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Abstieg vom Pico da Neblina: Pflanze mit Blüte im Amazonas Regenwald, Mai 2006
Markus Mauthe / Greenpeace

Frieden, Entwicklung und Umweltschutz sind voneinander abhängig und untrennbar, Grundsatz 25 der Rio-Deklaration.

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Bekenntnisse und Formeln

Nachhaltige Entwicklung, so die Rio-Deklaration, heißt: Entwicklung muss so gestaltet werden, dass den Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen heutiger und künftiger Generationen in gerechter Weise entsprochen wird. Der Rio-Erdgipfel 1992 sollte mit dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung einen globalen Paradigmenwechsel einleiten. Dieses Prinzip lebt als Hoffnung in Tausenden von lokalen Agenden und Initiativen. Als Bekenntnis oder auch nur Beschwichtigungsformel findet es sich in nationalen und internationalen Gesetzen und Verordnungen und in Unternehmensethiken.

Schon viele der in Rio beschlossenen Aktivitäten waren zu unkonkret formuliert oder scheiterten, weil niemand das nötige Geld zur Verfügung stellte. Seit Rio fiel die Auslandshilfe von 69 Milliarden US-Dollar im Jahr 1992 auf 53 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000, und die Schulden der Entwicklungsländer stiegen um 34 Prozent. Auch waren die Industrieländer nicht willens, ihren Konsum- und Ressourcenverbrauch maßgeblich zu reduzieren.

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Die WTO sorgt für verschärfte Ausbeutung

Die gleichen Industriestaaten, die sich in Rio zu ihrer Verantwortung bekannt hatten, hoben 1994 die Welthandelsorganisation (WTO) aus der Taufe. Die WTO machte sich daran, jede Handelsgrenze und jeden Wirtschaftsraum auf der Welt aufzubrechen und den transnationalen Unternehmen zugänglich zu machen. Seitdem beherrscht eine andere Diskussion die Agenda der Weltpolitik. Die neoliberale Freihandelsoffensive setzt die Ausbeutung der Welt unter verschärften Bedingungen fort. Während Dutzende von Staaten zu Privatisierung, Liberalisierung und Subventionsabbau gezwungen werden, schotten sich die reichen Staaten durch Schutzzölle und Subventionen gegen Produkte der Südländer ab. Sie subventionieren fossile Energieträger, deren Abbau die Menschen und die Umwelt vor Ort schädigt und mit deren Verbrennung der Klimawandel beschleunigt wird. Der richtet gerade in den Gebieten der Ärmsten die schlimmsten Verwüstungen an. So werden die Armen immer ärmer und die Reichen noch reicher. "Das wird in Afrika zunehmend als Aggression empfunden", sagt Klaus Töpfer, der Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).

Zehn Jahre nach Rio ist also die Umsetzung der 27 Grundsätze der Rio-Deklaration um so dringlicher geworden. So ist Grundsatz 1: "Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur", geradezu ein Hohn für die Millionen von Menschen, die in Armut leben, die Hunger- und Umweltkatastrophen erleiden. Auch für die Ziele Beseitigung der Armut als Aufgabe von grundlegender Bedeutung (Grundsatz 5), Abbau von nicht-nachhaltigen Produktions- und Verbrauchsstrukturen (Grundsatz 8) oder Entwicklung eines Rechts zur Haftung und der Entschädigung der Opfer von Umweltschäden (Grundsatz 13) haben die Regierungen fast nichts getan. Selbst in den Millennium-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen aus dem Jahre 2000 wird hingenommen, dass auch in Zukunft mehr als 200 Millionen Menschen unter extremer Armut und mehr als 400 Millionen Menschen an Hunger leiden müssen. Der Geist von Rio ist verblasst.

Chance zur Umkehr: Weltgipfel in Johannesburg

Der Weltgipfel in Johannesburg bietet die große Chance zur Umkehr. Wieder sind über 170 Staaten versammelt, wieder liegen die gleichen Probleme auf dem Tisch. Die Erfordernisse sind klarer als zuvor und die Vorschläge konkreter denn je. Anders als in Rio ist heute allen Beteiligten klar: Wir brauchen verbindliche politische Leitlinien für soziale und ökologische Maßnahmen, wir brauchen konkrete Programme mit zeitlich festgelegten Zielvorgaben und Finanzierungsmechanismen. Und wir brauchen Institutionen zur Umsetzung und Überwachung der Maßnahmen. Wenn Rio die Stunde der Wahrheit war, muss Johannesburg die Stunde der Klarheit sein.

Dazu muss vor allem die Politik das Heft wieder in die Hand nehmen und die Ökonomie gestalten - statt umgekehrt. Eine entschlossene Politik kann in Johannesburg das Ruder herumreißen, damit Armutsbekämpfung, Umweltschutz und Frieden tatsächlich eine Chance haben.

Greenpeace-Kernforderungen

Angesichts des bisherigen Versagens der Politik auf internationaler Ebene, Nachhaltigkeitsprinzipien tatsächlich umzusetzen, fordert Greenpeace vor allem:

1. Vorrang einer auf Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit ausgerichteten Politik

Die Welt braucht eine Politik, die vorrangig auf Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Wirtschaftliche Interessen dürfen nicht weiterhin ausschließlich das Handeln bestimmen. Die Regierungen müssen endlich auf nationaler wie internationaler Ebene verbindliche Regelungen beschließen, wie eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden kann. Dazu müssen sie konkrete Ziele aufstellen und konkrete Zeitrahmen benennen, innerhalb derer die Ziele erreicht werden. Sie müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, um diese Ziele zu erreichen und das dafür notwendige Geld bereitstellen. Ferner müssen Regierungen dafür Sorge tragen, dass die Umsetzung der Beschlüsse regelmäßig überprüft und die Beschlüsse eingehalten werden

2. Industrieländer müssen für ihre ökologischen Sünden die Rechnung begleichen

Die Entwicklungszusammenarbeit muss gestärkt werden. Die Industrienationen müssen ihre Jahrzehnte alte Zusage umsetzen, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Inkompetente Regierungen sind Teil des Problems der Fehlentwicklung in vielen Ländern. Deshalb müssen die Bemühungen der Vereinten Nationen gestützt und verstärkt werden, eine sinnvolle Verwendung der Entwicklungsgelder vor Ort zu garantieren. Die Industrieländer müssen anerkennen, dass der von ihnen in Rio unterzeichnete Grundsatz der "gemeinsamen, jedoch unterschiedlichen Verantwortung" konkret heißt: Sie müssen für ihre ökologischen Sünden in Vergangenheit und Gegenwart die Kosten tragen. Das heißt, die Industrieländer müssen deutlich mehr Geld für die Entwicklung der ärmeren Länder ausgeben und gleichzeitig ihren Konsum und Ressourcenverbrauch reduzieren.

3. Stärkung der Institutionen und Abkommen des Umweltschutzes

Die bei den Vereinten Nationen angesiedelten Umweltinstitutionen - das Umweltprogramm (UNEP) und die Sekretariate der Umweltabkommen, die Kommission für nachhaltige Entwicklung - müssen gestrafft, gestärkt und finanziell besser ausgestattet werden. Nur so können sie eine aktivere Rolle bei der Entwicklung globaler Umweltpolitik spielen. Die in der Rio-Deklaration festgehaltenen Kernprinzipien des Umweltschutzes (wie das Vorsorge- und das Verursacherprinzip) müssen verbindlich in internationalen Abkommen und Handelsregeln verankert werden.

4. Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter

Die Regierungen müssen national wie international die natürlichen Ressourcen schützen, die als Gemeinschaftsgüter die Lebensgrundlage der Menschen bilden. Zu diesen Gemeinschaftsgütern zählen Boden, Wasser, Luft, Klima, Wälder, Meere und die biologische Vielfalt (genetische Ressourcen).

5. Schaffung eines internationalen Abkommens zur Umwelthaftung von Unternehmen

Bis zum Jahre 2005 muss eine global gültige Rahmenvereinbarung getroffen werden, nach der Unternehmen für die Folgen ihrer Investitionen und Aktivitäten verantwortlich gemacht werden können. An erster Stelle steht das Haftungsrecht für Unfälle und Umweltschäden.

6. Erneuerbare Energien, Atomenergie, Klimaschutz

Die Ölkonzerne müssen im nächsten Jahrzehnt den Ausstoß von mindestens fünf Prozent der Treibhausgase, die von ihnen zu verantworten sind, durch den schrittweisen Ausbau erneuerbarer Energien reduzieren. Der Bau neuer Atomkraftwerke muss sofort gestoppt werden. Die Wiederaufarbeitung von Plutonium und die Herstellung von Mischoxid-Brennelementen muss eingestellt werden. Das Kyoto-Protokoll muss noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) müssen innerhalb der nächsten zehn Jahre 20 Prozent ihrer Energieversorgung aus erneuerbaren Energien abdecken. Alle anderen Länder sollten im selben Zeitraum einen Anteil von fünf Prozent erreichen.

7. Wälder

Die Aktivitäten der Forst- und Holzindustrie müssen durch verbindliche Abkommen kontrolliert werden. Nur so lässt sich eine weitere Zerstörung der letzten verbliebenen Urwälder verhindern. Das 2002 beschlossene Waldarbeitsprogramm der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) ist umgehend umzusetzen. Mindestens 17 Milliarden Euro müssen jährlich zum Schutz der Urwälder zur Verfügung gestellt werden. So können entsprechende Schutzgebiete für die nachhaltige Waldnutzung durch die indigene und lokale Bevölkerung sowie die Umsetzung des Waldarbeitsprogramms gewährleistet werden.

8. Saubere Produktionsweisen

Das Basler Übereinkommen zum grenzüberschreitenden Handel mit gefährlichen Abfällen und das Stockholmer Übereinkommen zum weltweiten Verbot von Dauergiften (POPs-Konvention) müssen von allen Länder ratifiziert und umgesetzt werden. Die Liste der unter ein Verbot fallenden Dauergifte muss permanent ergänzt werden, um auch weitere gefährliche Chemikalien mit einem weltweiten Verbot zu belegen.

9. Landwirtschaft und Gentechnik

Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen muss gestoppt werden. Die biologische Vielfalt muss flächendeckend in der freien Natur selbst und nicht nur in Reservaten und Genbanken erhalten werden.

10. Meere

Die Vereinten Nationen müssen ein internationales Umweltabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt der Meere beschließen. Schon jetzt müssen sich die Staaten darauf verständigen, keine gentechnisch veränderten Organismen in Meeren freizusetzen.

Schlussbemerkung:

Sämtliche Regierungen müssten eigentlich dazu verpflichtet werden zu erklären, warum sie zehn Jahre lang untätig waren. Sinnvoll in diesem Zusammenhang wäre es, Regierungen dazu zu verurteilen, für jedes Handlungsziel, das sie in Rio eingegangen sind und bis heute nicht erreicht haben, beispielsweise 10 Milliarden Euro/Dollar an die Vereinten Nationen zu überweisen.

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