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Grafik: Das Fassungsvermögen eines Supertrawler-Netzes
Greenpeace

Die Jagd auf den letzten Fisch

Leere Meere

Seit dem Jahr 1970 hat sich die Kapazität der Fischereiflotte weltweit verdoppelt. Von den rund vier Millionen Fischereischiffen im Einsatz sind zwar nur etwa ein Prozent industrielle Trawler, diese erbeuten jedoch über die Hälfte der Gesamtfangmenge von rund 90 Millionen Tonnen pro Jahr. Technologische Raffinessen machen es möglich: Echolot und Radar orten Fischschwärme selbst in entlegensten Winkeln. Durch effizientere Fangtechniken wird die Situation immer kritischer.

Die Welternährungsorganisation (FAO) schätzt, dass von den weltweit kommerziell genutzten Fischbeständen 52 Prozent bis an ihre Grenze genutzt, 19 Prozent überfischt und 8 Prozent bereits erschöpft sind. Laut Wissenschaftlern wurden die Bestände der großen Raubfische wie Thunfisch, Schwertfisch und Kabeljau innerhalb von 50 Jahren um bis zu 90 Prozent dezimiert. Sie prognostizieren einen Kollaps der meisten kommerziellen Fischereien bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. In den europäischen Meeren ist die Situation ebenso dramatisch: 88 Prozent der europäischen Speisefischbestände sind überfischt, und 30 Prozent dieser Bestände befinden sich außerhalb sicherer biologischer Grenzen, so dass möglicherweise keine Erholung mehr erfolgt.

Verschwendung von Leben

Einer der schlimmsten Auswüchse der Fischerei ist der Beifang. In riesigen Netzen verfangen sich neben kommerziell verwertbaren Fischen auch andere Lebewesen, unter anderem Jungfische, Vögel, Schildkröten und sogar Haie oder Wale. Tot oder schwer verletzt werden diese Tiere wieder über Bord geworfen. So werden weltweit jedes Jahr bis zu 30 Millionen Tonnen Leben verschwendet. Extrem viel Beifang - bis zu 80 Prozent - erzeugt die Jagd nach Tieren, die im oder auf dem Boden leben, darunter Scholle, Seezunge und Krabben. Dabei werden Grundschleppnetze mit schwerem Geschirr über den Meeresboden gezogen. Sie nehmen alles mit, was dort wächst und krabbelt.

Auch die Treib- und Stellnetzfischerei verursachen unerwünschten Beifang. Eines der Opfer: Schweinswale, die in Europa am stärkste bedrohte Walpopulation. Allein in der dänischen Stellnetzfischerei sterben über 5.000 Schweinswale pro Jahr. Bei der Industriefischerei in der Nordsee, auch Gammelfischerei genannt, werden zum Teil noch lebende Fische, häufig Sandaal und Sprotte, zu Fischmehl und Fischöl verkocht. Jedes Jahr enden so rund 20 Millionen Tonnen Fisch als billiges Futter für Hühner, Schweine oder auch Garnelen und Lachse in der Aquakultur. Für die Produktion von nur einem Kilogramm Lachs können bis zu vier Kilo Fischmehl oder Fischöl nötig sein.

Verwüstung unter Wasser

Keine andere Fangmethode ist so zerstörerisch wie die Grundschleppnetzfischerei. Kostbare Lebensräume wie Korallenriffe werden dem Erdboden gleichgemacht, Bodenlebewesen zerquetscht oder untergepflügt. Mittlerweile dringen die Schleppnetzfischer in 2.000 Meter Tiefe vor, wo es besonders empfindliche Ökosysteme wie Tiefseeberge (Seamounts) gibt. Sie erheben sich zum Teil mehr als 1.000 Meter vom Meeresboden und sind ein einzigartiger Lebensraum für Tausende Tierarten. Tiefseefische sind besonders anfällig, überfischt und ausgerottet zu werden. Denn in der Tiefe wachsen Tiere langsam und vermehren sich spät, etwa der Atlantische Sägebauch: Er wird erst mit 25 Jahren geschlechtsreif, kann dafür aber 150 Jahre alt werden.

Piratenfischer

Die illegale Fischerei verschärft die Krise. Piratenfischer scheren sich nicht um internationale Fischereiabkommen. Mit riesigen Fangschiffen jagen sie am liebsten dort, wo wenig kontrolliert wird, etwa im Südpolarmeer, Pazifik oder vor Westafrika. Sie tarnen sich, indem sie ihre Schiffe in Billigflaggenländern registrieren lassen oder ganz ohne Flagge fahren. Nicht selten sitzen die Schiffseigner in Europa, Japan oder den USA. Der Umsatz illegaler Fischerei wird weltweit auf bis zu sieben Milliarden Euro geschätzt.

Ausbeutung der Armen

Leere Meere vor der eigenen Haustür kann die Gier der Länder auf der Nordhalbkugel nicht stoppen. Sie verschieben einfach ihre Probleme in den Süden der Welt. Die Supertrawler der Reichen schöpfen den Meeresreichtum der Armen ab - und das zu skandalösen Dumpingpreisen.

Fischereiabkommen mit kleinen pazifischen Inselstaaten bringen den Partnern wenige Prozente des eigentlichen Warenwerts. Beispiel westlicher Pazifik: Hier holen internationale Flotten rund 70 Prozent des Gesamtfangs an Thunfisch aus dem Meer, im Wert von über vier Milliarden Euro. Und obwohl 80 Prozent des Fangs in den Hoheitsgewässern der Pazifischen Inselstaaten stattfindet, erhalten diese nur zwei bis fünf Prozent des Fangwerts durch den Verkauf ihrer Fischereirechte.

Als fatale Folge dieser Unfairness kehren die lokalen Fischer immer häufiger mit leeren Netzen heim. Ihre zentrale Einnahmequelle und vielerorts einzige Eiweißquelle fehlt.

Verfehlungen der Politik

Die Politik fördert die Überfischung: Fangquoten liegen regelmäßig weit über den Empfehlungen der Wissenschaftler, die Fangmethoden sind viel zu zerstörerisch, und die Flottenkapazität ist weltweit 50 Prozent zu hoch - gefördert durch Subventionen. Zudem sind Kontrollen zu selten und Strafen zu gering.

Nicht zuletzt fehlt noch immer die Umsetzung des ökosystemaren Ansatzes und Vorsorgeprinzips im Fischereimanagement. Damit bricht zum Beispiel die Europäische Union interantionale, gesetzlich bindende Verpflichtungen, denn im Plan von Johannesburg 2002 hat sie einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Fischbestände bis 2015 zugestimmt. Insgesamt dominiert kurzfristiger Profit über langfristige Nutzung.

Vielerorts fehlt ein Fischereimanagement ganz, vor allem in Gebieten der Hohen See außerhalb der 200 Seemeilen-Zonen vor der Küste. Seitdem die Küstenmeere leer gefischt sind, wird die Hohe See von Fischtrawlern immer häufiger aufgesucht.

Lösungen

Die Krise der Weltmeere mit ihren verheerenden Folgen für viele Fischbestände, Fischer und das fischverarbeitende Gewerbe erfordert ein radikales Umdenken. Die Bewirtschaftung muss sich konsequent an der Produktivität des Fischbestandes orientieren, das heißt: Es darf nur so viel Fisch gefangen werden wie auch nachwachsen kann. Außerdem muss die Auswirkung der Fischerei auf das gesamte Ökosystem beachtet werden: Ein nachhaltiges Fischereimanagement folgt dem Vorsorgeprinzip und dem ökosystemaren Ansatz. Ebenso sind Meeresschutzgebiete ein wesentlicher Baustein. Da ihre Einrichtung häufig lange dauert, müssen als erster Schritt spezielle Sofortverbote durchgesetzt werden, etwa für zerstörerische Fischereimethoden innerhalb einzelner Gebiete. Langfristig geben aber nur großflächige Schutzgebiete - frei von Nutzungen wie Fischerei, Sand- und Kiesabbau - dem Meer eine Chance auf Regeneration.

Neben der Politik sind auch die Fischer, die Fischindustrie und der Lebensmittelhandel gefordert. Letzterer trägt besondere Verantwortung: Als Schnittstelle zwischen Verbraucher und Fischindustrie entscheidet sich dort, welcher Fisch wie gekennzeichnet in den Supermarktregalen liegt. Grundlage für die Firmen sollte eine Einkaufspolitik für Fisch und andere Meeresfrüchte sein, die Folgendes einschließt: den Verzicht auf bedrohte Arten und Bestände, Nachhaltigkeit, Rückverfolgbarkeit, eine vollständige Kennzeichnung und Transparenz.

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