn an implementierter internationaler Gerichtshof mit unabhängigen, fest angestellten Richtern kann die Souveränität der Staaten gewährleisten.“
Die endgültige Entscheidung wird am 10. Juni im Europäischen Parlament in Straßburg fallen. Dann müssen die Mitglieder des Parlamentes über den Vorschlag des Handelsausschusses abstimmen. Es bleibt also noch ein wenig Zeit, auf die Mitglieder des Europäischen Parlaments einzuwirken – und die Hoffnung, dass am Ende das Parlament der privaten Streitschlichtung eine Abfuhr erteilt.