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Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler 02/13/2011
Bente Stachowske / Greenpeace

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Online-Redaktion: Mathias, ist Greenpeace jetzt gegen einen Neustart bei der Endlagersuche?

Mathias Edler: Wir wollen einen echten Neustart in der Endlagerfrage, die Bundesregierung setzt lediglich die alte Gorleben-Politik unter dem falschen Etikett eines angeblichen Neustarts weiter fort. Die Mängel in Verfahren und Gesetzentwurf sind so zahlreich und schwerwiegend, dass Kompromisse in einzelnen Punkten keine grundsätzliche Verbesserung mehr erreichen können.

Online-Redaktion: Was ist denn an dem Verfahren und gerade an den grünen Unterhändlern zu kritisieren?

Mathias Edler: Das Verfahren findet hinter verschlossenen Türen statt. Gesetzentwürfe kursieren seit Monaten unter der Hand und werden nicht veröffentlicht. Gerade die unkritische Teilnahme der Grünen, die genauso wie die CDU von einem angeblich ergebnisoffenen, transparenten und fairen Verfahren sprechen, sendet ein fatales Signal in die Welt: Wenn die mitmachen, wird es schon gut werden.

Die bisherigen Ergebnisse beweisen aber, dass der vorgetragene Parteienkonsens eben nicht darin besteht, das bestmögliche Endlager zu finden, sondern sich das Streitthema so schnell wie möglich vom Hals schaffen zu wollen. Dabei könnte genau dieser gesellschaftliche Konflikt der Katalysator für einen wirklichen Neuanfang bei der Atommülldebatte sein.

Online-Redaktion: Wie müsste ein faires Suchverfahren denn aussehen?

Mathias Edler: Ein Parteikonsens reicht nicht, um am Ende eines Jahrzehnte dauernden Suchprozesses die gesellschaftliche Akzeptanz für einen Endlagerstandort zu erreichen. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses und einer nationalen Endlagerdebatte weit über die Region Gorleben hinaus.

Von Beginn an müssen Bürgerinitiativen, Umweltverbände, Kirchen etc., eben die ganze Bürgergesellschaft, in die Diskussionen einbezogen werden. Nur mit einer echten Bürgerbeteiligung von Beginn an VOR Verabschiedung eines Gesetzes kann so ein Suchprozess am Ende erfolgreich sein. Deshalb muss die Politik jetzt inne halten und im ersten Schritt die Gesellschaft mit ins Boot holen. Im zweiten Schritt kann dann das Endlagersuchgesetz kommen.

Online-Redaktion: Aber dieses erste Gesetz soll doch nur den Rahmen festlegen, oder? Die Bürgerbeteiligung kommt doch dann erst.

Mathias Edler: Gerade weil uns die Frage der Endlagerung vor eine fast unlösbare Aufgabe stellt, kommt einem nachvollziehbaren und fairen Suchverfahren, dem Rahmen der ganzen Endlagersuche, eine so hohe Bedeutung zu. Wenn am Anfang der Rahmen nicht stimmt, kann der Rest innerhalb des Rahmens nicht mehr besser werden.

Die Frage der sicheren Lagerung von hochradioaktiven Abfällen für einen Zeitraum von einer Millionen Jahren ist eine unlösbare Aufgabe, wir können nur den am wenigsten schlechten Standort finden. Niemand will den Atommüll bei sich vor der Haustür haben und allein der Suchprozess wird mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Trotzdem müssen wir einen Standort finden. Alles zusammen ist eine Herkulesaufgabe. Akzeptanz für eine Standortentscheidung am Ende des Verfahrens wird es bei den Bürgern nur geben, wenn diese Entscheidung in einem nachvollziehbaren und fairen Verfahren zustande gekommen ist.

Online-Redaktion: Nenn doch mal ein Beispiel!

Mathias Edler: Jede Entscheidung im Suchverfahren, von der Auswahl der möglichen Standortregionen über die Festlegung der obertägig und untertägig zu erkundenden Standorte bis hin zur Auswahl des künftigen Endlagers soll per Bundesgesetz vom Bundestag verabschiedet werden. Klingt gut und demokratisch, hat jedoch fatale Folgen und ist nach unserer Auffassung verfassungswidrig.

Diese sogenannte Legalplanung verhindert zum Beispiel die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit des Verfahrens. Es ist aber ein Grundprinzip unserer Demokratie, dass Gerichte das Handeln von Behörden und Politikern überprüfen können. Allein die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung entfaltet gerade in Behörden eine disziplinierende Wirkung. Sonst machen sie, was sie wollen.

Ganz nebenbei wird den Bürgern an allen potentiellen Standorten in der Bundesrepublik der Rechtsschutz stark verkürzt. Gegen diese Bundesgesetze können Einwände nur vor dem Verfassungsgericht vorgebracht werden- allein die Hürde, dass eine Beschwerde dort überhaupt angenommen wird, ist bekanntermaßen sehr hoch.

Zu guter Letzt hat diese Bundesgesetzkonstruktion noch einen schönen Nebeneffekt für die Stromkonzerne, die den Atommüll produziert haben. Sie müssen die neue Suche nicht bezahlen, das muss der Steuerzahler übernehmen, weil die Abfallverursacher nicht zur Finanzierung gesetzesvorbereitender Maßnahmen herangezogen werden können.

Online-Redaktion: Aber warum halten dann selbst die Grünen an dieser Verfahrenskonstruktion fest?

Mathias Edler: Das ist eine gute Frage. Immerhin greifen die Politiker völlig ohne Not zum Instrument der Legalplanung, denn die beabsichtigte demokratische Legitimation ließe sich auch durch eine einfache Entscheidung des Bundestages herstellen - ohne, dass jedes Mal ein Gesetz verabschiedet wird. Dann hätte das höchste demokratische Gremium entschieden, aber das Handeln aller Beteiligten wäre von Bürger und Gerichten überprüfbar.

Welche Rolle das Endlagersuchgesetz für Gorleben spielt, erfahren Sie im zweiten Teil unseres Interviews.

  • Demo gegen Atomkraft und Castortransporte 11/06/2010

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