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Bertigulan Abete - mit zwei ihrer Kinder - nimmt mit ihrem Ehemann in Äthiopien an einem ökologischen Projekt teil. Sie lebt ein einfaches Leben aber muss nicht hungern, 2001.
Matthias Ziegler/Greenpeace

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Online-Redaktion: Die Erträge müssen gesteigert werden - heißt es. Doch geht das überhaupt und laugt das nicht langfristig die Böden aus?

Jürgen Knirsch: Interessanterweise ist von dem US-amerikanischen Rodale-Institut veröffentlicht worden, die Behauptung, Ökolandbau liefere schlechtere Erträge als konventioneller, sei falsch. Die Forscher haben gezeigt, dass man mit biologischem Landbau dieselben Erträge erreicht - und dass die Pflanzen im Ökolandbau viel widerstandsfähiger zum Beispiel gegen Trockenheit sind als konventionelle.

Wir können die Erträge in der konventionellen Landwirtschaft nicht großartig weiter steigern, weil die Pflanzen züchterisch ausgereizt sind. Zudem beruhen die bisherigen Steigerungen auf einem enormen Düngemitteleinsatz mit Stickstoff, was zu massiven Problemen führt. Zum einen wird dabei der gefährliche Klimakiller Lachgas erzeugt. Zum anderen haben wir so viel Stickstoff in die Welt gesetzt, dass die Erde ihn gar nicht mehr aufnehmen kann.

Wir brauchen eine intelligente Landwirtschaft, die auf biologischen Prinzipien fußt.

Online-Redaktion: Beim sogenannten Land Grabbing kaufen ausländische Investoren Land in Entwicklungs- und Schwellenländern. Welche Rolle spielt das?

Jürgen Knirsch: Land Grabbing ist eine Art moderner Kolonialismus. Ausländische Investoren kaufen Landflächen in Entwicklungsländern, weil man sich von landwirtschaftlichen Produkten neuerdings größere Gewinne verspricht. Landwirtschaftlich nutzbare Fläche wird ein immer knapperes Gut und deshalb für Investoren interessant auch zum Spekulieren.

Die Nutzung der Fläche richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung vor Ort. Da liegen dann auch schon mal Äcker als reine Spekulationsobjekte brach oder werden zum Anbau von Mais und Zuckerrohr für Agrosprit genutzt.

Die lokale Bevölkerung bleibt in der Regel außen vor. Es wird gar nicht geguckt, wem das Land gehört. Manche Regierungen in Entwicklungsländern spielen mit, weil das zu Einnahmen führt und verkaufen Land, das ihnen gar nicht gehört.

Online-Redaktion: Gerade mal 0,38 Prozent gibt Deutschland für Entwicklungshilfe aus - versprochen waren 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wird das Geld eher in die Rettung von Banken gesteckt?

Jürgen Knirsch: Das ist ein alter Skandal. Dieses Versprechen von 0,7 Prozent stammt aus den Siebzigerjahren. Nur vier Länder (Dänemark, Luxemburg, die Niederlande und Schweden) haben es gehalten. Bei der Bundesregierung ist es so, dass sie immer andere Ausreden hatte. Zurzeit ist es sicherlich die Bankenrettung und die Krise um einige schwächelnde EU-Mitgliedsstaaten.

Online-Redaktion: Laut FAO waren die Maispreise im August 2011 circa 80 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Ist daran die Spekulation mit Lebensmitteln Schuld?

Jürgen Knirsch: Da ist unter anderem die Spekulation mit Lebensmitteln schuld. Bedeutsamer ist aber die Tatsache, dass Mais nicht mehr primär als Lebensmittel angebaut wird, sondern als Ausgangsstoff für sogenannte Biokraftstoffe. Das sorgt für eine Verknappung auf dem Lebensmittelmarkt und erhöht die Preise. Nicht zuletzt schlägt sich aber auch der Klimawandel mit Wetterextremen wie Dürre und Überschwemmungen auf die Ernte nieder.

Online-Redaktion: Immer wieder taucht die Gentechnik als Heilsbringer gegen den Hunger auf. Was sagst du dazu?

Jürgen Knirsch: Gebetsmühlenartig wiederholt die Gentechnikindustrie bis heute die Aussage, dass Gentechnik höhere Erträge und widerstandsfähigere Pflanzen bringe. Studien, die die tatsächlichen Erträge der Gen-Pflanzen über längere Zeiträume untersucht haben, wie Failure to yield (2009) widerlegen diese Aussage als Wunschdenken. Wir wissen zudem, dass Gen-Pflanzen nicht nur zu Umweltrisiken führen, sondern auch zu Abhängigkeiten. Das gentechnisch veränderte Saatgut wird den Bauern teuer verkauft, in der Regel dürfen sie das Saatgut nicht selbst vermehren, sondern müssen jedes Jahr erneut Saatgut kaufen.

Online-Redaktion: Welche Maßnahme wäre wirklich wichtig, um den Hunger zu bekämpfen?

Jürgen Knirsch: Es gibt nicht nur eine, sondern mehrere Maßnahmen. Wichtig aber wäre, sich die regionale Situation anzuschauen. Auch die FAO sagt mittlerweile, dass es gerade bei den Kleinbauern darum geht, nicht per se auf die konventionelle Landwirtschaft zu setzen, sondern zu berücksichtigen, was es für traditionelle Methoden gibt. Save and Grow heißt ein neues Programm, bei dem geschaut wird: Welche Sorten sind lokal verfügbar? Sind das auch die angepasstesten? Wie sieht die Wasserversorgung der Pflanzen aus?

Online-Redaktion: Können wir Verbraucher eigentlich etwas tun?

Jürgen Knirsch: Wir müssen uns unsere Ernährungsgewohnheiten anschauen: Wir - in den reichen Ländern - essen zu viel Fleisch und Fisch. Für Fleischprodukte werden Futtermittel eingesetzt, die Anbauflächen belegen, die für eine direkte pflanzliche Ernährung hätten genutzt werden können. Fisch stammt zunehmend aus Aquakulturen, bei denen die Fische wiederum mit anderen Fischen gefüttert werden. Wir müssen unsere Ernährung auf weniger energieintensive Produkte umstellen - also weniger Fleisch und Fisch und mehr Gemüse! Und nicht dauernd zehn Kilo Getreide einsetzen, um ein Kilo Rindfleisch zu bekommen.

Außerdem zeigen der Film Taste the waste und das zugehörige Buch Die Essensvernichter, wie verschwenderisch wir auch in Deutschland mit Lebensmitteln umgehen. Ein Drittel aller global hergestellten Lebensmittel gelangt gar nicht auf dem Teller. Wir müssen die Lebensmittel essen und nicht auf den Müll kippen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview.

 

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