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Der Feind: die Waffenarsenale

Vorbemerkung: der folgende Text ist ein Artikel unseres englischen Kollegen Brian Fitzgerald, den wir ohne inhaltliche Änderungen ins Deutsche übertragen haben. Darin weist er nach, dass ein Angriff auf den Irak das Problem von Massenvernichtungswaffen nicht lösen wird.

Eigentlich sollten wir gelernt haben: Entwicklung, Produktion und Einsatz - oder der angedrohte Einsatz - von Atomwaffen sind ein Teufelskreis. Massenvernichtungswaffen schaffen nicht mehr Sicherheit. Sie bringen keine Stabilität. Durch die Androhung, sich gegenseitig zu vernichten, wurde der Kalte Krieg nicht beendet. Im Gegenteil: die Eskalation im Aufbau von Atomwaffenarsenalen wurde gestoppt, weil die Wahrnehmung von Feindschaft und Bedrohung abnahm und infolge der weltweiten Erkenntnis, dass Atomwaffen als diplomatische Mittel ihre moralischen und politischen Grenzen haben.

Wir sollten uns jetzt, da die Welt über einen Krieg nachdenkt, der sich - angeblich - gegen Massenvernichtungswaffen richtet, dieser Lektionen erinnern.

Natürlich würde ein Krieg gegen den Irak westlichen Ölinteressen enormen finanziellen Nutzen bringen, und es liegt auf der Hand, dass die Strategie der Vereinigten Staaten nicht (nur) darauf abzielt, dem Terrorismus die Stirn zu bieten oder Massenvernichtungswaffen zu stoppen, sondern (auch) darauf, die riesigen Vorräte an fossilen Brennstoffen zu kontrollieren. Wie dem auch sei, wir wollen zunächst das Argument, die Vereinigten Staaten wollten den Irak aus Angst vor der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen - insbesondere Atomwaffen - unter Druck setzen, für sich allein betrachten.

Greenpeace hat Entwicklung, Produktion und Einsatz von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen von Anfang an, also seit mehr als dreißig Jahren, bekämpft. Atomwaffenversuche und die Produktion von Atomwaffen haben in der Vergangenheit riesige Verwüstungen angerichtet, für Ökosysteme ebenso wie für Menschen und deren Leben und Gesundheit. Der Einsatz von Atomwaffen, ob nun versehentlich oder infolge eines Konflikts, bedeutet - und das wäre noch der beste Fall - große Schäden durch stark radioaktiv verseuchte Zonen mit vielen Tausenden von Betroffenen, oder - schlimmstenfalls - dass auf unserem Planeten ein Leben, wie wir es kennen, nicht mehr möglich wäre.

Es ist deshalb unsere Überzeugung, dass der Verzicht auf Atomwaffen durch alle Staaten eine der grundlegenden Voraussetzungen für ein Leben auf der Erde im 21. Jahrhundert ist. Es ist deshalb notwendig, dass die Völkergemeinschaft - und auch die Bush-Administration - die Frage der Verbreitung bzw. des Verzichts auf Atomwaffen in einem größeren Zusammenhang angeht.

Ein Angriff auf einen Staat - den Irak - wegen dessen Versuchs, Atomwaffen zu erwerben, wäre ohne Beispiel und in dieser Form noch nie dagewesen. Die Vereinigten Staaten haben weder Israel, noch Indien oder Pakistan wegen des Erwerbs von Atomwaffen Krieg angedroht.

Strategien zur Nichtverbreitung von Atomwaffen

Wenn man die Verbreitung von Atomwaffen mit militärischen Mitteln verhindern will, kann man sich dreier Strategien bedienen: Militärschläge zur Verhinderung der Weiterverbreitung, nukleare Abschreckung, oder aber ein mit militärischen Mitteln herbeigeführter Regimewechsel . Alle drei sind falsch.

Eine Militäraktion - etwa der Angriff der Israelis auf den irakischen Osirak-Reaktor 1981 - mag vorübergehend mit der technischen Seite der Proliferation (Weiterverbreitung) fertig werden; allerdings verursacht man damit genau die Art von Spannungen, die erst die Waffenprogramme angeheizt haben. Außerdem sind Militäraktionen nur so "gut" wie die ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisse. Im Falle des Irak entdeckte und beendete die IAEO ein Geheimprogramm zum Erwerb von Atomwaffen. Die Androhung eines Militärschlags durch die USA hat den Irak aber offensichtlich nicht von weiteren Versuchen in diese Richtung abgehalten.

Wäre die nukleare Abschreckung eine mögliche Strategie, dann müsste sie nun funktionieren. Nach der Logik des kalten Krieges müsste der Irak - oder jeder anderer Staat - aufgrund der Abschreckung durch die überwältigende Überlegenheit von US-Atomwaffenarsenal und US-Militärapparat eingeschüchtert sein. Dies ist eindeutig nicht der Fall. Für ein Regime, das seiner Vernichtung ins Auge sieht, erscheint ein Atomangriff als legitime Selbstverteidigung und angemessene Reaktion gegen einen atomar gerüsteten Aggressor. Außerdem bleibt die Frage, ob die Vereinigten Staaten dadurch, dass sie in das Land eindringen, seine Infrastruktur übernehmen und ein Marionettenregime einsetzen, den Irak tatsächlich entwaffnen. Vielleicht. Aber wird ein Regimewechsel dieser Region Frieden bringen und andere Staaten oder Akteure davon abhalten, nach Massenvernichtungswaffen zu streben? Selbstverständlich nicht, ganz im Gegenteil.

Nehmen wir den Iran, ein Land mit einer bewegten Geschichte, was seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten betrifft. Zur Zeit wird er gerade als Freund im erklärten Krieg gegen den Terrorismus betrachtet. Dass auch der Iran den Besitz von Atomwaffen ansteuert, ist deshalb eine Feststellung, die den Vereinigten Staaten zum jetzigen Zeitpunkt politisch nicht ins Konzept passt; genauso wie die Feststellung, dass Saddam Hussein - allerdings zu einem früheren Zeitpunkt, als er noch als Freund galt - biologische Waffen gegen sein eigenes Volk eingesetzt hat. Der Iran wird aus einer Irak-Invasion die Lehre ziehen, daß er die Entwicklung seiner eigenen Massenvernichtungswaffen so schnell wie möglich vorantreiben muß, und zwar solange, wie Amerikas Aufmerksamkeit anderswohin gerichtet ist.

Widersprüche in der US-Abrüstungspolitik

Militärische Strategien allein werden keinen Erfolg haben. Eine breite Palette von Reaktionen ist notwendig, aber gewiss heißt das vorrangige und grundlegende Problem: Führung und politischer Wille. Wenn Präsident Bush sagt, dass es im Falle Irak weniger um das Akzeptieren von UN-Waffeninspektoren gehe, sondern um nachprüfbare Abrüstung, hat er zwar recht. Das Problem liegt aber in dem gewaltigen inneren Widerspruch einer solchen Aussage, stammt sie doch vom Besitzer von mehr als sechstausend Atomsprengköpfen.

Der Abrüstungskonsens, der formal auf dem Atomwaffensperrvertrag gründet, wird Jahr für Jahr von den offiziellen Atomwaffenstaaten untergraben, die ja immer wieder ihre Überzeugung demonstrieren, dass Atomwaffen für ihre Sicherheit notwendig sind. Diese Staaten haben die Vereinten Nationen und internationalen Vereinbarungen immer wieder wirkungsvoll an der Nase herumgeführt, mit einem Eifer, der dem des Irak nicht nachsteht.

Die Vereinigten Staaten und andere offizielle Atomwaffenstaaten sind gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Atomwaffenarsenale zu beseitigen. Sie sollten ihre Führungsrolle ausüben, indem sie ein positives Beispiel geben. Stattdessen hat sich der US-Senat geweigert, den Teststopp-Vertrag zu ratifizieren. Die Bush-Administration hat das geplante Protokoll zur Überprüfung der US- amerikanischen B-Waffen im Rahmen der B-Waffen-Konvention unterlaufen. Und Rüstungskontrollen mit Russland haben sich eher zu politisch günstigen bilateralen Geschäftsabschlüssen entwickelt, statt zu transparenten, rechtsverbindlichen und nachprüfbaren Abrüstungsverträgen, die tatsächlich zur Vernichtung von Atomwaffen führen.

Die Bush-Administration kann die Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht per Erlass erzwingen. Sie kann nicht überzeugend für die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen bei anderen vorgehen, ohne ihre eigenen einzubeziehen. Das Hauptargument gegen diese Waffen muss ein moralisches sein, nicht eines, das gerade in die Strategie paßt.

Zur Diplomatie: Druck seitens anderer arabischer Staaten und auch westlicher Länder ist wichtig, insbesondere für eine wirkungsvollere und positivere US-Nahost-Politik. Die Lösung des Palästina-Problems ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Israel irgendwelche Schritte tut, um den Verhandlungen über Massenvernichtungswaffen in dieser Region beizutreten. Die Vereinigten Staaten können bei der Beseitigung dieses Konflikts eine Schlüsselrolle übernehmen.

Die Strategie der Eindämmung muß verbunden werden mit weitergehendem Engagement: Druck auf den Irak macht nur Sinn, wenn man gleichzeitig das Problem der Weiterverbreitung von Kerntechnik und des entsprechenden Know-hows angeht, insbesondere - aber nicht ausschließlich - seitens Russlands. Nicht nur die Waffenprogramme, auch die dahinter stehenden Ambitionen müssen eingegrenzt werden. Außerdem muß die Verbreitung von waffenfähigem Material und entsprechenden Technologien unterbunden werden, um die Bedrohung weiter zu reduzieren.

Wir brauchen eine neue Abschreckungstheorie

Und schließlich brauchen wir, wenn es um Atomwaffen geht, eine neue Abschreckungstheorie. Abschreckung war - und ist - stets eine Frage der subjektiven Wahrnehmung: die Einschätzung der eigenen Gefahr, die unterstellte Reaktion des anderen und die Berechnung dessen, was genau jede der beiden Parteien meint, sich erlauben zu können.

Auch die Moral und das, was als akzeptables Verhalten von Staaten und ihren Führern gilt, ist eine Frage der Wahrnehmung, und auch sie ändert sich mit der Zeit. Da wir uns auf eine Globalisierung der Zivilgesellschaft zu bewegen, müssen wir eine Art globale moralische Abschreckung gegen den Besitz von Atomwaffen schaffen. Der Anspruch auf moralische Autorität seitens eines Staates oder seiner Regierung gründet auf der Verantwortlichkeit gegenüber der Zivilgesellschaft. Wer diesen Anspruch erhebt, muß globale Vereinbarungen zum Wohl der ganzen Welt befolgen und sich nach den weltweiten Standards für akzeptables Verhaltens richten.

Ein Staat, der seinen Willen der Weltgemeinschaft aufzwingen will, muß sich daran messen lassen, ob er tatsächlich dem gemeinsamen Nutzen dieser Gemeinschaft verpflichtet ist. Das kann nur eines bedeuten: dass Atomwaffenstaaten sich dazu verpflichten - und auch damit anfangen - ihre eigenen Atomwaffen zu vernichten aus der Überzeugung, dass solche Waffen aus globaler Sicht mit einer vernünftigen und nachhaltigen Sicherheitspolitik nicht zu vereinbaren sind.

Jeder Staat, der den Erwerb von Atomwaffen erwägt, müsste durch weltweite, staatliche wie individuelle, Empörung, abgeschreckt werden. Wer als Führer eines Staates sein Land in diese Richtung steuert, sollte wissen, dass er einer Empörung in einem Ausmaß gegenübersteht, die ihn im In- oder Ausland diskreditiert.

Dass die Bush-Administration von verbindlichen internationalen Absprachen im Allgemeinen und von den Vereinten Nationen im Besonderen als Mittel zur Lösung von Konflikten nichts hält, ist bekannt. Sie setzt zum Erreichen ihrer strategischen Ziele lieber militärische Macht ein. Und dies ist wohl die größte Herausforderung für die Völkergemeinschaft des 21. Jahrhunderts: wir können uns Nationalstaaten und politische Führer, die ausschließlich in Kategorien von Eigennutz denken, nicht länger leisten. Die Welt ist in Gefahr, sie braucht Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Notwendigkeiten und moralischen Anforderungen unserer gemeinsamen Zukunft.

Wäre jeder Bewohner der Erde ein Wähler, welche Zukunft hätten Atomwaffen dann wohl bei einer weltweiten Volksabstimmung über ihre Beseitigung?

Brian Fitzgerald, 24. September 2002

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