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Schulklasse aus Lörrach startet Projekt gegen Atomkraft
Elvira Erdem

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Online-Redaktion: Elvira, wie haben Deine Schülerinnen und Schüler reagiert, als Du ihnen vom Wettbewerb erzählt hast?

Elvira Erdem: Die Situation war ziemlich genau so wie die Anfangsszene des Videos. Erstaunlicherweise hat ein Schüler namens Rabea den Greenwashing-Versuch von EnBW sofort durchschaut: Die wollen sich bei uns nur einschleimen. Die Empörung bei den meisten Schülerinnen und Schülern der 25-köpfigen Klasse war groß. 15 waren sofort hellauf begeistert von Rabeas Idee, einen Film einzureichen, der die Atomkraft und den Wettbewerb selbst kritisiert. Sie wollten mit der Planung sofort anfangen, aber da habe ich sie gebremst. Denn erstens war nicht die gesamte Klasse dafür und zweitens bereiten sich die Schülerinnen und Schüler gerade auf die Abschlussprüfungen vor. Das Video entstand ausschließlich in der Freizeit. Weil Atomkraft für die Gruppe ein sehr emotionales Thema war, haben die Jugendlichen sehr viel Zeit und Kraft in den Clip gesteckt.

Online-Redaktion: Was hat Dich als Lehrerin selbst motiviert, Deine Schülerinnen und Schüler bei einem kritischen Beitrag zu unterstützen?

Elvira Erdem: Seit eineinhalb Jahren bin ich an dieser Schule. Immer wieder gab es im Lehrerzimmer Aushänge und Flyer von der EnBW und deren Tochtergesellschaft Naturenergie. Einmal konnte man als Lehrkraft an einer Fortbildung zum Thema Atomenergie teilnehmen. Ein Unterthema war auch die Entsorgungssicherheit. Ein anderes Mal gab es Wettbewerbe. Irgendwann dachte ich: So, jetzt reicht es. Wenn die Atomkonzerne Schülerwettbewerbe durchführen, dann möchte meine 9. Klasse vielleicht daran teilnehmen. Das Thema Energie behandelte ich mit den Schülerinnen uns Schülern letztes Schuljahr. Wir haben auch das Buch Die Wolke gelesen und den Film dazu geschaut. Das Thema Atomkraft machte die Schülerinnen und Schüler sehr nachdenklich und stieß bei den meisten auf Ablehnung und Angst. Deswegen dachte ich, als ich den Flyer zum Schülerwettbewerb von EnBW fand, sofort an diese Klasse. Trotz allem sehe ich Projekte wie dieses sehr kritisch: Es ist an der Zeit, dass wir in Baden-Württemberg endlich auch ein Neutralitätsgesetz bekommen, das die Beteiligung der Wirtschaft an der Bildung regelt.

Online-Redaktion: Das Video besteht aus vielen verschiedenen Sequenzen: vom Rap über eine Umfrage bis hin zu einem Wahlkampfszenario und zum Schluss der Appell Deiner Schülerinnen und Schüler, auf Erneuerbare Energien umzusteigen. Wie sind die Ideen entstanden und wie lief die Umsetzung ab?

Elvira Erdem: Bis auf die Anfangsszene kamen alle Ideen von den Schülerinnen und Schülern selbst. Sie haben viele Ideen gehabt, diskutierten darüber, verbesserten manche Vorschläge und machten sich dann ans Werk. Meine Aufgabe bestand lediglich darin, die verschiedenen Aufgaben zu koordinieren: beispielsweise das Filmen und die Durchführung der Interviews. Die Jugendlichen arbeiteten sehr selbstständig. Dem Rapper wollte ich mit dem Text helfen. Er aber hat gemeint: Frau Erdem, überlassen Sie das ruhig mir. Also habe ich ihn machen lassen. Der Rap hat dann meine Erwartungen sowohl im Hinblick auf das Musikalische als auch auf den Inhalt bei weitem übetroffen! Natürlich gab es immer wieder viel Gekicher und manche Szenen mussten wir mehrmals drehen, aber das gehört ja auch dazu. Zwei Schüler haben dann das Video geschnitten, auf YouTube hochgeladen und an die EnBW geschickt. Mein Fehler war, dass ich das vorher nicht angeschaut habe, denn die Jungs haben fremdes Tonmaterial verwendet. Deswegen mussten wir es auch, nachdem wir fast 82.000 Clicks hatten, leider wieder entfernen. Aber wichtig ist, dass wir diese 82.000 Menschen erreicht haben!

Online-Redaktion: Das Video Deiner Klasse hat sich in kürzester Zeit im Netz verbreitet, sogar Spiegel Online hat einen Artikel darüber verfasst und es lief ein TV-Beitrag im SWR. Wie habt ihr das geschafft?

Elvira Erdem: Da muss ich mich bei einer Freundin, die Medienpädagogin ist, bedanken. Sie hat den Link an befreundete Blogger geschickt und die haben das Projekt ziemlich gepusht. Als dann der erste Anruf von der Presse und dazu noch von Spiegel Online kam, war ich etwas erstaunt. Danach lagen immer öfter Zettel mit Rückrufbitten in meinem Fach in der Schule. Die damals noch anonyme Unterstützung von Internetbegeisterten fand ich toll. Einer davon klärte mich auch auf, dass wir eine virale Kampagne losgetreten hatten. Den Ausdruck hatte ich zuvor noch nie gehört!

Online-Redaktion: Auf der Wettbewerbsseite von EnBW sind alle eingereichten Schülervideos einsehbar - der Beitrag Deiner Klasse ist allerdings nicht dabei. Warum nicht?

Elvira Erdem: Wie schon erwähnt enthielt das Video leider fremdes Tonmaterial, was anschließend rausgeschnitten wurde. Das neue Video haben die Jungs dann noch einmal auf der Wettbewerbsseite hochgeladen. Zwar konnte man es noch uploaden, doch leider war es anscheinend zu spät. Außerdem war das Video zu lang. Die EnBW gab eine Länge von drei bis fünf Minuten vor. In dieser Zeit sollten sich die Teilnehmer differenziert mit dem Thema Energie auseinandersetzen. Meine Schülerinnen und Schüler haben nun mal fast 13 Minuten dafür gebraucht. Letztendlich ging es der Filmgruppe auch nicht ums Gewinnen. Das haben sie von vorne herein ausgeschlossen. Sie wollten in erster Linie eine Botschaft senden. Als der Clip dann aber so viel Aufmerksamkeit bekam, meinten sie, es wäre doch schön, zu gewinnen. Das würde ihre Botschaft noch verstärken. Zwar kann man online abstimmen, aber nur für die zehn besten Filme. Die Sieger werden von einer Jury bestehend aus Vertretern der Wettbewerbsinitiatoren und Filmexperten prämiert. Vielleicht haben sie schon mit Gegenwind gerechnet und wollten sich so absichern, dass nicht peinlicherweise ein ungeeigneter Film gewinnt. Fazit: Selbst wenn wir uns an alle Vorgaben gehalten hätten, hätte der Clip sicherlich nicht gewinnen können. Trotzdem sind die Schülerinnen und Schüler in vielerlei Hinsicht Gewinner!

Online-Redaktion: Wenn EnBW das Video schon in der Auswertung nicht berücksichtigen wird, gibt es trotzdem noch Hoffnung, dass Du und Deine Klasse bei dem Energieriesen auf Gehör stoßen?

Elvira Erdem: Ja, wir sind bereits auf Gehör gestoßen und haben einen Brief von EnBW bekommen. Hier ein paar Ausschnitte: Unabhängig vom Schulwettbewerb haben wir uns natürlich mit Ihrem engagierten Beitrag und Ihrer kritischen Haltung gegenüber der Kernenergie auseinandergesetzt. Deshalb möchten wir Ihnen gerne ein persönliches Gespräch zu dem komplexen Thema der Energieerzeugung anbieten und mit Ihnen gemeinsam über die Herausforderungen unserer Branche rund um Ökonomie, Ökologie und Versorgungssicherheit sprechen. Die Gestaltung dieses Dialogs möchten wir mit Ihnen gemeinsam organisieren. Die Klasse und ich freuen uns auf das Gespräch! Das ist doch genau das, was wir brauchen: einen fruchtbaren Dialog. Ich hoffe nur, dass die EnBW das auch so sieht.

Online-Redaktion: Mal abgesehen von den Kenntnissen über die Risiken von Atomkraft: Was, glaubst du, haben Deine Schülerinnen und Schüler aus diesem Projekt für sich mitnehmen können?

Elvira Erdem: Ich habe das Gefühl, dass das ganze Projekt sich sehr positiv auf den Gruppenzusammenhalt und die Persönlichkeitsstärkung jedes Einzelnen ausgewirkt hat. Sie sind viel selbstbewusster geworden und der Zusammenhalt war enorm, als es nach dem Video ein paar Schwierigkeiten mit der Schulleitung wegen der formalen Fehler gab. Außerdem hat es auch Auswirkungen auf die ganze Schule gehabt. Viele Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Klassen kamen auf uns zu und sagten stolz, sie hätten das Video auf YouTube gesehen. Abgesehen von der medialen Aufmerksamkeit, die natürlich fantastisch war, waren das für mich die schönsten Momente. Schüler und Eltern, die stolz waren, weil sie etwas erreicht hatten. Ein wahnsinniger Erfolg!

Online-Redaktion: Das finden wir auch! Vielen Dank für das Gespräch!

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