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Greenpeace/Malcolm Pullman

Grundschleppnetz-Fischerei bedroht Artenvielfalt

Die Tiefsee gilt als eine der letzten unerforschten Regionen unseres Planeten. Nur wenige Menschen haben bisher die atemberaubenden Landschaften mit ihren steilen Gebirgszügen und tiefen Tälern gesehen. Wenn große Fischereiflotten weiter wie bisher mit ihren Netzen die Tiefsee durchpflügen, zerstören sie diesen einzigartigen Lebensraum.

Unser Wissen über die Tiefsee hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Die Welt tief unter der Ozeanoberfläche ist sehr viel artenreicher als je vermutet wurde. Wissenschaftler: innen und auch Fischende wissen heute, wie mannigfaltig das Leben in der Tiefe ist. Und viele Arten gilt es noch zu entdecken. Mittlerweile schätzen Forscher: innen die Vielfalt in der Tiefsee auf mehr als zehn Millionen Arten: durchaus vergleichbar mit dem einzigartigen Reichtum der tropischen Regenwälder.

Geheimnisvolle Bergwelten in der Tiefsee

Ein großer Teil der Artenvielfalt der Tiefsee findet sich im Bereich der Seeberge (Seamounts). Schätzungen zufolge gibt es weltweit bis zu 100.000 solcher Berge, die sich 1000 Meter und mehr vom Meeresboden abheben - ohne dabei jedoch die Wasseroberfläche zu erreichen. Tiefseeberge sind Wuchsort von seltenen Korallen und Schwämmen und bieten einen Lebensraum für weitere tausende von Tierarten.

Sie sind wie Oasen in der Wüste: An den Hängen sorgen Meeresströmungen für einen Auftrieb an nährstoffhaltigem Tiefenwasser was in der Folge zu einer enormen Ansammlungen von Plankton führt. Davon wiederum profitieren größere Räuber. Im freien Wasser lebende (pelagische) Fische nutzen die Berge als Laichplätze. Andere Hochseearten suchen nach ihren weiten Wanderungen gezielt einen Ruheplatz an den Seebergen. Auch kommerziell genutzte Fischarten leben an den Seebergen. Darunter finden sich Granatbarsch, Grenadier, Blauleng, Petersfisch oder auch Schwarzer Degenfisch. Da die meisten Seeberge weit isoliert voneinander liegen, entdecken Wissenschaftler auf jeder Expedition neue und meist auch endemische Arten - also Arten, die weltweit nur an einem Ort vorkommen.

Grundschleppnetz-Fischerei

Nicht nur die Erforschung der Tiefsee ist mittlerweile möglich, auch für die Fischindustrie sind 1500 Meter Wassertiefe kein Hindernis mehr. Höhere Motorenleistung, größere Netze, detailliertere Seekarten und verbesserte Navigations- und Sonarelektronik ermöglicht es in diese Tiefen vorzudringen. Selbst Canyons und Steingründe werden befischt.

Die riesigen Netze sind mit schweren Eisenplatten und Vorlaufketten bestückt. Für das Öffnen und Führen der Schleppnetze am Meeresboden werden zwei große Scherbretter verwendet, die bis zu fünf Tonnen schwer sind.Die Folge: Alles was sich diesen Netzen in den Weg stellt wird zermalmt. Fragile Hindernisse wie Korallenriffe haben keine Chance. Innerhalb von einigen Wochen zerstören die Schleppnetze das, was über Jahrtausende gewachsen ist. Übrig bleibt blanker Fels, Geröll und Korallenschutt. So werden die Tiefsee Lebensräume vollständig zerstört, vergleichbar mit dem Kahlschlag der Urwälder. Und einmal zerstört, können sich die Korallen – wenn überhaupt – erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten wieder regenerieren. Bei jedem Schleppnetzzug gehen endemische und bisher unbekannte Arten für immer verloren. Dokumentiert sind solch verheerende Schäden bereits vor den Küsten von Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland.

Ein weiteres Problem der riesigen Netze: Neben den Zielfischen gehen den Fischtrawlern auch große Mengen an weiteren Fischarten und anderen Tieren ins Netz. Der so genannte Beifang. Diese nicht gewollten Tiere werden tot oder schwer verletzt über Bord geworfen. Laut eines Berichtes der Umweltbehörde der Vereinten Nationen (UNEP) gingen allein bei der Schleppnetzfischerei vor den Aleuten von 1990 bis 2002 mehr als zwei Millionen Kilogramm an Korallen und Tiefseeschwämmen als Beifang wieder über Bord.

Sinnlose Zerstörung

Rund drei Millionen Fischereiboote sind derzeit auf den Weltmeeren unterwegs – nur einige Hundert davon sind Hochseeschiffe. Genau diese zerstören jedoch die Tiefsee. Das krasse Missverhältnis zwischen Anzahl der Schiffe und dem zerstörerischen Potenzial zeigt sich auch beim wirtschaftlichen Nutzen der Tiefseefischerei. Im Jahr 2001 fing die Hochsee-Schleppnetzflotte mit 170.000 bis 215.000 Tonnen Fisch nur ca. 0,25 Prozent der weltweit pro Jahr gefangenen Menge (84 Millionen Tonnen). Insgesamt erwirtschaftet die Hochseefischerei geschätzte 300 bis 400 Millionen US-Dollar - nur etwa 0,5 Prozent der weltweit durch Fischfang erbrachten Gewinne (75 Milliarden US-Dollar) im Jahre 2001. Stellt man die katastrophalen ökologischen Auswirkungen dem gegenüber stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Fischerei. Auch für die globale Nahrungsversorgung spielt die Tiefseefischerei keine Rolle: Die größten Abnehmer für Tiefseefische sind die Europäischen Union, USA und Japan.

Trotz all dem wird die Situation in Zukunft nicht besser: Die Nachfrage nach Fischprodukten wird weiter anwachsen und manche Nationen werden noch mehr der irrtümlichen Idee verfallen, dass die hohe See (außerhalb der territorialen Gewässer) neue Einsatzgebiete bietet - ein Ausweg aus dem Dilemma der Flottenüberkapazitäten und leeren Fischgründe in ihren eigenen territorialen Gewässern. Schon jetzt subventionieren einige Fischereinationen den Ausbau ihrer Hochsee-Trawlerflotte und erkunden aktiv die Fischgründe der Tiefsee im Atlantik, Südpazifik und Süd-Indischen Ozean. Jedoch wird sich die Gesamtffangmenge an Tiefseefischen nicht signifikant erhöhen lassen: Die Bestände dieser langlebenden und spät-vermehrenden Fische sind schnell weggefischt und den Trawlern bleibt nur die Möglichkeit zum nächsten Bestand weiter zu ziehen. Das einzige, was mit Sicherheit zunehmen wird ist die Anzahl der zerstörten Ökosysteme und ein endgültiger Verlust von Arten.

Fischereimanagement für die Hochsee

Weltweit gibt es derzeit etwa 30 internationale Fischerei-Organisationen. Einige der so genannten Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement (Regional Fishery Management Organisation, RFMO) haben – zumindest theoretisch – die Befugnis und die technische Ausstattung zum Überwachen der Fischbestände, zum Ausweisen von Fangquoten einzelner Fischarten, zum Beschränken der Flottenkapazitäten, zum Inspizieren der Fischerboote und zum Erlassen von Vorschriften bezüglich des Fanggerätes. Allerdings hat ein Großteil der RFMOs wenige echte rechtliche Möglichkeiten, gegen die zerstörerische Grundschlepppnetzfischerei vorzugehen und so die Tiefseeökosysteme zu schützen. Und selbst diese RFMOs können nur die Schiffe ihrer jeweiligen Mitgliedsländer kontrollieren.

Ein weiteres Problem ist die Zersplitterung und Inkonsistenz der RFMOs, wenn es um das Fischereimanagement der hohen See geht. So unterliegt die Fischerei, also auch die Grundschleppnetzfischerei, im Pazifischen und Indischen Ozean, ebenso wie im zentralen und südwestlichen Atlantik keinem Fischereimanagement und wird demnach nicht überwacht.

Nordatlantik, Südostatlantik, Südmeer und Mittelmeer hingegen stehen unter Aufsicht regionaler Abkommen. Mit Hilfe der Abkommen im Nordwestatlantik (NAFO) und Nordostatlantik (NEAFC) sind sogar erste kleine Erfolge zum Schutz der Tiefsee gelungen. So hat die NEAFC im November 2004 beschlossen, dass die Fischerei an vier Seebergen und entlang einer Zone am Mittelatlantischen Rücken für drei Jahre verboten wird. Der Internationale Fischereirat für das Mittelmeer (GFCM) hat sich im Februar 2005 für ein grundsätzliches Verbot der Grundschleppnetzfischerei unterhalb von 1000 Meter Wassertiefe ausgesprochen.

Diese ersten kleinen Schritte reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um die Tiefsee wirksam zu schützen. Das Errichten von RFMOs und die weltweite Überwachung der Fischerei mit einem gültigen Regelwerk für alle Fischereinationen bleibt ein zu langsamer Prozess.

Die UN könnte helfen

Nur die UN ist in der Lage, die Tiefseeökosysteme zu schützen und Grundschleppnetzfischerei auf der hohen See zu verbieten. Eine Verantwortung, der sich die Mitgliedstaaten auch aufgrund von internationalem Druck zunehmend bewusst werden. Allerdings sind die Schritte der UN zum Schutz der Tiefsee noch längst nicht ausreichend. Bislang fordern die Vereinten Nationen in einer Erklärung aus dem Jahr 2003 lediglich, dass die globalen und regionalen Fischereiorganisationen wissenschaftliche Fakten zusammentragen und die Risiken für gefährdete und sensible Ökosysteme außerhalb der nationalen Grenzen besser abschätzen sollen.

Seitdem hat der Druck auf die UN stetig zugenommen. Ein Jahr später, im Februar 2004, haben die Teilnehmer: innen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) auf ihrer Staatenkonferenz die UN aufgefordert, zügig zu handeln und Meeresgebiete außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer vor zerstörerischen Fischereipraktiken zu schützen.

Im gleichen Monat sprachen sich mehr als 1100 Wissenschaftler: innen aus aller Welt in einer Erklärung (Statement of concern) für ein sofortiges Verbot (Moratorium) der Grundschleppnetzfischerei auf der Hohen See aus.

Zwar hat es seitdem weitere UN-Verhandlungen zum Schutz der Tiefsee gegeben. Dessen ungeachtet konnte für ein Moratorium bei den Mitgliedsstaaten jedoch keine Mehrheit gefunden werden. Stattdessen einigte sich die Kommission für Meere und nachhaltige Fischerei darauf, dass die Mitgliedsstaaten einzeln oder durch die regionalen Fischereiorganisationen aktiv werden sollten. Zudem wurde eine informelle Arbeitsgruppe gebildet, die sich den Themen Meeresschutz und der nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität für Gebiete außerhalb nationaler Rechtssprechung genauer annehmen soll.

Wir aber wissen: RFMOs sind nicht flächendeckend und in ihrer Befugnis sehr lückenhaft. Ihre rechtliche Stärkung und/oder Neu-Einrichtung bedarf langer Zeiträume. Ein Zwischenbericht über den Fortschritt ist für das Jahr 2006 anvisiert. Zwei Jahre, in denen die Zerstörung der Tiefseeschätze unvermindert fortgesetzt wird!

Greenpeace fordert:

  • Sofortverbot der Grundschleppnetzfischerei auf der hohen See
  • Den Stopp, die Meere leer zu fischen: Die Bewirtschaftung muss stets nach dem Vorsorgeprinzip erfolgen.
  • Faire Fischereiabkommen zwischen armen und reichen Ländern: Die Ausbeutung muss ein Ende haben.
  • Weltweite Meeresschutzgebiete: Mindestens 40 Prozent der Meere müssen dauerhaft geschützt werden.

Das können Sie tun:

Kaufen Sie nur Fische aus Beständen, die nicht überfischt sind und nicht mit zerstörerischen Fangmethoden gefangen werden. Infos dazu finden Sie im Greenpeace-Ratgeber Fisch & Facts. Den Ratgeber können Sie unter der Telefonnummer 040-30618-0 auch bestellen.

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