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Dirk Zimmermann, Agrarbiologe und Greenpeace-Experte für Gentechnik
Bente Stachowske / Greenpeace

EU will nationale Genfood-Verbote

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Ob Gen-Pflanzen importiert werden dürfen, soll nicht mehr nur die EU entscheiden, sondern jeder einzelne EU-Staat. Warum das schlecht ist, erklärt Dirk Zimmermann von Greenpeace. 

Greenpeace: Warum will die EU-Kommission nicht mehr auf europäischer Ebene über Zulassungen entscheiden?

Dirk Zimmermann: Es wird weiterhin auf EU-Ebene über die grundsätzliche Zulassung von Gen-Pflanzen entschieden – sowohl für den Import als auch für den Anbau. In der EU gibt es aber eine große Skepsis gegenüber Gen-Pflanzen. Die Staaten konnten sich in der Vergangenheit oft nicht einigen; besonders deutlich wurde dies bei der Abstimmung über die Anbauzulassung für den Gen-Mais 1507 Anfang 2014.

19 von 28 Staaten stimmten gegen die Zulassung, und doch war das nicht genug, um diese zu verhindern. Es gab aber auch nicht genügend Stimmen für den Mais. Deshalb ging die Entscheidung wieder an die Kommission zurück. Bis heute hat sie nicht darüber entschieden, vermutlich weil sie die Auseinandersetzung über Gentechnik fürchtet. Das war jetzt ein Beispiel für eine Anbauzulassung, für den Import gilt aber das gleiche.

Das Kalkül der Kommission könnte nun sein, sich mit der Möglichkeit nationaler Verbote aus der Schusslinie zu nehmen. So nach dem Motto: Die Länder können ja national den Import verbieten, dann ist ihr Recht, Nein zu sagen, gewahrt.

Ist es denn für die Länder leicht, ein solches Verbot auszusprechen?

Nein, der Vorschlag der Kommission ist eine Mogelpackung. Es besteht überhaupt keine Rechtssicherheit: Wenn ein Land den Import nicht will, ist es sehr fraglich, ob es mit dem Verbotsantrag durchkommen wird. Denn Gründe wie Umwelt- oder Gesundheitsrisiken dürfen nicht angeführt werden. Die Kommission versucht jetzt, für Importzulassungen das durchzusetzen, was kürzlich für Anbauzulassungen beschlossen wurde.

Es wird auf EU-Ebene ziemlich sicher mehr Zulassungen für Gen-Pflanzen zum Import geben. Wahrscheinlich kriegen schon bald 17 Pflanzen auf einen Schlag grünes Licht von der Kommission, obwohl es großen Widerstand gegen Gentechnik in der EU gibt. Dass es zu nationalen Verboten kommt, glaube ich aufgrund der unsicheren rechtlichen Situation nicht.

Dabei hatte EU-Kommissionspräsident Juncker im Jahr 2014 angekündigt, die Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen zu reformieren und demokratischer zu gestalten. Das ist ihm demnach wohl nicht gelungen.

Nein, absolut nicht. Dafür müsste er das komplette Zulassungsverfahren ändern und dazu gehört auch, die oft kritisierte und unzureichende Risikoprüfung von Gen-Pflanzen grundsätzlich neu aufzustellen. Die EU kann die Verantwortung nicht auf einzelne Länder schieben, die nicht einmal starke Instrumente für Verbote in der Hand haben. Über Zulassungen muss auf EU-Ebene entschieden werden. Einfache Mehrheiten müssen reichen, um Gen-Pflanzen abzulehnen – dann hätte auch der Gen-Mais 1507 in Europa keine Chance. Bislang muss jedoch eine qualifizierte Mehrheit erreicht werden, was oft darauf hinausläuft, dass zwei Drittel der Länder einer Meinung sein müssen. Das ist schwer zu erreichen.

Würde sich der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ausweiten?

Viele Pflanzen sind bereits im Anbau, da sie in anderen Ländern außerhalb der EU schon zugelassen sind. Nichtsdestotrotz schaut die Gentechnikindustrie natürlich genau, was in Europa passiert – Europa ist ein großer Markt. Sie wartet auf die Importzulassungen bevor sie weiter anbaut. Das muss aber nicht unbedingt heißen, dass sich die Flächen ausweiten. Möglicherweise verdrängen die neuen Pflanzen auch andere Gen-Pflanzen.  

Was würde der Vorschlag für Verbraucher bedeuten?

Es wird sicher weiterhin keine gentechnisch veränderten Lebensmittel geben, dafür ist die Ablehnung durch die Verbraucher zu groß. Das Problem ist das Tierfutter. Dort landet der Löwenanteil der gentechnisch veränderten Pflanzen – auch Pflanzen, die die Kommission vermutlich bald zulässt, werden zu Tierfutter verarbeitet.

Verbraucher können jedoch nicht erkennen ob die Tiere, deren Produkte sie essen, mit Gen-Pflanzen gefüttert wurden. Denn es gibt für Milch, Ei oder Fleisch keine Kennzeichnungspflicht.

Um den Einsatz riskanter Gen-Pflanzen im Tierfutter nicht zu unterstützen, bleibt Verbrauchern aber weiterhin die Möglichkeit, zu Bio-Lebensmitteln oder zu Produkten zu greifen, die das „Ohne Gentechnik“-Siegel tragen. Eine weitere Orientierungshilfe bietet der Greenpeace-Ratgeber „Essen ohne Gentechnik“.

Bislang ist es nur ein Vorschlag von der EU-Kommission, wie geht es jetzt weiter?

Wir stehen ganz am Anfang des Verfahrens. Bei den Anbauverboten haben wir gerade erlebt, wie zäh der ganze Prozess verlaufen kann, das letzte Wort ist also längst noch nicht gesprochen. Die Kritik ist groß und kommt von allen Seiten, selbst von der Industrie, die jahrelange Diskussionen und – bei allen Schwierigkeiten – mögliche Verbote fürchtet.

Wir erwarten von Agrarminister Christian Schmidt, dass er sich in Brüssel für eine echte Reform und Verbesserung der Zulassungsverfahren für Gen-Pflanzen einsetzt und sich an den Koalitionsvertrag erinnert: Darin haben die Regierungsparteien sich für eine Kennzeichnung tierischer Produkte, die mit Gen-Pflanzen im Futter hergestellt wurden, ausgesprochen. Passiert ist in der Sache bisher gar nichts. Auch das ist ein Thema, das in Brüssel auf die Agenda gehört. 

Dirk Zimmermann ist Agrarbiologe und Experte für Gentechnik bei Greenpeace.

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