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Matthias Flieder, Experte für Handel bei Greenpeace
© Michael Loewa / Greenpeace

Was bedeutet Belgiens Haltung zu CETA?

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Update vom 27. Oktober, 11 Uhr:

Die für heute geplante Unterzeichnung des europäisch-kanadischen Handelsabkommens CETA musste verschoben werden. Auch nach mehrtägigen Nachverhandlungen konnten die Vertreter der belgischen Region Wallonie dem Vertrag nicht zustimmen.  

"Statt sich über Wallonien zu empören, sollten die  Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission diese Atempause nutzen und beweisen, dass Europa einen fairen Welthandel gestalten kann", sagt Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace. "Wir brauchen Handel, aber seine Regeln müssen transparent und demokratisch entwickelt werden und höchste Standards setzen.“

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„Es geht um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union“, warnt die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström diejenigen, die nach wie vor das Handelsabkommen CETA mit Kanada nicht wollen. Andere sehen gar das Ende der EU besiegelt oder fragen sich, ob die Wallonen spinnen. Die Emotionen kochen hoch, seit die Wallonie, die französischsprachige Region Belgiens, CETA nicht zustimmen will. Nach tagelangem Gezerre bleiben die Wallonen bislang beim Nein, Belgien kann somit nicht zustimmen und die EU den Vertrag am kommenden Donnerstag nach jetzigem Stand nicht unterschreiben. Matthias Flieder, Experte für Handel bei Greenpeace, erklärt, was dahintersteckt und welche Folgen die aktuellen Entwicklungen haben können.

Greenpeace: Versagt Europa wirklich? Wie ist es zu bewerten, dass Europa sich nicht auf CETA einigen kann?

Matthias Flieder: Jetzt passiert endlich, was lange überfällig ist. Die EU-Staaten setzen sich intensiv mit CETA auseinander und bringen ihre Vorstellungen ein. Das war lange Zeit gar nicht möglich. Die EU-Kommission und Kanada haben den Vertrag fünf Jahre lang bis 2014 geheim ausgehandelt. Dann gab es ab November 2015 weitere Geheimverhandlungen mit der neuen kanadischen Regierung  – die Parlamente der EU-Staaten waren dabei außen vor. Wäre der ganze Prozess von Anfang an offener gewesen, hätten strittige Punkte wie das neue System für Sonderklagerechte der Konzerne viel früher diskutiert werden können. Dann hätte es solch eine Situation nicht gegeben. Das was jetzt passiert, ist kein Versagen – das ist Demokratie.

Eine schwere Last, die da gerade auf Belgien lastet. Macht Belgien Europa wirklich handlungsunfähig?

Es wird so getan, als ob die Region Wallonien mit ihren 3,6 Millionen Menschen gerade die Geschicke von 500 Millionen EU-Bürgern maßgeblich bestimmt. Das stimmt nicht. Millionen EU-Bürger haben in den vergangenen Monaten deutlich gemacht, warum sie CETA und TTIP ablehnen. Hier geht es nicht um Partikularinteressen, sondern um grundsätzliche Fragen zu Demokratie, Umwelt- und Verbraucherschutz. Juristen, Gewerkschaften auch die SPD haben Bedenken geäußert. Österreich hatte angekündigt, dem Abkommen nicht zustimmen zu wollen.

Im Gegensatz zu den Wallonen haben die SPD und Österreich sich aber gedrückt und sich abspeisen lassen mit vagen Versprechen und Zusatzprotokollen. Das machen die Wallonen nicht, die bleiben bei ihren Forderungen - ich habe großen Respekt davor.

CETA sei ein fortschrittliches Abkommen, heißt es. Wenn die EU CETA  nicht zustimmen kann,  würde sie gar keine Handelsverträge mehr abschließen können. Stimmt das?

Handelsverträge wie CETA und auch TTIP sind nicht mehr vergleichbar mit früheren Abkommen, bei denen es hauptsächlich um die Absenkung von Zöllen ging. CETA und TTIP gehen viel weiter – sie gefährden europäische Umwelt- und Verbraucherstandards und betreffen jeden.  Darum rufen sie auch so viel Protest hervor. Ein fortschrittliches Abkommen muss sich nicht hinter verschlossenen Türen verstecken. Wenn die EU die Argumente ihrer Bürger ernst nimmt und entsprechend handelt, wird sie auch die Unterstützung der Bevölkerung bei künftigen Abkommen erhalten.

Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland erklärte, dass die EU derzeit offensichtlich nicht in der Lage sei, ein internationales Abkommen zu schließen – nicht einmal mit Kanada, das doch die gleichen Werte teilen würde.

Die Werte sind sich sehr ähnlich, das stimmt, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass große Konzerne sehr viel Macht bekommen und Menschen, Umwelt und unsere Demokratie darunter leiden würden. Und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks! Die Gegner des Abkommens stellen sich nicht gegen die Kanadier, sondern gegen CETA.

Was passiert durch Belgiens Nein – ist CETA dann vom Tisch?

Vermutlich platzt der EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober, bei dem CETA unterschrieben werden sollte. Damit ist CETA aber noch nicht gescheitert – es gibt ja keine vertraglich festgelegten Fristen. Entscheidend ist viel mehr, ob die Verhandlungspartner weiterhin an einer Einigung interessiert sind – ob die EU und Kanada bereit sind, am Vertrag, der als ausgehandelt gilt, noch was zu verändern.

Bislang sind die Verhandlungsführer der EU und Kanadas nicht ausreichend auf die Kritik eingegangen. Auch die Wallonen hatten bereits vor einem Jahr geäußert, dass sie dem in CETA vorgesehenen Sonderklagerecht für Konzerne nicht zustimmen können und um die Standards ihrer Landwirtschaft fürchten.

Lehnt Greenpeace generell den internationalen oder auch globalen Handel ab?

Handel ist grundsätzlich richtig und wichtig. Wenn aber dem Handel andere Dinge untergeordnete werden, wie zum Beispiel Umweltschutz oder Verbraucherrechte, dann läuft etwas schief.

Derart umfangreiche Handelsabkommen wie CETA, die sich so stark auf das Leben der Menschen auswirken, müssen offen und transparent verhandelt werden. Was es jetzt braucht, ist ein Verhandlungsprozess, der auf die Argumente der Bevölkerung eingeht und die Zivilgesellschaft beteiligt.

Das, was die EU-Kommission kürzlich mit ihren Zusatzprotokollen veröffentlicht hat, genügt nicht. Grundsätzliche Bedenken wie die nicht ausreichende Verankerung des europäischen Vorsorgeprinzips oder das Sonderklagerecht für Konzerne sind nach wie vor nicht ausgeräumt. Die Öffentlichkeit bekommt ja auch gerade präsentiert, wozu das führen kann: Vattenfall verklagt  Deutschland wegen des Atomausstiegs vor einem Schiedsgericht in Washington auf Schadensersatz in Milliardenhöhe. Mit CETA würde solch ein Mechanismus noch stärker verankert.

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