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Kühe in Frankreich
Jean-Luc Bertini / Greenpeace

Milchbauern in der Krise

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Der Preis für Milch ist auf Rekordtief, pro Liter bekommen Bauern kaum mehr 20 Cent. Wie kommt das – und was hat der Preisverfall für Folgen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Im Lebensmittel-Discounter kostet der Liter Milch derzeit so wenig wie nie: Bei Marktführer Aldi sind es gerade mal 46 Cent. Manche Molkereien zahlen Milchbauern weniger als 20 Cent pro Liter. Viele Höfe sind bei solchen Preisen nicht mehr überlebensfähig. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Krise der Milchviehhalter.

Warum ist der Milchpreis eigentlich so wichtig?

Milch ist die wichtigste Einnahmequelle der Bauern in Deutschland, noch vor dem Verkauf von Getreide, Fleisch, Obst und Wein. Die Art der Milcherzeugung ist sehr unterschiedlich, es gibt noch viele kleine Betriebe, aber gerade in Nord- und Ostdeutschland auch welche, die riesige Herden halten.

Im Vergleich zu Schweine- und Geflügelmast ist die Rinderhaltung aber am wenigsten industrialisiert und am stärksten noch an die Hofflächen gebunden. Die niedrigen Preise werden zu einem massiven Strukturwandel führen: Es ist zu befürchten, dass hauptsächlich Großbetriebe übrigbleiben.

Warum ist die Rinderhaltung in Großbetrieben ein Problem? 

Es ist kaum noch möglich, Großherden auf die Weide zu bringen. Also werden die Tiere ganzjährig im Stall gehalten und auf Hochleistung getrimmt: jenseits von 10.000 Litern Milch pro Kuh und Jahr. Das ist nicht nur schlecht für die Tiergesundheit, sondern auch für die Umwelt. Rinder sind ja keine Mastschweine, also Allesfresser, sondern eigentlich Grasfresser. Um eine so hohe Milcherzeugung zu erzielen, wird deshalb immer mehr Kraftfutter eingesetzt. Darunter leidet die Gesundheit der Tiere. Außerdem werden Rinder dadurch letztendlich zu Nahrungskonkurrenten des Menschen.

Dabei ist es eigentlich sinnvoll, Gras, das der Mensch nicht nutzen kann, über den Rindermagen zu verwerten. Grünlandhaltung hat noch einige weitere Vorteile, für Mensch und Tier: So speichert der Boden mehr Kohlenstoff, bindet also CO2. Außerdem bieten Weiden eine große Artenvielfalt. Wird bei der Zucht viel Mais- und Kraftfutter eingesetzt, leidet hingegen die Milchqualität.

Warum stellen die Milchviehbetriebe nicht auf Bio um?

Der Biomilchpreis ist derzeit rund 20 Cent höher als der konventionelle Preis, also 45 Cent statt 25 Cent je Liter. Das ist sehr verlockend. Aber wenn jetzt viele Betriebe umstellen, wird der Markt mit Biomilch überschwemmt, und dann sinkt auch da der Preis. Man muss das also differenziert betrachten – und neue Konzepte entwickeln.

Aber im Prinzip ist es gut, wenn nun viele Milchbauern darüber nachdenken. Schließlich setzten Biobetriebe auch viel weniger Kraftfutter ein, die Tierhaltung ist besser und die Düngung so angepasst, dass es kaum zu Verunreinigungen von Grund- und Oberflächengewässern kommt. Das ist bei den konventionellen Betrieben anders. Da gibt es zum Teil gewaltige Probleme mit Nitrat im Grundwasser und Ammoniak-Ausgasungen durch Tierdung und Gülle.

Wären hohe konventionelle Milchpreise die Lösung des Problems?

Nein! Hohe Milchpreise locken die Bauern, noch weiter zu intensivieren und noch mehr Milch zu produzieren. Das ist also allein nicht die Lösung. Wir brauchen Konzepte, um die Milchviehhaltung wieder auf die Weide zu bringen, Tierhaltung und Tiergesundheit insgesamt zu verbessern und den Kraftfuttereinsatz zu beschränken.

Dazu sind klare Rahmenbedingungen notwendig und auch Zielsetzungen. Schon aus Klimaschutzgründen müssen wir die Rinderhaltung in den kommenden Jahren abbauen. Die Tiere rülpsen große Mengen Methan aus, und die Futtererzeugung ist klimabelastend. Ein klarer politischer Fahrplan, wie die Milchviehhaltung der Zukunft aussehen soll und wie man dort hinkommt, fehlt in der jetzigen Situation völlig..

Deshal muss das gesamte Agrarmodell Deutschlands auf den Prüfstand. Die Idee, billiges Futtermittel zu importieren und damit hier in Deutschland viel Milch und Fleisch zu erzeugen, dass dann in aufstrebende Schwellenländer wie China exportiert wird, ist kein Zukunftsmodell. Es ruiniert die Umwelt, die Tiere und ist – wie sich jetzt herausstellt – auch für die Landwirte desaströs.

Warum wird das bisherige Modell der Milchviehhaltung weiterverfolgt?

Weil der Agrarhandel riesige Summen daran verdient. Und im Bauernverband glaubte man ernsthaft, dass deutsche Landwirte am Weltmarkt mithalten können.  Das war nicht nur dumm, sondern auch extrem unsolidarisch. Denn durch die deutschen Überschüsse und Exporte wird die Lebensgrundlage von Bauern in anderen Ländern kaputt gemacht.

Das gilt für Entwicklungsländer; es ist derzeit aber auch ein großes Thema für die Vertragspartner bei CETA und TTIP. Allerdings ist der Schaden für Entwicklungsländer weitaus größer, wenn dort Milchpulver aus Europa verramscht wird und dadurch heimische Milcherzeuger aus ihrem regionalen Markt verdrängt werden. Das würden sich die deutschen Bauern nicht gefallen lassen. Die afrikanischen haben keine Lobby.

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