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Mann im Teufelskostüm protestiert gegen die WTO. Banner mit der Aufschrift: "Teuflischer Ausverkauf. Umwelt ist keine Handelsware."
Santiago Engelhardt / Greenpeace

20 Jahre WTO

Die Welthandelsorganisation hat ihre Konstruktionsfehler nicht behoben

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Die Welthandelsorganisationen (WTO) startete am 1. Januar 1995  – nach 20 Jahren müssen selbst Freihandelsbefürworter feststellen: An ihrer Hauptaufgabe, neue multilaterale Handelsregeln zu initiieren,  ist die zwischenstaatliche Organisation für Handelsfragen weitgehend gescheitert. Trotz großer Ankündigungen wurde in 2 Jahrzehnten nur ein einziges neues Abkommen verabschiedet – und dieses auch nur mit Ach und Krach.

Freihandelskritiker, die mit ihren Aktivitäten während der WTO-Ministerkonferenzen 1999 in Seattle, 2003 in Cancún und 2005 in Hongkong die WTO tagelang in die Hauptnachrichten brachten, gehen inzwischen vor allem gegen andere Handelsabkommen auf die Straße:

  • gegen TTIP, das geplante Freihandels- und Investitionsabkommen der EU mit den USA
  • gegen CETA, ein vergleichbares Abkommen mit Kanada,
  • sowie gegen die derzeit 23 Länder umfassenden Verhandlungen zum neuen Dienstleistungsabkommen TISA. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie umgehen die WTO.

Angesichts des Jubiläums der Institution WTO  stellt sich also die Frage: Wie steht es nach 20 Jahren um die Organisation?

Auf löchrigem Fundament

Die inzwischen 160 Mitgliedsstaaten umfassende WTO hat drei Aufgaben:

  1. Neue globale Handelsabkommen aushandeln und vorhandene weiterentwickeln.
  2. Außerdem überprüft die Organisation, ob ihre Mitglieder sich an diese Regeln halten.
  3. Und sie bietet die Möglichkeit, Handelsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten zu klären.

Doch was der WTO für diese Aufgaben einst in die Wiege gelegt wurde, ist eher Basis für Konflikte. So zählte das nur ungenügend überarbeitetes Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) von 1947 zur Grundausstattung. Ferner bedient sie sich zwar neuer Abkommen über Landwirtschaft, Dienstleistungen, geistiges Eigentum wie Patente und den Umgang mit gesundheitlichen und technischen Standards, doch lassen diese Abkommen viele Fragen offen.

Zivilproteste in Seattle

Das höchste Organ der WTO sind die alle zwei Jahre stattfindenden Ministerkonferenzen, die häufig von Bürgerprotesten begleitet werden. Zur ersten großen Auseinandersetzung  kam es während der Konferenz 1999 in Seattle: Nach Straßendemonstrationen ruft die örtliche Polizei den Ausnahmezustand aus und fordert die Nationalgarde an. Medien berichten weltweit über die „Battle in Seattle“, die später fürs Kino verfilmt werden: „Battle in Seattle“.

Und sie rückte zwei Phänomene in den Vordergrund: die WTO und ihre Handelsabkommen sowie eine neue globalisierungskritische Bewegung. Für diese Bewegung ist die WTO das Sinnbild einer Globalisierung, die Umwelt, Menschrechte, Arbeitsstandards und gerechten Handel außer Acht lässt.

Viele Handelsrunden, kaum Ergebnisse

Im Jahre 2001 startet die nächste Handelsrunde in Doha. Hier offenbart sich der Schwachpunkt, Entwicklungsländer nicht die enstprechende Sonderbehandlung zukommen zu lassen. Dies zeigt sich auch 2003 bei der Ministerkonferenz in Cancún: Das WTO-Treffen dort bleibt ergebnislos und wird vorzeitig abgebrochen.

Das nächste Ministertreffen Ende 2005 in Hongkong wiederholt das aus Seattle und Cancún gewohnte Bild: militante Auseinandersetzungen auf den Straßen, keine Einigung in den Verhandlungsräumen. Die nächsten beiden Konferenzen, 2009 und 2011 am WTO-Sitz in Genf durchgeführt, zeigen keine substanziellen Beschlüsse, aber auch kein Scheitern. Erst die Bali-Ministerkonferenz bringt die WTO Ende 2013 positiv in die Medien: Die Mitgliedsstaaten einigen sich unter anderem auf ein Abkommen über Handelserleichterungen.

Konflikte – vorprogrammiert

Doch um einige Themen gären von Beginn an Konflikte, zum Beispiel um den Umweltschutz. Dabei nennt das Abkommen zur Errichtung der WTO vom 15. April 1994 das Bestreben, „den Schutz und die Erhaltung der Umwelt und gleichzeitig die Steigerung der dafür erforderlichen Mittel.“

Allerdings besagt ein Beschluss vom 14. April 1994, dass das neu eingerichtete WTO-Komitee für Handel und Umwelt „das Verhältnis zwischen Bestimmungen des multilateralen Handelssystems und Handelsmaßnahmen für Umweltzwecke, einschließlich solcher gemäß multilateraler Umweltübereinkommen“ behandeln soll. Wohlbemerkt: behandeln – nicht klären.

Damit ist ein zentraler Konfliktpunkt benannt: Wenn die WTO-Regeln einen freien Handel erlauben, ein Umweltabkommen diesen freien Handel jedoch einschränkt: Welche Rechtsprechung setzt sich dann durch? Schließlich kann das Handelsrecht Staaten durch Strafzölle oder das Aussetzen von Rechten sanktionieren, Umweltabkommen hingegen fehlen vergleichbare Möglichkeiten.

Ein weiterer Konflikt ergibt sich aus dem Prinzip der Gleichbehandlung der Handelspartner (Gebot der Nichtdiskriminierung): Alle ausländischen Handelspartner müssen gleich behandelt werden, kein ausländischer Partner darf schlechter gestellt werden als ein einheimischer, gleiche Produkte müssen gleich behandelt werden. Doch was sind gleiche Produkte? Ist ein Tisch aus illegal geschlagenem Tropenholz gleichzusetzen mit einem Tisch, dessen Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt? Umweltschützer sagen Nein. Sie fordern das Recht, umweltfreundliche Güter und Dienstleistungen im Handel zu begünstigen.

Bilanz nach 20 Jahren

2005 veröffentlichte Greenpeace die Broschüre „Zehn Jahre WTO“ – mit einem symbolischen Teufel auf dem Titelbild. Darin aufgelistet: 10 kapitale Fehler im System der Welthandelsorganisation. Auch im ihrem 20. Jahr hat die WTO diese Grundfehler nicht überwunden. Die elementaren Probleme wie die Konflikte zwischen Handel und Umwelt oder Arbeitsstandards bleiben ungelöst, kein Wohlfahrtseffekt für alle, schon gar nicht für die Drittweltländer.

Leider werden die Defizite der WTO nur durch die heutigen bilateralen Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP und CETA relativiert. Diese Abkommen zeigen, wie Verhandlungen noch undemokratischer und intransparenter sein können. So wirkt die WTO als multilaterale Organisation trotz aller Kritik immerhin besser als TTIP und CETA. Doch der Grundkonflikt darüber, was im globalen Handel Vorrang hat – Freifahrt für Konzerne oder Umweltschutz und Menschenrechte – besteht auch nach 20 Jahren WTO ungelöst weiter.

  • 2005 WTO Monsanto Aktion in Genf mit Walze

    Greenpeace lässt die WTO-Walze über eine Europakarte fahren und protestiert gegen die Bush-Regierung, die die Europäische Union verklagt hat, weil sie keine gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einführen will. Der Schriftzug "World Transgenic Order" spielt auf die "World Trade Organisation" an.

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  • Teufel Aktion gegen WTO 2005

    Greenpeace und andere NGOs protestieren gegen die Umweltzerstörung und wirtschaftliche Ungerechtigkeit durch ungebremste Globalisierung und die WTO (World Trade Organisation).

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  • Greenpeace-Aktivisten demonstrieren vorm WTO-Hautquartier in Genf für sicheren Handel

    Sicherer Handel, bitte!

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  • 2005 Aktion gegen WTO - Teufel

    Der Teufel steckt im Detail der WTO Grundprinzipien. Greenpeace protestiert zusammen mit anderen Organisationen gegen die negativen Auswirkungen der Globalisierung und der WTO (World Trade Organisation).

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  • WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo

    WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo

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Zehn Jahre WTO

Zehn Jahre WTO

Seit zehn Jahren besteht die Welthandelsorganisation (WTO). Ins Leben gerufen wurde sie, um den globalen, freien Handel zu fördern. Was hat die WTO bewirkt? Wem hat sie geholfen? Welche Methoden verwendet sie zur Durchsetzung ihrer Ziele? Greenpeace unterzieht die Welthandelsorganisation einer kritischen Umweltbilanz.

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