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Lisa Göldner, Energie-Expertin bei Greenpeace
Lucas Wahl / Greenpeace

Was die neue Regierung tun muss

Für die Bundestagswahl waren Klimaschutzthemen so präsent wie lange nicht - und doch noch nicht präsent genug. Interview mit Klimaexpertin Lisa Göldner.

Greenpeace: Liebe Lisa, bist du entspannt, was die nun anstehende Regierungsbildung betrifft?

Lisa Göldner: Wie kommst du darauf?

Greenpeace: Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace appellieren seit Jahrzehnten an die Politik und fordern mehr Klimaschutz. In jüngerer Zeit ist die Klimabewegung dank Fridays For Future und unterstützt durch engagierte Wissenschaftler:innen immer größer und lauter geworden. Klimaschutz ist heute in aller Munde, alle Parteien geben vor, Klimaschützer:innen zu sein, und mit den Grünen hat eine Partei, deren Markenkern Umweltschutz ist, das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt.

Göldner: Das stimmt, nie war die Aufmerksamkeit für den Klimaschutz größer als heute. Keine Partei kommt mehr daran vorbei, sich zu positionieren und Vorschläge für die Lösung der Klimakrise vorzulegen. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssten. Die Erde hat sich mittlerweile um mehr als 1 Grad Celsius erhitzt - mit drastischen Auswirkungen. Die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz trug eindeutig die Handschrift der Erderhitzung. Und nicht nur in Deutschland haben Extremwetterereignisse zugenommen. In Kalifornien und Russland etwa wüteten diesen Sommer schlimme Waldbrände, in Madagaskar herrscht eine fürchterliche Dürre, 400.000 Menschen sind dort vom Hungertod bedroht. Und dennoch hat keine der aktuell in den Bundestag gewählten Parteien einen ausreichenden Plan, um Deutschland auf Kurs mit dem 1,5 Grad Limit des Pariser Klimaabkommens zu bringen. Wenn ich mir die Wahlprogramme der Parteien so ansehe, dann drücken sich die allermeisten Parteien weiterhin vor Maßnahmen, die einen echten Unterschied machen. Entspannt bin ich also gerade überhaupt nicht, im Gegenteil - das empört mich. 

Greenpeace: Was muss denn aus Deiner Sicht jetzt passieren? Welche Punkte muss die neue Regierung umsetzen?

Göldner: Die nächste Bundesregierung muss innerhalb der ersten Wochen im Amt ein ambitioniertes Klimaschutz-Sofortprogramm beschließen. Es reicht nicht, sich mit Zielen in weiter Ferne zu beschäftigen, der CO2-Ausstoß muss jetzt schnell sinken, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise noch abzuwenden. Außerdem muss die nächste Bundesregierung die wirklich wirksamen Hebel beim Klimaschutz umlegen. Dazu gehört ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien, damit sie im Jahr 2035 den Strombedarf vollständig decken können. Wohlgemerkt nicht den heutige Strombedarf, sondern jenen in 2035 - klimafreundliche Umstellungen in der Industrie ebenso wie im Verkehr werden ihn stark steigen lassen. Das letzte Kohlekraftwerk muss spätestens 2030 vom Netz gehen. Die klimaschädlichsten Subventionen müssen enden, und zwar schnell, bis 2025. Die neue Regierung muss den Umbau der Landwirtschaft angehen und dafür sorgen, dass die Tierbestände in der Landwirtschaft bis spätestens 2035 halbiert werden. Darüber hinaus ist der Verkehrsbereich zentral: Die nächste Regierung muss ein Enddatum für die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor festlegen, und zwar das Jahr 2025.

Greenpeace: Gutes Stichwort: Sollen eurer Meinung nach Verbrennerautos also verboten werden?

Göldner: Diese Verbotsdebatte ist für mich sehr sonderbar. Natürlich braucht es verbindliche Vorgaben und auch Verbote, um die Klimakrise aufzuhalten. Verbote sind nicht per se schlecht, sie schützen unsere Freiheit. Und eben auch unsere Umwelt. Es wurde beispielsweise das Blei in Benzin verboten, übrigens von einer Unionsregierung. Es wurde FCKW in Kühlschränken verboten, die Ozonschicht heilt nun, was übrigens nicht nur für die Gesundheit von Millionen Australier:innen von Vorteil ist, sondern auch für das Klima. Es ist verboten, überspitzt gesagt, mit 100 km/h durch Fußgängerzonen zu heizen oder seinen Müll einfach mitten auf der Straße abzuladen. 

Genau so braucht es auch klare Schranken für Konzerne, die durch Ausbeutung unserer natürlichen Lebensgrundlagen auf Kosten Aller ihren Profit  steigern wollen. Also die Antwort lautet: Ja, wir brauchen Verbote, um die Klimakrise aufzuhalten. Ein Enddatum für die Neuzulassung von Verbrennerautos ist eines davon. Hier geht es aber natürlich nicht darum, den Menschen ihr Auto wegzunehmen, sondern um eine verbindliche Zielmarke, ab der die Autoindustrie nur noch elektrisch betriebene Autos verkaufen darf. 

Insgesamt muss die neue Bundesregierung dem Schutz von Menschen und Klima Vorrang geben. Sie muss in die Wege leiten, dass bis 2030 die Emissionen um mindestens 70 Prozent sinken und Deutschland vor 2040 klimaneutral wird. Dafür werden wir um Regeln nicht herumkommen.

Greenpeace: Was ist mit dem Vorwurf, dass zu ambitionierte Maßnahmen oder zu starke Regularien dazu führen, dass Arbeitsplätze verloren gehen und die Industrie abwandert? Ist da nicht etwas dran?

Göldner: Dazu zwei Punkte. Zum einen unterschlägt dieser Vorwurf, dass der klimafreundliche Umbau unserer Wirtschaft, allen voran die Energiewende, regionale Wertschöpfung und viele neue Arbeitsplätze schafft. Ja, es werden auch Arbeitsplätze verloren gehen - zum Beispiel in der Kohleindustrie - und der Staat muss für diese Beschäftigten sorgen. Aber es werden gleichzeitig noch viel mehr neue - und vor allem sichere, zukunftsträchtige Jobs - entstehen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass zwischen 2011 und 2019 mehr als 100.000 Arbeitsplätze in der Erneuerbaren Energien Branche in Deutschland verloren gegangen sind, weil unter Merkels Regierung der Ausbau der Erneuerbaren eingedampft und teilweise schlichtweg blockiert wurde, etwa durch widersinnige Abstandsregeln bei der Windenergie. 

Zum anderen ist aber richtig, dass ein höherer CO2-Preis und strenge Umweltauflagen deutsche Unternehmen weniger konkurrenzfähig machen könnten im Vergleich zu solchen aus Ländern, in denen es nur schwache Auflagen gibt. Deswegen muss die nächste Bundesregierung sich auch international für ambitionierten Klimaschutz und den Schutz der Menschenrechte einsetzen. Beispielsweise mit einem starken Lieferkettengesetz oder einem effektiven CO2-Grenzausgleich, wie ihn die Europäische Kommission einführen will. 

Die Klimakrise und ihre Eindämmung sind eine riesige Herausforderung, umso wichtiger, dass sich nun eine neue Regierung bildet, die ihr gewachsen ist.
 

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