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Manfred Redelfs, Leiter des Recherche-Teams bei Greenpeace
Greenpeace

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Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung werden in Deutschland wie Staatsgeheimnisse gehütet. Dabei gibt es seit zwei Jahren ein Verbraucherinformationsgesetz (VIG) - nach Auffassung von Greenpeace eine reine Mogelpackung.

Umfassende Transparenz zu Gammelfleisch, Pestiziden, Dioxinen in Lebensmitteln oder Mäusen in Restaurantküchen fordert ein Gesetzentwurf, den Greenpeace im Dezember vorgestellt hat: das Bürgerinformationsgesetz. Es sieht enge Antwortfristen, niedrige Gebühren und eine aktive Informationspflicht für Behörden vor. Zudem werden Restaurants und Lebensmittelgeschäfte zum Aushang der Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen verpflichtet. Manfred Redelfs, Leiter der Rechercheabteilung von Greenpeace, ist einer der Verfasser des Entwurfs.

Redaktion: Was sind die Mängel des derzeitigen Verbraucherinformationsgesetzes?

Manfred Redelfs: Informationen sind genauso verderbliche Waren wie die Lebensmittel, um die es hier geht. Erhalten also die Verbraucher erst Antwort, wenn die Lebensmittel längst gegessen sind, läuft das ganze Gesetz ins Leere. Deshalb müssen die Antwortfristen beim Verbraucherinformationsgesetz deutlich verkürzt werden.

Konkret ist es nach dem VIG jetzt so, dass immer erstmal die Firmen angehört werden, bevor ein Verbraucher Auskunft über Messergebnisse bekommt. Die Unternehmen haben aber vier Wochen Zeit zum Reagieren. Außerdem können sie durch Klagen die Veröffentlichung bis zu einer Gerichtsentscheidung aufschieben - und da dauert es in Deutschland leicht mal zwei Jahre, bevor man überhaupt einen Termin vor dem Verwaltungsgericht bekommt.

Ein weiterer Schwachpunkt sind die sehr vagen Ausnahmebestimmungen vom Grundsatz der Transparenz: So werden wettbewerbsrelevante Informationen geschützt. Was das genau ist, weiß niemand. Deshalb kann eine auskunftsunwillige oder übervorsichtige Behörde jeden Antrag erstmal mit Verweis auf diese schwammige Bestimmung ablehnen. Und schließlich kann die Auskunft viel Geld kosten, was ebenfalls die Bürger abschreckt.

Redaktion: Welche Verbesserungen schlägt der Gesetzentwurf von Greenpeace vor?

Manfred Redelfs: Ein zentraler Punkt ist, dass die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen standardmäßig alle veröffentlicht werden müssen - unabhängig von der Frage, ob es einen Skandal gibt oder nicht. Dann können die Bürger nicht nur die Qualität der Ware erkennen, sondern sie sehen auch, wie oft eigentlich kontrolliert wurde. Wenn das automatisch geschieht, gibt es auch keine große Zeitverzögerung mehr bei der Information. Hier haben die Behörden eine Bringschuld und nicht etwa die Bürger eine Holschuld.

Wollen die Bürger darüber hinaus von den Ämtern etwas wissen, müssen die Kosten gering bleiben. Die Antwortfrist wird nach unserem Vorschlag auf drei Wochen verkürzt, und die Ausnahmen werden eng gefasst. Außerdem wird der Informationsanspruch über den engen Bereich der Verbraucherprodukte hinaus erweitert. Finanzdienstleistungen sollten zum Beispiel ebenfalls der Transparenzregel unterliegen.

Schließlich fassen wir die verwirrend vielen Auskunftsgesetze, die es bisher in Deutschland gibt, zu einem einzigen mit guten, klaren Regelungen zusammen. Denn gerade die Transparenzgesetze sollten klar geregelt und leicht verständlich, also auch in sich transparent sein. Weil das Verbraucherinformationsgesetz in diesem Jahr sowieso zur Überarbeitung ansteht, können unsere Vorschläge für ein Bürgerinformationsgesetz unmittelbar aufgegriffen werden.

Redaktion: Wie genau gelangt der Verbraucher nach dem Greenpeace-Gesetz an Informationen? Soll es eine zentrale Internetseite geben, auf der alle kritischen Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung aus 16 Bundesländern veröffentlicht werden?

Manfred Redelfs: Eine zentrale Internetseite ist sicherlich die beste Lösung. Wie eine ehrliche Verbraucherinformation aussehen kann, macht in Deutschland zur Zeit der Bezirk Berlin-Pankow vor, der bereits Fotos von den schlimmsten Verstößen, die gefunden wurden, mit Adressen ins Internet stellt. Aber auch Betriebe, die gut abgeschnitten haben, tauchen dort auf der Internetseite auf, bisher allerdings auf freiwilliger Basis. Wenn man dieses System ausweitet auf sämtliche Kontrollberichte, wäre das eine gute Lösung.

Redaktion: Wie ist die Bürgerinformation in anderen europäischen Ländern geregelt?

Manfred Redelfs: Vorbildlich ist darin vor allem Dänemark. Dort wird seit 2002 nicht nur jeder Kontrollbericht im Internet veröffentlicht, sondern beim Fleischer, Bäcker oder im Imbiss zeigt ein Smiley-Symbol schon am Eingang, ob bei der letzten Kontrolle alles in Ordnung war. Gab es Beanstandungen, sieht der Kunde ein trauriges Gesicht auf dem kleinen Aufkleber. Und an der Wand im Geschäft hängt der vollständige Bericht der Lebensmittelkontrolleure. Bei uns hängt dort bestenfalls der Meisterbrief. Hier wünsche ich mir, dass wir das bewährte dänische System übernehmen. In unserem Nachbarland sind nach Umfragen mittlerweile sogar 88 Prozent der Unternehmen für diese einfache Verbraucherinformation. Positive Auswirkungen auf die Qualität der Lebensmittel gab es auch: Die Beanstandungsquote ist von 30 Prozent der kontrollierten Unternehmen auf mittlerweile 14 Prozent zurückgegangen.

Redaktion: Wie schätzt du die Vorschläge für mehr Transparenz in dem von Ilse Aigner am Dienstag vorgelegten 14-Punkte-Aktionsplan ein?

Manfred Redelfs: Es ist gut, dass Aigner endlich reagiert, aber ihre Schritte gehen noch nicht weit genug. Außerdem bleiben die Pläne unkonkret. Weil nach jedem Lebensmittelskandal große Ankündigungen kommen und dann trotzdem wenig später ein neuer Skandal losbricht, muss man bei der Bewertung sehr genau hinschauen. So ist es gut, dass schwerwiegende Verstöße gegen die Lebensmittelsicherheit jetzt sofort veröffentlicht werden sollen. Aber es ist eigentlich erschreckend, dass ein so selbstverständlicher Punkt erst jetzt geregelt wird.

Was bei den sonstigen Mess- und Überwachungsergebnissen unter einer zügigen Veröffentlichung verstanden wird, ist noch völlig unklar. Hier bleiben wir bei unserem Vorschlag, das dänische Modell auf Deutschland zu übertragen, inklusive der klaren Kennzeichnung im Lebensmittelgeschäft oder Restaurant selbst. Das wäre auch für die Verbraucher am einfachsten. Es will ja nicht jeder vor dem Restaurantbesuch erst mal eine Internet-Recherche machen.

Außerdem muss Aigner zusammen mit den Ländern dringend dafür sorgen, dass mehr Lebensmittelkontrolleure eingestellt werden. In manchen Regionen kommt jetzt ein Kontrolleur auf 1.200 Betriebe. Die beste Verbraucherinformation nützt uns aber nichts, wenn Betrüger gar nicht ernsthaft damit rechnen müssen, aufzufliegen. Schließlich brauchen wir ein staatlich kontrolliertes Zertifizierungssystem vom Acker bis zum Teller. Das QS-System* der Lebensmittelindustrie hat sich nicht bewährt, da muss jetzt die Politik klare Vorgaben machen.

(Interview: Simone Miller)

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