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Braunkohlekraftwerk Neurath bei Grevenbroich
Paul Langrock / Greenpeace

Deutschlands Stromexporte bremsen die Energiewende

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Die Kletterpartie begann vor vier Jahren auf eher niedrigem Niveau. Sechs Terawattstunden (TWh) wurden im Jahr 2011 von Deutschland ins Ausland exportiert - etwa so viel wie zwei Kohlekraftwerke im Jahr produzieren. Doch ein Jahr später hatte sich die Menge fast vervierfacht: auf 23 TWh. Im Jahr 2013 waren es schon 34 TWh. Und in diesem Jahr werden vermutlich bis zu 50 Terawattstunden Strom ins Ausland verkauft – das Äquivalent von etwa 18 Kohleblöcken. Mehr als jemals zuvor.

Nun hat man hierzulande gelernt, Exportrekorde zu feiern. Doch in diesem Fall gibt es keinen Grund, stolz zu sein. Denn was Deutschlands alte Energiewirtschaft, also Kohlekonzerne wie RWE und Vattenfall hier exportieren, schadet nicht nur massiv dem Klima, es bremst auch die europäische Energiewende. Und nebenbei zeigen die Zahlen, wie verlogen die Diskussion um die Klimaabgabe geführt worden ist. Aber der Reihe nach.

Warum treiben nur Braunkohle- und Atomstrom die Exporte an?

Weil sie am schlechtesten mit den Anforderungen des neuen Strommarkts umgehen können. Während sich moderne Gaskraftwerke leicht hoch- und runterfahren lassen, sind Atom- und Kohlekraftwerke so unflexibel, dass sie meist einfach durchlaufen. Dabei verlangt der wachsende Anteil an Erneuerbarem Strom im Netz nach flexiblen Kapazitäten. Nach Kraftwerken, die schnell einspringen, wenn Wind und Sonne zu wenig Strom liefern, aber auch schnell vom Netz gehen können, wenn genug davon da ist.

Wie ungeeignet Atom- und Braunkohlemeiler dazu sind, zeigte sich etwa an den stürmischen Tagen Ende März. Da schnellte die Stromproduktion der Windmühlen im Land und auf der Nord- und Ostsee zusammen mit den Solarparks auf stolze 43 Gigawatt hoch – gut die Hälfte dessen, was in ganz Deutschland an Kapazitäten gebraucht wird. Doch die Atomkraftwerke und Kohlemeiler liefen unverändert weiter. Die Folge: Deutschland überschwemmte seine Nachbarstaaten mit einer riesigen Menge billigen Exportstroms. So viel, dass normalerweise gut zehn Großkraftwerke dafür betrieben werden müssten.

Ist nicht egal, wer den Strom erzeugt, den Europa verbraucht?

Ist es nicht. Jedenfalls nicht, wenn durch uralte deutsche Braunkohlekraftwerke moderne und klimaschonende Gaskraftwerke in anderen Ländern aus dem Markt gedrängt werden. Eben das aber passiert durch die deutschen Stromexporte in die Niederlande. Das Land ist einer der Hauptabnehmer des deutschen Exportstroms, obwohl es wegen seiner großen Erdgasvorkommen einen vergleichsweise sauberen Kraftwerkspark betreibt. Doch diese Gaskraftwerke können nicht konkurrieren mit dem billigen Strom, der durch das Überangebot an Kohle- und Atomstrom aus Deutschland kommt.

Das hat tiefrote Spuren in der Bilanz des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall hinterlassen. Der hatte im Jahr 2009, also vor dem Aufstieg Deutschlands zur Stromexportmacht, für viel Geld den niederländischen Konkurrenten Nuon samt seiner Gaskraftwerke gekauft. Seither musste Vattenfall Milliarden auf Nuon abschreiben, weil die Kraftwerke der Niederländer durch die deutschen Stromexporte immer häufiger stillstehen und immer weniger Geld verdienen. Mitleid ist dabei nicht angebracht: Es sind auch Vattenfalls Braunkohlekraftwerke in der Lausitz, die den Strommarkt überschwemmen. Der Konzern kannibalisiert mit seinen deutschen Kraftwerken seine niederländischen Kraftwerke.

Dabei sind Gaskraftwerke genau die Brückentechnologie, die eine europäische Energiewende braucht. So sorgen die deutschen Exporte nicht nur für mehr CO2, sie torpedieren auch die für eine europäische Energiewende nötigen Gaskraftwerke. 

Was der Stromexport über die Kohlebranche verrät

Ein Heulen und Zähneklappern stimmte die alte Energiewirtschaft im Frühjahr an, als sie merkte, dass das Klimaziel der Bundesregierung mehr sein könnte als eine Zahl auf geduldigem Papier. Um 40 Prozent soll der Ausstoß an Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 sinken. Damit dieses oft und laut bekräftigte Versprechen eingehalten werden kann, sollte auch die Energiewirtschaft einen zusätzlichen Beitrag von 22 Millionen Tonnen CO2 leisten. Eigentlich nicht viel, schließlich produzierten Deutschlands Kraftwerke zuletzt insgesamt knapp 350 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Aber genug, um die Kohlebranche mit harten Bandagen gegen die Pläne des Wirtschaftsministeriums kämpfen zu lassen. So lange bis sich die Koalition auf einen Vorschlag der Kohlelobby einigte, nachdem die Kohlekraftwerke im besten Fall 12,5 Millionen Tonnen einsparen müssen – und dafür auch noch fürstlich entlohnt werden soll. Dabei verursachen bereits die ins Ausland exportierten Strommengen etwa 18 Millionen Tonnen CO2.

Alleine diese Kapazitäten vom Netz zu nehmen, würde also schon einen größeren Klimabeitrag liefern, als es der aktuelle Beschluss tut. 

Von sechs Terawattstunden im Jahr 2011 auf geschätzte 50 Terawattstunden 2015

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